Red Hats Léonard Bodmer
29.08.2018, 16:30 Uhr
«Open Source sichert den Kunden die Wahlfreiheit»
Die Informatik-Infrastruktur von Schweizer Firmen wandert je länger, je mehr in die Cloud. Dafür ist der Software-Anbieter Red Hat gut aufgestellt, sagt Country Manager Léonard Bodmer.
Lange Jahre lieferte der Software-Hersteller Red Hat Linux-Serverbetriebssysteme an Schweizer Firmen. Dieses Geschäft hat sich verändert, sagt Country Manager Léonard Bodmer im Interview mit Computerworld.
Computerworld: Was treibt Sie und Red Hat Switzerland um?
Léonard Bodmer: Red Hat will relevanter werden für die Kunden. Wir haben mehr als Linux und ein Server-Betriebssystem zu bieten. Wir liefern von der Hardware bis zur Applikation den ganzen Software Stack für das Datacenter und die Cloud.
Die Lösungen sind fixfertig für Hybrid Clouds und Multi Clouds. Red Hat ist zertifiziert für alle grossen Cloud Vendors, so dass Kunden nicht mehr Gefahr laufen, sich zu eng an einen Anbieter zu binden. Unsere Software läuft auf allen Hyperscaler-Plattformen, so dass die Unternehmen jederzeit wechseln können.
Ein Nutzer ist das Unternehmen Vorwerk. Der Industriekonzern hat unter anderem seine Rezepte-Plattform «Cookidoo» mit Red-Hat-Technologie aufgebaut. Dabei setzt Vorwerk voll auf die Public Cloud, um flexibel zu sein und die Kosten managen zu können. Neben Amazon und Azure schauen die Verantwortlichen auch Alibaba an, um allenfalls den chinesischen Markt bedienen zu können.
Computerworld: Ist Red Hat für Alibaba zertifiziert?
Bodmer: Ja, seit gut einem Jahr. Für Schweizer Unternehmen, die den Eintritt in den chinesischen Markt erwägen, gibt es quasi keine Alternative zu Alibaba. Darauf muss Red Hat vorbereitet sein, zum Beispiel mit der Zertifizierung unserer Lösungen für die Cloud-Angebote des chinesischen Internet-Konzerns. Aber auch für lokale Provider in der Schweiz ist Red Hat zertifiziert. Wir partnern mit circa 20 Unternehmen, darunter Netcloud und Swisscom.
Computerworld: Sind die Schweizer Anwender bei neuen Infrastruktur-Themen eher Leader oder eher Follower?
Bodmer: Es gibt sehr viele Follower in der Schweiz. Sie setzen erst dann auf neue Technologien, wenn sie schon von fünf oder zehn anderen Unternehmen adaptiert worden sind. Jüngst habe ich beispielsweise von einem IT-Verantwortlichen gehört, dass er von HP Unix nun auf IBM AIX wechselt. Für solche Entscheide habe ich kein Verständnis.
Allerdings gibt es auch diverse Unternehmen, die früh auf neue Technologien aufspringen, zum Beispiel LeShop. Die Migros-Tochter ist der erste Kunde, der auf OpenShift gewechselt hat. Dort wurde das Management frühzeitig ins Boot geholt und unterstützte das Projekt.
Ein weiterer Kunde mit OpenShift ist die SBB. Die App läuft im Backend auf OpenShift. Dabei geschieht die Fahrplanabfrage über die Amazon-Cloud. Eine Ticketbestellung passiert allerdings im Rechenzentrum in Bern. Die SBB hat hier aus Sicherheitsgründen eine klare Trennung realisiert, wobei OpenShift die notwendige Flexibilität bot.
Jenseits der App hat SBB weitere 200 Applikationen auf die Plattform migriert. Ein Beispiel ist die Anwendung für Mitarbeiter im Gleisbett. Die Software steuert Sensoren in den Sicherheitswesten. Wenn sich ein Zug der Baustelle nähert, werden die Arbeiter über ihre Weste alarmiert. Hier wird OpenShift quasi zu einer lebensrettenden Lösung.
