CIO von Roche im Interview 31.12.2020, 06:25 Uhr

Alan Hippe über IT-Innovation, die Pandemic Squad und die Life-Sciences-Zukunft

Innovation entsteht am besten durch den persönlichen Austausch. Was also tun, wenn alle ins Home Office müssen? Roches Alan Hippe erklärt, wie das Unternehmen durch die Corona-Krise steuert und weshalb die Pandemie neue Wege in der personalisierten Medizin ebnen könnte.
Alan Hippe, CFO und CIO, Roche
(Quelle: Lucia Hunziker/Roche)
Ein IT-Campus in Kaiseraugst, die Bürotürme Bau 1 und Bau 2 im Herzen von Basel: Das Life-Sciences-Unternehmen Roche hat in den vergangenen Jahren Milliarden Franken in die Infrastruktur investiert – mit dem Ziel, Mitarbeitende zusammenzuführen, um die Innovation zu fördern. Dann kam der Corona-bedingte Lockdown im Frühling und Tausende Mitarbeitende mussten ins Home Office. Eine mehrfache Belastung fürs Unternehmen. Die IT-Infrastruktur wurde, wie in vielen Unternehmen, einem ultimativen Stresstest unterzogen.
Auch Forschung, Entwicklung und Produktion mussten soweit wie möglich remote weitergehen. Denn die Kundinnen und Kunden, Menschen mit schweren Krankheiten wie etwa Krebs, können nicht warten. Sie sind darauf angewiesen, dass die Arbeit weitergeht. Im Interview erklärt Alan Hippe, Chief Financial and Information Officer, wie Roche durch die Krise steuert, wie man in über die Welt verteilten Teams Neues schafft und wie die Digitalisierung die personalisierte Medizin voranbringen wird.
Computerworld: Seit dem Lockdown im März dieses Jahres organisieren sich Unternehmen über Remote Work. Als forschendes Pharmaunternehmen lebt Roche von Neuerungen. Was bedeutet Remote Work für die Innovationsentwicklung?
Alan Hippe: Innovation entsteht an Schnittstellen. Es ist nicht ganz einfach, in einer rein virtuellen Umwelt gemeinsam innovativ zu sein. Working from Home hat seine Berechtigung, Roche hat das immer hochgehalten. Auf der anderen Seite vermisse ich meine Kolleginnen und Kollegen. Es ist schön, wenn man in Kaiseraugst über den Campus läuft und auf dem Weg ins Meeting bereits vier Dinge erledigt hat, weil man so viele Leute traf, die einen auch an etwas erinnerten oder mit denen man rasch und unkompliziert etwas besprechen konnte. Wir werden in Zukunft einen Mix erleben aus Home Office und dem Austausch vor Ort im Unternehmen.
CW: Was bedeutet das für die Forschung und Produktentwicklung? Wie haben Sie die Zusammenarbeit an den Schnittstellen angepasst?
Hippe: Wir müssen kontinuierlich Medikamente und Diagnostika entwickeln. Wenn wir heute die Idee für ein Medikament haben, dauert es durchschnittlich zwischen sieben und zehn Jahren, bis es auf den Markt gelangt. Entsprechend hängt unser Erfolg davon ab, dass die Entwicklung weitergeht. Das war in der Tat unsere grosse Sorge. Auf der anderen Seite hat unsere Diagnostiksparte gezeigt, wie gut wir uns an unvorhergesehene Situationen anpassen.
“In so einer Phase muss man als Führungskraft genau im Blick behalten, wie es dem Team geht„
Alan Hippe, Roche
CW: Können Sie ein Beispiel nennen?
Hippe: Von den Produkten, die wir heute im Bereich Covid-19 auf dem Markt haben, wie etwa unseren Schnelltest, wussten wir zu Jahresbeginn noch nicht, dass es sie geben würde. Man hat also sehr schnell auf die Situation reagiert und Lösungen realisiert. Das zeigt, dass man auch unter den gegebenen Umständen enorm innovativ und durchaus auch agil und schnell sein kann.
CW: Das sind dramatische Veränderungen. Was bedeutet das für den Geschäftsgang, inwieweit verändert sich dadurch Ihr Business?
