11.04.2011, 06:00 Uhr

Oracle gegen alle

An die 50 Firmenaufkäufe, Gerichtssieg gegen SAP, blendende Geschäftszahlen – Oracles Erfolgsserie scheint ungebrochen. Aber die Konkurrenz schliesst die Reihen.
Oracle hat in den letzten Jahren mehrere Dutzend Unternehmen an Land gezogen wie Fische aus dem Karpfenteich. Aber der entscheidende Goldfisch hiess Sun Microsystems. Denn mit Sun-Hardware ist Oracle nun in der Lage, sogenannte Business-Appliances, also optimal aufeinander abgestimmte Hardware-Software-Pakete, auf den Markt zu werfen. Kunden bleibt dadurch die zeitaufwendige Konfiguration der Maschinen erspart, sie gehen sehr schnell in den produktiven Einsatz. Kein anderes Unternehmen ist derzeit so perfekt dazu in der Lage; der Rest der IT-Hemisphäre zerfällt immer noch in Software-Zelte und Hardware-Burgen. Oracles Appliance-Argument, ein echter «unique selling point», überzeugt. Oracle-CEO Larry Ellison traktierte denn auch kräftig die Werbetrommel und präsentierte im Herbst letzten Jahres die Datenbankmaschine Exadata und die Cloud-Monstermaschine Exalogic (cloud in a box). In beiden Appliances werkelt optimal auf (Sun-)Hardware zugeschnittene Oracle-Software. Auch der Preis für die Exalogic Cloud sei recht attraktiv, meinte Ellison süffisant auf der Oracle Open World in San Francisco. Die Lösung kostet nämlich schlappe 1,075 Millionen US-Dollar. Verglichen mit dem Konkurrenzprodukt von Big Blue, der IBM Power 795, biete sein Produkt die zehnfache Kapazität, koste aber nur ein Viertel. Oracle President Mark Hurd, vor einigen Monaten von HP zum Datenbankkrösus konvertiert, hakte gleich nach: Die neue Exadata X2-8 führt Data-Warehouse-Anfragen zehnmal schneller aus und komprimiert Daten um den Faktor 10 schneller (als die Konkurrenz). Super-Benchmarks, Monstermaschinen und Rekorde, darum war man bei Oracle noch nie verlegen. Aber die Strategie scheint aufzugehen: Im zweiten Quartal des Geschäftsjahrs 2011 stieg der Umsatz um 47 Prozent auf 8,582 Milliarden US-Dollar; der Nettogewinn machte einen 28-Prozent-Sprung auf 1,870 Milliarden US-Dollar (beide Angaben im Vergleich zum Vorjahresquartal). Oracle hat, so scheints, nicht nur Hardware und Software, sondern auch Umsatz und Gewinn optimal aufeinander abgestimmt. Auf der nächsten Seite: «Die Konkurrenz wacht auf»

