Computerworld vor 30 Jahren
12.06.2020, 09:48 Uhr
Ohne Netz keine Cloud
Für den Zugriff auf Cloud-Dienste ist zwingend eine Netzwerkverbindung erforderlich. Was heute selbstverständlich ist, war es 1990 keineswegs. LAN-Standards fehlten, Funknetze waren erst im Entstehen.
Mit dem Wi-Fi-Vorläufer «WaveLAN» wollte NCR den Installateuren das aufwendige Verlegen von Netzwerkkabeln ersparen
(Quelle: NCR)
Cloud Computing im heutigen Sinne war 1990 aus mehreren Gründen noch nicht möglich. Einerseits fehlten die leistungsfähigen Computer, andererseits die grosse Speicherkapazität. Während diese beiden Komponenten einer Cloud-Infrastruktur schon hier und da mit heute existierenden Technologien einigermassen vergleichbar waren, gab es bei dem dritten Baustein für Cloud Computing noch keine adäquate Lösung: Das Netzwerk war fragmentiert, bestand auch firmeneigenen Lösungen, Forschungsnetzen und den öffentlichen Telefonleitungen. Eine Untersuchung der Beratungsfirma KPMG zu Gemeinsamkeiten der Netzwerke von 46 global tätigen Unternehmen ergab: Keine einzige der Infrastrukturen war mit einer anderen vergleichbar.
Daran sollte sich zunächst nicht viel ändern, unkten die Marktforschungsfirmen. Im Mai 1990 zitierte Computerworld aus einer Studie der IDC, nach der das Ethernet-Segment rund 80 Prozent des Marktes ausmache. Token Ring komme auf knapp 20 Prozent. Damit war Digital Equipment Corporation (DEC) der Marktführer, IBM als ein Haupttreiber von Token Ring eher ein Nischenanbieter. Allerdings prognostizierten die Experten, dass der Markt bis Mitte der 1990er durchaus in Bewegung bleibe: Ethernet werde auf 66 Prozent schrumpfen, Token Ring hingegen auf 26 Prozent wachsen. Den Markterfolg der IBM-Technologie wurde mit der höheren Geschwindigkeit und grösseren Zuverlässigkeit begründet. Ethernet war zwar preisgünstiger, aber auch langsamer und weniger robust.
LAN «gegebenenfalls» drahtlos
Das teuerste an einem Netzwerk waren 1990 die Kabel. Weiter war auch das Verlegen teuer und zeitraubend, da oftmals bauliche Veränderungen notwendig wurden. Deshalb schlugen mehrere Firmen Lösungen ohne Kabel vor. Photonics entwickelte beispielsweise mithilfe eines Millionen-Investments von Apple das Photolink-System: Ein Infrarotsender strahlte Lichtimpulse ab, das die zu übermittelnden Daten enthielt. Dabei konnten Decken und Wände als Reflektoren genutzt werden, wenn sie eine glatte Oberfläche besassen. Der Empfänger war nur für Macintosh-Rechner erhältlich (und verstand auch nur das AppleTalk-Protokoll). Immerhin berichteten die Anwender von einer mit Kabel-LAN vergleichbaren Übertragungsgeschwindigkeit. So zog die Technologie in den Folgejahren weitere Interessenten an, darunter IBM. 1991 unterschrieben die Unternehmen eine Lizenzvereinbarung und entwickelten fortan Lösungen auch für PCs. Der Börsengang von Photonics im November 1993 spülte 15 Millionen US-Dollar in die Kassen. Die wachsende Konkurrenz (auch mit vergleichbarer Technologie) führte jedoch Mitte der 1990er in die Pleite.
Noch immer am Markt ist NCR: Der «National Cash Register» war 1990 noch im Computer-Geschäft und lancierte in dem Jahr mit «WaveLAN» einen Vorläufer der heutigen WLANs. Die Datenübertragung funktionierte mit Radiowellen. Für den PC wurde eine Steckkarte mit Antenne angeboten, die gemeinsam mit dem Netzwerktreiber für ca. 1400 US-Dollar verkauft wurde. Eine herkömmliche Verkabelung kostete rund 500 US-Dollar, berichtete Computerworld. Die Kollegen wussten allerdings auch, dass es in der Schweiz seinerzeit noch keinen Markt für WaveLAN gab. Auch durfte das Funknetz nur mit einer Bewilligung der PTT in Betrieb genommen werden, was NCR Schweiz bei der Markteinführung zögern liess.
Datennetzwerke «zweitklassig»
Eine Testreihe der Handelsgruppe European Association of Information Services bescheinigte den europäischen Betreibern eine nur «zweitklassige» Übertragungsqualität in den kontinentalen Datennetzen. Die Verlustrate betrug 24 Prozent, bei interkontinentalen Verbindungen 23 Prozent. Hauptgründe für die hohen Verluste waren laut dem Test die Probleme bei der Verbindungsaufnahme mit dem Hostrechner, mit dem Zugangsknoten zum öffentlichen Netz und Verbindungsunterbrüche innerhalb des Netzwerks selbst. Die Experten empfahlen den Kunden in Europa, Druck auf die lokalen Netzbetreiber auszuüben, um eine höhere Zuverlässigkeit zu erwirken. Alternativ sollten Standleitungen zu den öffentlichen Netzwerkknoten installiert werden, die allerdings für die Mehrheit der Firmen unerschwinglich waren.