Hippe: Die Entwicklung im Diagnostikgeschäft verdeutlicht vielleicht am besten unsere Situation. Viele meinen, Roche sei eine Gewinnerin der Corona-Krise aufgrund von Produkten für die Covid-19-Diagnostik. Bei denen verzeichnen wir tatsächlich eine hohe Nachfrage. Als Folge werden aber in den Laboren von Spitälern und Ärzten weniger Routinetests durchgeführt. Hier bewegen wir uns bei ca. 95 Prozent gegenüber dem Niveau vor der Krise. Die Zahl steht symbolisch dafür, dass sich Patientinnen und Patienten davor fürchten, ins Spital zu gehen, um sich diagnostizieren zu lassen, da sie Angst davor haben, dort auf Covid-19-Patienten zu treffen und sich womöglich anzustecken.
“Von den Produkten, die wir heute im Bereich Covid-19 auf dem Markt haben, wie etwa unseren Schnelltest, wussten wir zu Jahresbeginn noch nicht, dass es sie geben würde„
Alan Hippe, Roche
CW: Und im Pharmabereich, wie sieht es dort aus?
Hippe: Hier beobachten wir leider eine ähnliche Tendenz. Patienten gehen später ins Spital und verzögern ihre Behandlungen. Das ist bei Krankheiten wie Krebs mindestens problematisch, wenn nicht am Ende fatal. Covid-19 ist auf der einen Seite eine Chance, aber auch etwas, worüber wir uns sehr ernsthafte Sorgen machen.
CW: Inwieweit können Sie die Covid-19-bedingten Ausfälle für das laufende Geschäftsjahr beziffern oder zumindest abschätzen?
Hippe: Es ist im Moment noch schwer abzuschätzen, welche Folgen das alles mit sich bringen wird. Die Pandemie ist auch noch in vollem Gange. Wir stellen einen nicht unerheblichen Impact fest im Bereich Pharma. Demgegenüber steht ein Aufschwung auf der Diagnostika-Seite. Die Entwicklungen gleichen sich einigermassen aus, sodass der Einfluss auf unser Geschäft insgesamt leicht negativ ausfallen könnte. Aber was uns derzeit am allermeisten umtreibt, ist die Frage, was mit den Patienten geschieht.
CW: Welche Gedanken beschäftigen Sie?
Hippe: Ich denke, wir müssen alles dafür tun, dass die Gesundheitssysteme wieder auf ihren normalen Stand kommen und bestehende Probleme lösen. Ein Beispiel: In China waren die Top-Spitäler voll von Patienten, wodurch man das Social Distancing nicht einhalten konnte. Im weiteren Verlauf der Krise wollte man das natürlich einhalten. Dadurch reduzierte sich aber die Kapazität dieser Krankenhäuser. In der Folge mussten Patienten auf andere Spitäler ausweichen, die vielleicht von ihren Kapazitäten und Fähigkeiten her noch nicht auf dem Spitzenniveau sind. Solche Herausforderungen müssen wir jetzt angehen.
CW: Wie betrachten Sie die Entwicklung im Schweizer Gesundheitssystem?
Hippe: Die Schweiz hat im Verlauf des Lockdowns im Frühling gezeigt, wie gut sie mit der Corona-Krise umgehen kann. Wir waren alle voller Sorge, dass nicht genügend Betten auf den Intensivstationen zur Verfügung stehen würden. Das wurde und wird derzeit hervorragend angegangen mit unterschiedlichsten Massnahmen. Auch die politischen Verantwortlichen sind hierzulande sehr vernünftig vorgegangen und haben versucht, einen Mittelweg zu finden, der auf der einen Seite wirtschaftliche Aktivität ermöglicht und auf der anderen Seite gesundheitliche Risiken minimiert. Sich auf Covid-19 zu fokussieren, ist gut, aber man muss eben auch andere Aspekte wie etwa wirtschaftliche oder auch kulturelle Aktivitäten miteinbeziehen.
Zur Person
Alan Hippe
verantwortet als CFO und CIO die Finanzen und die IT des Pharmaunternehmens Roche. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler bringt umfassende Führungserfahrungen aus unterschiedlichen Branchen international mit. Stationen seiner Karriere umfassen Fraport, Continental und Thyssen-Krupp. 2011 kam er zu Roche in die Schweiz, wo er die Position des Chief Financial and Information Officer übernahm. Der 53-jährige Hippe ist verheiratet und Familienvater. Als Ausgleich zur Arbeit treibt er gerne Sport (Schwimmen, Krafttraining) und verbringt Zeit mit seiner Familie.