Zur Person
Léonard Bodmer
ist seit Oktober 2010 Country Manager Switzerland. Er arbeitet seit fast 18 Jahren in der IT-Branche und war in unterschiedlichen Sales- und Management-Positionen bei IBM tätig – zuletzt als Sales Leader bei IBM Switzerland und Austria. Davor arbeitete Bodmer mehrere Jahre im früheren europäischen Hauptquartier von IBM in Paris. Er verfügt über ein Diplom in Betriebsökonomie.
Das Ende der klassischen IT
Computerworld: Bahnt sich allenfalls ein Ende für die klassische Informatik-Infrastruktur an? Übernehmen die Cloud, Container und Hyperscaler?
Bodmer: Auch die Cloud ist mit Vorsicht zu geniessen. Die Hyperscaler und auch die kleineren Cloud-Anbieter können durchaus der nächste Vendor-Lock-in sein. Wie heute Anwendungen und Daten in bestimmten Systemen «gefangen» sind, können in Zukunft die Prozesse ausschliesslich in der Amazon-Cloud (oder Google, oder Microsoft, oder Oracle, oder Swisscom) lauffähig sein. Dann drohen wieder die Kosten zu explodieren, weil die Kunden keine Wahl haben. Eine Lösung heisst Open Source, was den Kunden die Wahlfreiheit sichert.
In Zukunft wird es immer mehr industriespezifische Clouds geben. Ein Anbieter spezialisiert sich auf Kunden aus der Finanzindustrie, ein zweiter auf die Pharmabranche, ein dritter auf die öffentliche Hand. In den Infrastrukturen sind dann branchenspezifische Regulatorien schon in Informatik abgebildet, so dass die Kunden diese Verantwortung noch abgeben können.
Computerworld: Sehen Sie schon Ansätze für diese industriespezifischen Clouds? Die Swisscom könnte in der Finanzdienstleistungsbranche schon ein Vorreiter sein.
Bodmer: In der Schweiz wird das Thema von den Independent Software Vendors getrieben, zum Beispiel Avaloq, Finnova oder Temenos. Die Anbieter müssen von den monolithischen Applikationen wegkommen und sich in Richtung von Containern entwickeln. Anschliessend können die Kunden den Betrieb den BPO- oder Managed-Services-Anbietern übergeben. Hierzulande wird die Entwicklung Bottom-up geschehen. Global könnte die Entwicklung durchaus Top-down passieren – wenn die Hyperscaler mit granularen Produkten oder nur Prozessen kommen.
“Wachstum ist für uns seit jeher eine Herausforderung„
Léonard Bodmer, Red Hat Switzerland
Computerworld: Welche Hindernisse hat Red Hat beim Wachstum?
Bodmer: Wachstum ist für uns seit jeher eine Herausforderung. Red Hat wächst seit 61 Quartalen mit rund 20 Prozent. Wenn das anhält, beschäftigen wir demnächst 20'000 Leute. Aber diese vielen neuen Kollegen müssen auch adäquat in die bestehenden Strukturen integriert werden.
In der Schweiz gibt es zwar viele hoch talentierte Kandidaten, die aber auch sehr umworben sind. In Gremien wie dem Branchenverband Swico ist immer wieder von einem Mangel die Rede. Circa 30'000 Leute fehlen, heisst es da. Das bestreite ich nicht. Meine Lösung lautet aber: Es muss eine Umverteilung stattfinden. Die klassischen Datenbank-Administratoren und Engineers sollten sich neu orientieren und sich mit den modernen Infrastrukturen auseinandersetzen. Leider ist der Widerstand in der Belegschaft gegen die Veränderung noch sehr gross.
Hinzu kommt, dass ein Unternehmen wie Google in der Schweiz stark expandiert. Bei den 4000 Mitarbeitern, die sie anstreben, bleibt dann für ein kleines Haus wie Red Hat nicht mehr viel übrig.
Nachbar Google
Computerworld: Wie gross sind Ihre Bedenken, dass die zukünftigen Nachbarn in der Europaallee (Google) Ihnen die Leute abwerben?