Die PTT wollte Anfang 1990 ihren Beitrag zur zuverlässigen Vernetzung der Schweiz leisten. Sie startete einen Betriebsversuch mit dem digitalen Breitbandnetz «Megacom», das sich später in das europaweite «EBIT»-Netzwerk einfügen sollte. Über Megacom waren für zunächst 100 Teilnehmer zum Beispiel Selbstwähl-Videokonferenzen oder die Übertragung von Röntgenbildern zwischen Ärzten und Spitälern möglich. Innerhalb der PTT-Initiative «Kommunikations-Modellgemeinden» wurden Videokonferenzstudios an acht Orten installiert. Den Anfang machte Sierre. Anschliessend gab es Studios auch in Basel, Biel, Brig, Frauenfeld, Locarno, St. Moritz und Val-de-Travers.
Die grösste Datenbank der Welt
Der Netzwerkzugriff in den eigenen vier Wänden funktionierte 1990 hauptsächlich via Akustikkoppler oder Modem. Eine Übertragungsrate von 2400 Baud war das Maximum, ein entsprechendes Modem hatte Weltmarktführer Hayes im März an der Computermesse CeBIT vorgestellt. Damit war der private Netzwerkzugang noch ein teures Vergnügen, insbesondere weil vielenorts lokale Einwahlknoten fehlten und teure Fernverbindungen genutzt werden mussten.
Die Attraktivität des Online-Zugangs steigern wollte das Portal CompuServe, das sich Anfang 1990 nach Europa hin öffnete. Für 22 US-Dollar pro Stunde (Einwahlgebühren inklusive) bekamen auch die Schweizer Konsumenten einen Zugriff auf die «grösste Datenbank der Welt für Pfarrer, Informatiker und Hausfrauen», wie Computerworld titelte. CompuServe bediene sich hauptsächlich einer in Europa «noch beinahe unbekannten» Kommunikationsform: der «elektronischen Konferenz». Gemeint waren Foren, in denen sich eben Pfarrer, Informatiker und Hausfrauen öffentlich austauschten. Der grösste Vorteil von CompuServe sei die «stark vereinfachte und dem menschlichen Denken angepasste Benutzerschnittstelle». Andere Online-Datenbanken seien oft nur Leuten zugänglich, die gelernt hätten, wie Informatiker zu denken. Das Schweizer Videotex sei ein abschreckendes Beispiel dafür, lästerte Computerworld.
Ende 1990 konnte die Zeitung berichten, dass sich CompuServe auch in Europa grosser Beliebtheit erfreue. Der Dienst gewinne 150 neue Kunden pro Woche. Die Anzahl der Benutzer sei von 1200 auf über 7000 emporgeschnellt. Die Tatsache, dass der Dienst entgegen der ursprünglichen Planung nur auf Englisch angeboten wurde, tat dem Erfolg keinen Abbruch. Die Implementierung von deutschen, französischen, italienischen und spanischen Foren mussten die CompuServe-Macher verschieben, weil sie Probleme bei der Datenübertragung von den unterschiedlichen Zeichensätzen nicht lösen konnten. Emoticons funktionierten aber (vgl. Kasten).
Zeichencodes
Der geheime psychologische E-Mail-Befindlichkeits-Code
Computerworld-Redaktor Paul Batt wies 1990 fürsorglich darauf hin, dass mit der Umstellung der Korrespondenz auf elektronische Post auch neue Zeichencodes lanciert werden. Es seien nicht etwa Übermittlungsfehler, sondern kleine Nettigkeiten (oder manchmal auch Nicht-so-Nettigkeiten), mit denen der Korrespondenzpartner etwas Menschlichkeit in die elektronische Welt der E-Mail bringen wolle. Wie Batt schrieb, gebe es verschiedene verschlüsselte E-Mail-Zeichen-Codes. Einer davon signalisiere die Befindlichkeit des Absenders. Er beruhe auf der Zeichenkombination:
:-)
Er riet, die Zeitung um 90 Grad nach rechts zu drehen, um die Bedeutung der übermittelten Botschaft zu erkennen. Vor dem Computer-Bildschirm sei der Kopf auf die linke Schulter zu legen.
Die obige Botschaft bedeute ohne jeden Zweifel, «Ich bin aufgestellt» oder «Es geht mir gut», während folgende ASCII-Kombination das Gegenteil ausdrückt:
:-(
Selbstverständlich lässt sich die Sache ausbauen und verfeinern, was gewiefte E-Mailer natürlich auch tun:
:-/
kann dahingehend interpretiert werden, dass der Absender eine schiefmäulige, eher verschlossene und/oder sogar übellaunige Persönlichkeit ist,
:-o
dass er vor Staunen den Mund nicht mehr zukriegt und
:-X
dass er über etwas nicht sprechen darf oder will.
Es gibt hie und da auch Hinweise auf das persönliche Erscheinungsbild eines E-Mail-Teilnehmers, so zeigen
8-) :-{) 8:-)
von links nach rechts einen fröhlichen Sonnenbrillenträger, einen Mann mit Schnauz und ein Mädchen mit einer Schleife im Haar, während
@:-(
den Absender ohne jeden Zweifel als übellaunigen Inder mitsamt Turban ausweist.
Einige Zeichenfolgen sind allerdings nur von Leuten entzifferbar, die über tiefergehendes Verständnis für höhere Formen besonders absurden Blödsinns verfügen: So bedeutet
:-F
einen transsilvanischen Vampir, der einen Zahn verloren hat.