Corona-Lockdown: Härtetest für die Roche-IT

Quelle:

Lucia Hunziker/Roche

CW: Forschung, Entwicklung und Produktion in den Life Sciences sind abhängig von IT. Welchen Einfluss hatte der Corona-bedingte Lockdown im Frühjahr auf den Betrieb von Roche?
Hippe: Wir haben während vieler Jahre in eine gute IT-Infrastruktur investiert. Dadurch fiel uns der Wechsel auf Remote Work sehr leicht. Ein Beispiel: Wir sind bereits 2012 von der On-Premises-Variante von Microsoft Office auf Googles Cloud-basierte Anwendungen umgestiegen. Dadurch betrieben wir bereits Anwendungen wie Mailing und Kalender in der Cloud. Damals half uns der Wechsel, indem wir unsere Infrastruktur entlasten konnten. Zusätzlich hat uns der Schritt neue Lösungen wie etwa Google Meet für die Videokommunikation beschert. So konnten dann von einem Tag auf den anderen alle Mitarbeitenden die Lösung nutzen, um beispielsweise virtuelle Team-Meetings durchzuführen und Projekte weiter voranzutreiben.
CW: Es ist aber schon ein Unterschied, ob die Lösungen von einem Teil der Belegschaft eingesetzt wird oder ob auf einen Schlag Tausende Mitarbeitende die Systeme remote als Power User einsetzen. Inwieweit hat Corona die IT-Infrastruktur von Roche in die Knie gezwungen?
Hippe: Eine Herausforderung auf der Infrastrukturseite war sicherlich, die Konnektivität sicherzustellen, etwa für die Nutzung der Virtual Private Networks (VPN). Wir hatten aber über den gesamten Konzern betrachtet genügend Kapazitäten und so konnten praktisch alle umgehend auf die firmeninternen Systeme zugreifen. Wir reden hier von 95 Prozent unserer weltweit rund 90’000 Mitarbeitenden.
CW: Wie haben Sie die Umstellung begleitet?
Hippe: Wir hatten innerhalb einer Stunde ein Team zusammengestellt, unsere sogenannte Pandemic Squad. Die trafen sich in einer Art War Room und kümmerten sich um Themen wie die Bereitstellung von ausreichender Infrastruktur. Oder etwa, wie man Compliance-Regeln am besten kommuniziert, sodass alle auch wissen, wie man im Home Office unsere IT-Systeme korrekt nutzt und was man möglichst unterlassen sollte – Stichwort Shadow-IT. Hinzu kam die Entwicklung möglicher Szenarien im weiteren Verlauf der Pandemie, um frühzeitig Massnahmen zu treffen. Aber auch wesentliche Fragen zum IT-Betrieb standen im Fokus. Wenn man während einer Pandemie zu Hause arbeitet, muss man die Pläne für Betrieb und Services der technischen Infrastruktur neu betrachten. Das war eine gewaltige Aufgabe für unsere Pandemic Squad zu bewerten, welche Teile der Infrastruktur wann und wie unterhalten werden.
CW: Sie haben es schon angesprochen: Durch den Wechsel in den Notbetrieb wurden bei einigen Unternehmen geplante Arbeiten, wie beispielsweise das Aufspielen neuer Software Releases, so lange es ging nicht auf die Systeme aufgespielt. Wie war das bei Ihnen?
Hippe: Wir haben an den Stellen konsequent Veränderungen herbeigeführt, an denen es sinnvoll erschien. Eben das war die Aufgabe der Pandemic Squad. Diese hat genau solche Situationen beurteilt. Das Interessante und Herausfordernde an einem Unternehmen in der Grösse einer Roche ist, dass man überhaupt den Überblick behält über die Gesamtlage und die Veränderungen. Man muss beispielsweise wissen, welche Release-Wechsel anstehen. Wir haben ebenfalls manches aufgeschoben. Aber wir haben auch konsequent dort gewechselt, wo wir mussten und haben das mit besonderer Vorsicht getan.
“Wir hatten in der IT innerhalb einer Stunde eine Pandemic Squad auf die Beine gestellt „
Alan Hippe, Roche
CW: War die Gründung der Pandemic Squad eine Massnahme, die Sie zuvor schon im Rahmen des Business Continuity Management (BCM) geplant hatten oder eine gezielte Reaktion auf den Lockdown im Frühjahr?