Bodmer: Google zügelt demnächst mit tausenden Angestellten hier in das Quartier. Ich kann mir schon vorstellen, dass es vereinzelte Wechsel gibt, aber prinzipiell sind meine 80 Kollegen schon happy mit ihren Jobs. Die meisten meiner Angestellten arbeiten zielorientiert mit vielen Freiheitsgraden. Sie sind verantwortlich für bestimmte Projekte – so wie ich verantwortlich bin für die gesamte Schweizer Organisation. Ich übertrage den Kollegen die volle Kontrolle – mit allen positiven wie negativen Konsequenzen. Denn wir haben eben nicht tausende Mitarbeiter. Jeder sieht, wenn's gut läuft. Aber jeder sieht es auch, wenn es einmal nicht läuft. Diese Transparenz steigert einerseits den Druck, sie motiviert andererseits aber auch. Dabei orientieren wir uns sehr an dem Open-Source-Gedanken: «The best idea wins.» Der Sales-Mitarbeiter kann durchaus im Recht sein – auch wenn ich glaube, es besser zu wissen. Nur weil ich der Chef bin, habe ich dann nicht automatisch recht.
“Nur weil ich Chef bin, habe ich nicht automatisch recht„
Léonard Bodmer, Red Hat Switzerland
Computerworld: Wie gewinnen Sie die Talente für sich?
Bodmer: Die Berufseinsteiger bei Red Hat haben mir zurückgemeldet, dass bei ihnen zwei Gründe den Ausschlag für die Wahl des Arbeitsgebers gegeben hat: Der fortwährende Change in der Organisation und die Freiheit von Open Source.
Diese Vorzüge haben aber beispielsweise unsere Kunden nicht. Die Verantwortlichen aus Banken und Versicherungen berichten von grossen Problemen, den Nachwuchs auf sich aufmerksam zu machen. Sie locken zwar mit hohen Löhnen, das Geld ist aber nur ein Faktor für die Talente. Die flexible Arbeitszeit und der selbst wählbare Arbeitsort sind ebenfalls wichtige Faktoren. Red Hat hat beispielsweise bewusst den Standort an der Europaallee ausgewählt, um den Kandidaten entgegen zu kommen. Sie wollen an einem gut erreichbaren und zentralen Ort arbeiten – nicht in Baden oder Wallisellen.
Computerworld: Welche Pläne haben Sie mit der Belegschaft und dem Geschäft von Red Hat Schweiz?
Bodmer: Natürlich wollen wir weiter wachsen. Das bedingt auch, dass wir die Organisation neu aufstellen werden. Von den rund 80 Kollegen in der Schweiz sind circa 50 allein am Standort Zürich versammelt. Hier müssen wir über eine neue Management-Ebene sprechen, damit die Unternehmung skalierbarer wird als heute.
Computerworld: Welche Pläne haben Sie mit Red Hat Schweiz für die nähere Zukunft?
Bodmer: Aktuell knüpfen wir enge Partnerschaften mit den Schweizer Niederlassungen von grossen Partnern. Wir arbeiten viel mir Accenture zusammen, mit Microsoft demnächst ebenfalls. Neu hinzu kommen wird IBM, die den Betrieb von Avaloq übernehmen werden, und dann auch Red Hat einsetzen wird.
Computerworld: Haben Sie spezielle Pläne für die Westschweiz?
Bodmer: Es gibt ein Office in Neuchâtel. Weitere sechs Kollegen in der Westschweiz mieten sich bei Bedarf in Coworking Spaces in Lausanne ein. Wenn wir dort noch weitere Mitarbeiter gewinnen, könnten wir eine weitere Niederlassung eröffnen.
Zur Firma
Red Hat
wurde 1993 von Marc Ewing gegründet. Der Firmenname geht auf den roten Lacrosse-Hut zurück, den Ewing von seinem Grossvater geschenkt bekommen hatte. Zwei Jahre später folgte der Zusammenschluss mit dem kanadischen Linux- und Unix-Händler ACC von Bob Young. Young übernahm das Amt des CEO. Heute führt Jim Whitehurst den Konzern, der durch die Fokussierung auf Geschäftskunden und diverse Übernahmen zu einem Milliarden-Unternehmen geworden ist.