Hippe: Die Formation einer Art IT-Feuerwehr war bereits geplant und ist Teil unserer BCM-Strategie. Deshalb konnten wir das Team auch innerhalb einer Stunde aufstellen. Die Gruppe bestand aus etwa zehn Personen und arbeitete von Kaiseraugst aus, ergänzt durch Kolleginnen und Kollegen von weiteren Standorten weltweit.
CW: Wie erging es den Mitarbeitenden der Pandemic Squad in dieser Ausnahmesituation?
Hippe: Leider weiss man nie, wie lange so eine Situation andauert, entsprechend war auch die Pandemic Squad stark beansprucht. In so einer Phase muss man als Führungskraft auch genau im Blick behalten, wie es den Mitarbeitenden geht. So einen Ausnahmezustand kann man drei bis vier Wochen durchhalten, aber nicht während Monaten. Wir mussten uns daher überlegen, wie wir uns längerfristig besser organisieren können, um die Kolleginnen und Kollegen nicht zu verschleissen. Wir haben dann die Organisationsstruktur anders aufgesetzt. Das ist auch eines der Learnings aus dem Lockdown im Frühjahr.
CW: Was heisst anders aufgesetzt?
Hippe: Die Pandemic Squad ist aufgelöst, da wir mittlerweile die Sondermassnahmen in den alltäglichen Betrieb überführt haben – auf der IT-Seite, aber auch in den Fachbereichen. Damit tritt wieder eine gewisse Routine ein, sodass man wieder freie Energien für das eigentliche Business hat.
“Der Lockdown war ein Pressure-Test, den unsere Organisation gut überstanden hat. Auch hat sich gezeigt, dass sich unsere langfristigen Investitionen in die IT voll ausgezahlt haben„
Alan Hippe, Roche
CW: Welche Bilanz ziehen Sie nach dem Härtetest?
Hippe: Ich würde für mich nicht in Anspruch nehmen, dass alles perfekt lief. Wir haben eine ganze Liste mit Learnings. Insgesamt aber bin ich happy – vor allem für mein Team! Der Lockdown war ein Pressure-Test, den unsere Organisation gut überstanden hat. Auch hat sich gezeigt, dass sich unsere langfristigen Investitionen in die IT voll ausgezahlt haben. Wir erhielten viele positive Rückmeldungen und es wurde viel Wertschätzung den IT-Mitarbeitenden entgegengebracht. Solche Schulterklopfer sind natürlich fantastisch und tun gut.
CW: Woran machen Sie das fest?
Hippe: Wir messen regelmässig die Mitarbeiterzufriedenheit. Wir wollen Werte um die 80 Prozent Zufriedenheit erreichen. Wir stehen bei 86 Prozent – dies trotz der Pandemie. Das zeigt, dass unsere Arbeit positiv aufgenommen wurde. Ich darf dazu sagen, wir haben dafür auch viel getan. Wir haben den Mitarbeitenden Equipment geliefert. Wir haben die Experten und Serviceteams miteingebracht. Hierzu zählen etwa unsere 400 Fachleute aus Madrid, die auf das Netzwerk und seine Leistung spezialisiert sind. Wir haben alles dafür getan, dass Roche weltweit weiterhin funktioniert.
CW: Sie brechen als CIO natürlich eine Lanze für Ihr Team. Welchen Status hat die IT normalerweise innerhalb der Roche?
Hippe: Wir sind ein innovationsgetriebenes Unternehmen und uns ist klar, dass Tech und IT Treiber für Innovation sind. Entsprechend wurden wir immer schon sehr wertgeschätzt. Wir investieren dafür jedes Jahr über 3 Milliarden Schweizer Franken in IT und digitale Lösungen. Wir haben als Roche über 30 Software-Anwendungen auf dem Markt. Man könnte auch sagen, dass wir durchaus ein Software-Unternehmen sind. Das zeigt übrigens auch, wohin die Reise im Healthcare-Bereich geht.
Die Roche-IT
Group Informatics
liefert IT-Lösungen, welche die Erforschung, Entwicklung und Einführung von innovativen Medikamenten ermöglichen, mit dem Ziel, das Leben von Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt nachhaltig zu verbessern. Hierfür betreibt Roche sieben grosse IT-Standorte in Basel/Kaiseraugst, Madrid, Warschau, South San Francisco, Mannheim, Indianapolis und Shanghai. Hier beschäftigt das Unternehmen insgesamt über 3600 IT-Mitarbeitende – über 900 davon in der Schweiz.
In Zahlen: Mehr als 130’000 aktive Nutzer, 5’000’000 E-Mails wöchentlich, 84’000 Terabyte Data zugänglich Rund um die Uhr.

Digitale Innovation «Made in Kaiseraugst»

Quelle:

Lucia Hunziker/Roche

CW: Roche hat im Herbst 2017 in Kaiseraugst sein IT-Innovationszentrum in Betrieb genommen. inwieweit haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Hippe: Wir sind zufrieden damit. Wir unterhielten zuvor sieben Standorte für IT zwischen Basel und Kaiseraugst. Die IT-Mitarbeitenden an einem Ort in der Region Basel zusammenzuführen, war ein guter Schritt, auch im Hinblick auf die Innovationsentwicklung. Denn Innovation entsteht auch in der Technologie an Schnittstellen. Daher ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden zusammenkommen und gemeinsam Innovation freisetzen können. Es ist ein Prozess, den wir auch gezielt provozieren wollen.
CW: Wie zum Beispiel?
Hippe: Etwa durch Konferenzen zu neuen Themen wie Blockchain, auch in Kooperation mit externen Partnern. Das ist genau das, was wir bewirken wollen: Dass man zusammenkommt und man sich gegenseitig inspiriert, sodass daraus neue Ideen entstehen. Allerdings ist Kaiseraugst nicht unser einziger Tech-Innovation-Hub. Innovation findet überall in der Organisation statt. Wir haben beispielsweise einen sehr grossen Standort im polnischen Warschau mit rund 400 Mitarbeitenden, verstärkt mit vielen Freelancern im Umfeld des Standorts. Ein weiterer Innovationshub ist in Madrid, wo sich rund 400 Fachleute ausschliesslich mit Connectivity beschäftigen. Während die einen programmieren, stellen die anderen sicher, dass unsere firmeninternen Netzwerke perfekt funktionieren. Das Know-how der Spezialisten in Warschau und Madrid fliesst dann in Kaiseraugst zusammen, um letztlich die Leistung der IT zu erzeugen. Nicht zu vergessen unsere anderen weltweiten Standorte wie San Francisco und die Bay Area.
CW: In Polen liegt der Schwerpunkt auf der Applikationsentwicklung. Was zeichnet den Standort aus?
Hippe: Das ist ein fantastischer Ort für Innovation, weil die Kolleginnen und Kollegen dort eng am Coding dran sind. Sie lernen viel darüber, wie Anwendungen aufgesetzt werden müssen oder wie gut verschiedene Programmiersprachen tatsächlich sind.
“Es ist eine neue Kultur bei den IT-Talenten entstanden„
Alan Hippe, Roche
CW: Wie viele Personen beschäftigen sich mit Digitalprojekten bei Roche?
Hippe: Allein für die IT arbeiten 3000 Fachkräfte. Hinzu kommen die Mitarbeitenden in den Fachbereichen, die sich um Digitalprojekte kümmern. Ich zähle diese deshalb dazu, da IT heute nichts mehr ist, worum man einen Kreis ziehen kann. Zusätzlich arbeiten wir in grossem Umfang mit externen Partnern zusammen. Zu diesen zählen praktisch alle grossen IT-Anbieter. Es ist aber nicht nur ein Sourcing-Thema. Die Zusammenarbeit mit Partnern ist inspirierend und erzeugt Innovationen. Hinzu kommt, dass auch eine neue Kultur bei den IT-Talenten entstanden ist.
CW: Wie äussert sich dieser Kulturwandel und wie gehen Sie damit um?
Hippe: Es gibt eine Menge Leute, die nicht mehr in einem festen Angestelltenverhältnis arbeiten wollen. Die leben und arbeiten beispielsweise auf einer Insel oder an einem anderen wunderbaren Standort und verfügen über spezielles Know-how. Diese Spezialisten wollen sich nicht an ein Unternehmen binden, sondern ihre Expertise bei verschiedenen Klienten einbringen. Die arbeiten vielleicht zwei Tage pro Woche für uns und sind an den anderen Tagen für uns unerreichbar, weil sie dann für weitere Kunden arbeiten. Für die Zukunft stellt sich die Frage, wie man diese externen Mitarbeitenden führt, in die Kommunikation eingliedert und ans Unternehmen bindet. Hierfür haben wir noch keine perfekte Lösung, aber das ist etwas, womit wir uns konzeptionell viel tiefer beschäftigen, als wir das jemals zuvor gemacht haben.
CW: Neben Freelancern und IT-Anbietern partnert Roche auch mit Start-ups und verschiedenen Technologiepartnern. Welche Bedeutung haben diese Partner für den Innovationsprozess bei Roche?
Hippe: Viele unserer Innovationen entstehen durch Partnerschaften. Das ist auch das Schöne an unserem Unternehmen: Wir haben keine Barrieren in den Köpfen und trennen nicht zwischen innen und aussen. Viele unserer Pharma-Innovationen und viele unserer Diagnostik-Innovationen kommen von ausserhalb.
CW: Können Sie ein Beispiel für so eine kooperative Innovation nennen?
Hippe: wäre so ein Produkt. Das ist ein Abstrichtest für die Nase, bei dem man nach 15 Minuten das Ergebnis erhält. Diesen Assay haben wir mit unserem Partner Biosense in Südkorea erarbeitet. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit im digitalen Feld. Alle grossen Tech-Unternehmen dieser Welt spielen bei uns eine Rolle, genauso wie jede grosse Universität. Wir versuchen immer dort Know-how zu sichern und ins Unternehmen einzubringen, wo uns das nach vorne bringt.
“Unser Rapid-Antigen-Test für die Detektion von Covid-19-Infektionen ist ein gutes Beispiel für kooperative Innovationsentwicklung„
Alan Hippe
CW: Welche Lösung steht beispielhaft für digitale Innovation «Made in Kaiseraugst»?
Hippe: Ein gutes Beispiel hierfür ist unser Roche Science Network. Wir kumulieren dort alle wissenschaftlichen Daten für unsere Forschung und stellen diese den verschiedenen Bereichen zur Verfügung.
CW: Wie unterstützt das Roche Science Network die Medikamentenentwicklung?
Hippe: Wer früher ein Medikament entwickeln wollte, musste ein tiefes Verständnis für die Humanbiologie mitbringen. Heute ist zusätzlich Computational Knowledge wichtig, also ein vertieftes Verständnis von Technologie. Das wird deshalb immer bedeutender, da für die Entwicklung neuer Medikamente und Behandlungen Daten eine immer wichtigere Rolle spielen. Im Bereich der pharmazeutischen Forschung verfügen wir über grosse Datenmengen, die aber nicht immer in der gleichen Struktur vorliegen. Hinzu kommen Varianzen, etwa bei genetischen Daten und verschiedenen Technologien. Das ist Data Science at it’s best! Wir kumulieren die Daten und versuchen, sie gewissermassen zu heilen, sodass sie unter wissenschaftlichen Kriterien analysierbar sind. Das Roche Science Network stellt diese Daten den verschiedenen Forschungseinheiten weltweit zur Verfügung.

Roche auf dem Weg zur Tech-Company

CW: Wie kann man sich das vorstellen? Wenn jemand in Basel in der Proteomics-Forschung eine Idee hat, vereinbart er dann einen Termin mit jemanden aus der IT in Kaiseraugst, dann trifft man sich, diskutiert und man macht ein Projekt, oder wie muss man sich das vorstellen? 
Hippe: Jeder Forschungsbereich hat einen IT-Head, mit der oder dem man die Idee besprechen kann. Anschliessend werden die entsprechenden Fachspezialisten aus dem Tech-Bereich hinzugezogen. Ein Beispiel einer solchen Entwicklung ist Navify, unsere Cloud-Plattform für onkologische Fallbesprechungen unter medizinischen Fachleuten. Die Idee entstand in der Basler Forschung und wurde dann gemeinsam mit unseren polnischen Programmierern umgehend realisiert und am Markt lanciert.
CW: Was bietet Navify Medizinern und Patientinnen?
Hippe: Wenn Sie heute Krebs haben und State of the Art behandelt werden, dann wird Ihre behandelnde Ärztin oder der Arzt Ihre Daten auswerten und dann mit weiteren Fachspezialisten einen Behandlungsweg entwickeln. Navify hilft, solche Sitzungen vorzubereiten, indem es die medizinischen Bilder, Ergebnisse von Blut- und Gewebeuntersuchungen sowie weitere Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenführt. So haben Mediziner die neusten Forschungsergebnisse und Daten des Patienten vor sich. In den grossen Spitälern haben Mediziner für so eine eigentlich umfangreiche Diskussion im Durchschnitt rund sechs Minuten Zeit. Entsprechend hilft es, wenn alle relevanten Daten digital aufbereitet sind und man direkt in die Diskussion einsteigen kann. Und das ist natürlich eine erhebliche Verbesserung für den gesamten Prozess.
“Der Erfolg von Roche basiert auf der Arbeit hochtalentierter Menschen in der IT wie in der Healthcare„
Alan Hippe, Roche
CW: Woher nehmen Sie die Fachkräfte dafür?
Hippe: Der Erfolg von Roche basiert auf der Arbeit hochtalentierter Menschen in der IT wie im Bereich Healthcare. Wir wollen die Besten haben, weil wir für die Gesellschaft etwas erzielen wollen. Wir sind eine Purpose-driven Company: «Doing now what patients need next», das ist unser ultimatives Ziel. Insbesondere die jüngere Generation der Talente sucht nach Purpose in ihrem Job. Die möchten etwas tun, um die Welt zu verändern, sodass sie später sagen können: «Ich habe bei dieser Lösung mitgewirkt und das Leben von Patienten dramatisch verbessert.» Genau das kann man bei Roche.
CW: Welche weitere Entwicklung beobachten Sie am Fachkräftemarkt?
Hippe: Die biomedizinische Forschung erfordert zunehmend ein IT-getriebenes Denken. Für unseren Forschungsstandort in South San Francisco konnten wir als Leiterin Aviv Regev gewinnen. Sie ist Expertin für Computational Biology. In Zukunft geht es in der biomedizinischen Forschung immer mehr darum, wie man Zellen modellieren kann, wie man mit Daten, die man findet, Wirkungszusammenhänge in der Biologie erklären kann. Das heisst aber auch, dass wir natürlich einen viel grösseren Bedarf haben an Leuten, die sowohl Tech- als auch Biologie-Know-how verknüpfen.
“Wir werden einen viel grösseren Bedarf haben an Leuten, die technisches und biologisches Know-how verknüpfen können„
Alan Hippe, Roche
CW: Von diesen Fachkräften werden viele noch in der Ausbildung sein. Woher nehmen Sie die Fachkräfte heute?
Hippe: Den Fachkräftemangel mag es in einzelnen Bereichen geben. Als Unternehmen mit über 100’000 Mitarbeitern gibt es immer offene Stellen. Aber wir verzeichnen ebenfalls einen Zufluss an Talenten. Wenn es um Themen wie Biologie, Pharmazie und Diagnostika geht, zählt Roche zu den Top-Unternehmen der Welt. Auch haben wir das Glück, dass wir Top-Talente in der gesamten Welt anwerben können.
CW: Das heisst aber auch, Roche wird eigentlich immer mehr zu einer Art Tech Company?
Hippe: Grundsätzlich ist das so. Aber ich denke, dass sich auch durch Covid-19-bedingt einiges verändern wird im Gesundheitswesen.
Zur Firma
Roche
mit Hauptsitz in Basel ist in über 100 Ländern tätig. 2019 beschäftigte das Life-Sciences-Unternehmen weltweit rund 98’000 Mitarbeitende. Zur Roche-Gruppe zählt die kalifornische Genentech, an der japanischen Chugai Pharmaceutical hält die Gruppe die Mehrheit. Vergangenes Jahr setzte Roche 61,5 Milliarden Franken um und zählt damit zu den Top-Playern der Branche. Unter dem Motto «Doing now what patients need next» entwickelt Roche Medikamente und Diagnostika in den Bereichen Onkologie, Immunologie, Augenheilkunde sowie Erkrankungen des Zentralnervensystems. 2019 investierte der Konzern 11,7 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung.

Durchbruch bei der personalisierten Medizin und das elektronische Patientendossier (EPD)

Quelle: Lucia Hunziker/Roche
CW: Die Covid-19-Forschung hat neue Wege aufgezeigt, etwa in der Diagnostik. Inwieweit kann Covid-19 die Digitalisierung im Healthcare-Markt beschleunigen?
Hippe: Wir haben alle gesehen, dass gerade Länder, die kein so gutes Testing Equipment hatten und keine so gute Diagnostika-Infrastruktur, sich schwergetan haben. Die Entwicklung wird natürlich bewirken, dass mehr getestet wird. Das bedeutet aber auch, es entstehen mehr diagnostische Daten, die man auswerten kann. Dieses Momentum gilt es zu nutzen, sodass wir auf Basis von Daten Patienten noch zielgerichteter und individueller behandeln können als heute. Wir werden mit Daten Leben retten.
CW: Welche Vorteile könnten sich durch Insights in Daten für die personalisierte Medizin ergeben?
Hippe: Patienten können nicht nur zielgerichtet, sondern auch besser behandelt werden. Im Endeffekt spart das Kosten im Gesundheitssystem, denn es wird an der Stelle Geld ausgegeben wird, wo es auch für Patienten einen Unterschied macht.
CW: Wie zeigen sich diese individuellen Unterschiede in der Behandlung?
Hippe: Es gibt z. B immer mehr hochspezialisierte Medikamente, die auf ganz spezielle Mutationen ausgerichtet sind. Aber um die einzusetzen, muss man die Mutationen auch kennen und muss wissen, dass der Patient diese hat. Um das festzustellen, muss man zunächst die entsprechenden Genabschnitte sequenzieren. Das wird nicht nur in der Onkologie so sein. Ich denke, das ist auch durchaus vorstellbar in Bereichen wie zentrales Nervensystem oder Kardiologie.
CW: Die personalisierte Medizin ist ja nun doch schon seit rund zwei Dekaden ein Thema und ein wichtiger Treiber der Life Sciences. Wo stehen wir heute?
Hippe: Ich glaube, dass wir da vor einem Durchbruch stehen. Aber es ist eben auch klar, dass noch mehr Daten gebraucht werden. Das heisst nicht, dass die Daten nicht vorhanden sind, aber die Daten können nur schwer zusammengeführt werden. Hier wollen wir mit dem Roche Science Network zunächst intern Abhilfe schaffen, wo wir wissenschaftliche und Gesundheitsdaten, die in der Roche schon existieren, zusammenführen. Ich denke, das ist auch eine Grundsatzfrage im Gesundheitswesen. Wie können Daten standardisiert in Data Lakes eingebracht werden, sodass man sie zum Wohle der Patienten optimal analysieren und auswerten kann.
CW: Ich höre bereits die Datenschützer Luft holen ...
Hippe: Wir sind heute sehr wohl in der Lage, Daten derart zu anonymisieren, dass die Identität der individuellen Person, die dahintersteht, nicht nachvollziehbar ist. Ich glaube, das ist ganz wichtig! Wenn wir beispielsweise heute Daten hätten über zehn Jahre von allen Patienten, die mit Avastin behandelt worden sind, und wie bestimmte Subgruppen mit bestimmten Mutationen darauf reagiert haben, wären wir in der Krebsforschung eventuell ein ganzes Stück weiter als heute.
“Wir sind heute sehr wohl in der Lage, Daten derart zu anonymisieren, dass die Identität der individuellen Person, die dahintersteht, nicht nachvollziehbar ist. Ich glaube, das ist ganz wichtig!„
Alan Hippe
CW: Wenn man die Entwicklung weiterdenkt, müsste doch eigentlich Roche ebenfalls Teilnehmer des elektronischen Patientendossiers werden, oder nicht?
Hippe: Naja, wir machen das ja zum Teil heute schon. Über unser US-Tochterunternehmen Flatiron beispielsweise, das Hospitäler in den USA mit Electronic Medical Records ausrüstet, also mit elektronischen Patientendossiers. Flatiron bereitet die unstrukturierten Daten auf, anonymisiert und analysiert sie, sodass die Daten auswertbar sind. Das ist derzeit Ausdruck dessen, was in den USA passiert und auch hoffentlich flächendeckend standardisiert in Europa.
CW: Aber diesbezüglich sind wir in der Schweiz ja noch immer in der Diskussion. Inwieweit sind Sie hier in der schweizweiten Diskussionen als Roche involviert?
Hippe: Wir sind in die landesweiten Diskussionen involviert und sind auch mit Pilotprojekten dabei. Auch beim Zusammenfassen von Daten zwischen Spitälern, weil natürlich diese Real-World-Daten in der Tat für Patienten grosse Unterschiede machen können. Aber die Datensammlung muss auch moralisch vertretbar sein.
CW: Nun ist aber momentan dem elektronischen Patientendossier eher die Luft aus den Segeln genommen worden. Vielmehr herrscht sogar Gegenwind. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Hippe: Ich denke, Covid-19 wird uns vieles lehren. Wir werden als Gesellschaft erkennen, welche Chancen im elektronischen Patientendossier für den Einzelnen liegen. Natürlich kann man immer Befürchtungen und Sorgen haben. Doch man muss auch die riesige Chance sehen. Um diese zu ergreifen, sind übergreifende Lösungen zwischen Technologie und kumulierten Daten notwendig.
“Covid-19 wird uns vieles lehren. Wir werden als Gesellschaft erkennen, welche Chancen im elektronischen Patientendossier für den Einzelnen liegen„
Alan Hippe, Roche
CW: Wenn sich Pharmafirmen zu Tech-Companies entwickeln, die datengetrieben Produkte und neuartige technische Lösungen entwickeln, inwieweit werden dann Google und Co., die ja ebenfalls an Lösungen im Healthcare-Bereich arbeiten, zu ihren Mitbewerbern?
Hippe: Das ist eine interessante Frage, mit der wir uns natürlich beschäftigt haben. Letztlich sind unsere Ansätze aber komplementär. Wir beziehen beispielsweise Daten von Google, die wir gut gebrauchen können. Umgekehrt stellen auch wir Daten zur Verfügung. Wir schätzen die technischen Fähigkeiten, die Google hat. Daher würde ich Technologiefirmen wie Google, AWS oder Microsoft eher als Enabler charakterisieren denn als Wettbewerber.
CW: Sie weisen den Wettbewerb mit Google und Co. aber nicht völlig von der Hand.
Hippe: Das nicht, aber es ist relativ schwer, das tiefe und umfangreiche biologische Know-how, das wir haben, neu zu generieren. Natürlich kann man versuchen, sehr viele Ärzte anzuheuern, um sich dieses Fachwissen zu erarbeiten. Allerdings haben wir einen massiven Vorsprung.
CW: Können Sie diesen Vorsprung beziffern?
Hippe: Wir investieren jedes Jahr über 12 Milliarden Schweizer Franken in Forschung und Entwicklung. Das zeigt auch, wie stark unser Streben nach Innovation ausgeprägt ist. Ich denke, das ist relativ schwer zu replizieren.
CW: Sie haben vorhin gesagt, Sie geben über 3 Milliarden Schweizer Franken für IT aus. Wie viel von diesem Budget fliesst in die IT-Forschung?
Hippe: Das ist ein erheblicher Teil und wichtig, da wir im Tech-Bereich die Freiheit haben zu experimentieren. Wir kaufen Technologien ein und testen diese in Pilotprojekten. Wenn wir dann der Meinung sind, dass uns eine getestete Technik hilft, dann führen wir sie in der Breite ein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn wir ein innovatives Produkt auf der Software-Seite entwickeln und testen, dann wissen wir noch nicht, wie gut sich das Produkt anschliessend am Markt etablieren wird. Hier arbeiten wir ähnlich iterativ wie Tech-Unternehmen, aber auch vergleichbar mit den Prozessen unserer pharmazeutischen Produktentwicklung. In der Diagnostik können wir zielgerichteter vorgehen. Wenn wir hier etwas entwickeln, geht es in aller Regel auch in den Markt. Aber in der Pharma ist das anders. Entweder haben wir ein Medikament, dann ist es toll, oder wir haben es eben nicht. Es gibt nichts dazwischen, das ist sozusagen binär.

Diese Trends werden die Life Sciences prägen

Quelle: Lucia Hunziker/Roche
CW: Welche drei IT- respektive Tech-Trends werden die Life Sciences in dieser Dekade prägen?
Hippe: Ich bin überzeugt davon, dass in der Zukunft Ökosysteme entstehen werden, beispielsweise in bestimmten Krankheitsgebieten wie etwa in der Onkologie. Diese Entwicklung zeichnet sich bereits heute ab.
CW: Was für ein Szenario erwarten Sie?
Hippe: Wenn Sie heute Krebspatient sind, dann hat Ihre Onkologin rund 1500 alternative Wege, Sie zu behandeln. In fünf Jahren wird sie gemäss Schätzungen verschiedener Experten über 30’000 Alternativen zur Verfügung haben. Ein weiterer Trend ist die personalisierte Medizin. Roche bietet beispielsweise einige Präparate an, die hochspezifisch wirken. Diese Mittel können nur dann ihre heilende Wirkung entfalten, wenn bei Patienten bestimmte genetische Mutationen vorliegen.
“Heute gibt es 1500 alternative Wege, Krebs zu behandeln. In fünf Jahren werden es über 30'000 sein„
Alan Hippe
CW: Roche investiert in die Datennutzung. Welche Entwicklungen antizipieren Sie hier?
Hippe: Ein weiterer Treiber sind Insights – also vertiefte Einblicke in Patientendaten, um eine optimale Behandlung von Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Diese Entwicklung zeichnet sich in der Onkologie ab, die Augenheilkunde könnte folgen. Wir haben zahlreiche Datensätze von Augen. Wir machen so viele Bilder von unseren Augen heutzutage, allein schon durch Videokonferenzen. Hier muss man sich fragen, inwieweit man diese Aufnahmen auch während vieler Jahre sammeln, auswerten und daraus neue Erkenntnisse für die Ophthalmologie gewinnen kann? Konkret heisst das für uns, ob die durch Daten gewonnenen Erkenntnisse anzeigen, dass ein Patient für unser Augenpräparat Lucentis geeignet ist. Für die Felder zentrales Nervensystem und Kardiologie gehe ich von einer vergleichbaren Entwicklung aus. Der dritte grosse technologiegetriebene Trend ist ein noch tieferes Verständnis der Biologie.
CW: Lassen Sie uns etwas philosophisch werden. Technik ist grundsätzlich etwas Totes und Kaltes. Wie können wir ausgerechnet durch den Einsatz von digitalen Technologien lebende Wesen besser verstehen und ihnen Heilung verschaffen?
Hippe: Ich denke, dass wir durch die Auswertung von Daten und Computational Knowledge den Menschen in seiner systemischen Beschaffenheit tief greifender erkennen können. Wir fangen heute schon an, Zellen zu modellieren, und untersuchen, wie sie miteinander interagieren. Über diesen Weg wird man dann bessere Hypothesen ableiten können, was am Ende auch zu besseren Forschungsergebnissen führen wird. All dieses gewonnene technische und biologische Wissen, eingebracht in Ökosysteme, wird den Life Sciences einen massiven Schub verleihen, was letztlich uns allen zugutekommen wird.
“Mich begeistert, dass IT Türen aufmacht, die man vorher gar nicht öffnen konnte„
Alan Hippe, Roche
CW: Was fasziniert Sie persönlich an der IT?
Hippe: Mich begeistert, dass IT Türen aufmacht, die man vorher gar nicht öffnen konnte. Rechenleistung, Software-Qualität und Übertragungskapazitäten via Wi-Fi wurden massiv gesteigert, sodass wir heute viel mehr Daten als früher analysieren können. Früher mussten wir Fachbücher und Lexika heraussuchen, um an relevante Informationen zu gelangen. Heute zückt man das Smartphone und ruft den entsprechenden Wiki-Artikel auf. Auch wie sich der Austausch von Wissen verändert hat, ist grossartig. Ich habe durch den virtuellen Austausch mit meinen weltweiten Finanzkollegen in einer Stunde mehr gelernt über die Abläufe in verschiedenen Ländern als in den letzten Jahren zuvor. Das hat uns überhaupt erst befähigt, Roche «Up and Running» zu halten.
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