Die Konkurrenz wacht auf

Gut möglich jedoch, dass Ellisons triumphale Erfolgsserie bald an Tempo verliert und Oracles Erfolgsblase so langsam die Luft ausgeht. Denn das stichhaltige Appliance-Argument hat nicht nur die Kunden, sondern auch die Konkurrenten überzeugt. Microsoft und HP – der weltgrösste Software- und der weltgrösste Hardware-Produzent – schlossen eine heilige Allianz und verpflichten sich, in den nächsten drei Jahren zusammen 250 Millionen Dollar in Appliance-Gemeinschaftsprojekte zu investieren, die sich deutlich gegen Oracle richten. Bei den neuen Angeboten handelt es sich um die HP Business Decision Appliance, die HP Enterprise Data Warehouse Appliance (EDW), das HP E5000 Messaging System for Microsoft Exchange Server 2010 und die HP Database Consolidation Appliance. Die Decision Appliance und die EDW Appliance sind bereits auf dem Markt; die beiden anderen sollen im Laufe der nächsten Monate folgen. Das Enterprise Data Warehouse mit SQL Server 2008 R2, für das Unternehmen mindestens 1,5 Millionen Euro auf den Tisch legen müssen, richtet sich explizit gegen Oracles Exadata-Datenbankmaschine. Aber auch sonst hängt der Haussegen zwischen den ehemaligen Partnern HP und Oracle gewaltig schief, und es geht dabei nicht nur um Technologie, sondern auch um Persönliches. Der Tragödie erster Teil: Ex-HP-Chef Mark Hurd verhedderte sich bei HP im Gestrüpp falscher Spesenabrechnungen, wurde geschasst und kurz entschlossen von Oracle-Chef Ellison angeheuert. Ohne Risiko, denn seit der Übernahme von Sun ist Oracle auf Hardware der Marke HP nicht mehr angewiesen. Währenddessen orakelte man bei HP, ob Ex-Chef Hurd nicht möglicherweise HP-Firmengeheimnisse an den Jetzt-Konkurrenten Oracle ausplaudern könnte. Warum ein unnötiges Risiko eingehen? HP kündigte also sein Abo für Oracle Siebel CRM (Customer Relationship Management) und tauschte es kurzerhand gegen Salesforce CRM ein. Die offizielle Begründung zielte in eine ganz andere Richtung: Man wolle durch den Systemwechsel Kosten einsparen, hiess es.

Krieg der Architekturen

Nicht nur ganz unten an der Sun-Hardware-Basis des Oracle-Stacks rumort es, auch ganz oben auf dem Application Layer, wo die geschäftlichen Anwendungen laufen, tobt der Krieg der Systeme. Die Silberkugel steckt schon im Lauf: Im zweiten Quartal 2011 sollen die Oracle Fusion Apps, etwa 100 geschäftliche Anwendungen von HR, CRM bis Finanzmanagement, in der Schweiz und weltweit auf den Markt kommen. Oracles Business Apps sind konsequent modular aufgebaut, flexibel kombinierbar und richten sich gegen Konkurrenten wie den ERP-Weltmarktführer SAP. Das Produktportfolio ist dazu angetan, der Konkurrenz das Fürchten zu lehren. Sämtliche Module sind in Java programmiert und – ein Riesenvorteil – laufen on-premise und in der Cloud (Software as a Service). Die Details: Financial Management: Accounts Payable/Receivable, Asset Management, Payment & Calculation, Cash & Expense Management, KPIs, Dashboards. Human Capital Management (HR): Global Human Resources, Workforce Management, Benefits, Compensation Management, Talent Review, Performance & Goal Management, KPIs, Dashboards. Supply Chain Management: Product Master Data, Distributed Order Orchestration, Order Promising, Inventory Management, Cost Management, Shipping & Receiving, KPIs, Dashboards. Procurement: Purchasing, Sourcing, Contacts, Supplier Portal, Spend & Performance Analysis, KPIs, Dashboards. Project Portfolio Management: Project Costing/Billing, Performance Reporting, Project Control, Project, Integration Gateway, Trans­actions, KPIs, Dashboards. Sales & Marketing: Customer Master Data, Sales, Marketing, Incentive Comparison, Mobile & Outlook Integration, Territory & Quota Management, KPIs, Dashboards. Fusion Mobile Platform: für alle sechs oben erwähnten Anwendungsgruppen Fünf Jahre lang hat Oracle an seinen Fusion Apps gebastelt, Code-Teile aus der Software seiner Firmenaufkäufe in Java reprogrammiert und integriert. Das sei ein ganz schönes Stück Arbeit gewesen, meinte Ellison auf der Open World. Oracle verkauft seine modularen Apps als neue Generation von Business-Anwendungen (on-premise und Cloud), die der veralteten Technologie der Konkurrenz überlegen sei. Die Fusion Apps benötigen für den Betrieb allerdings Oracle Fusion Middleware. Ohne ein vermittelndes Layer wäre die Integration der zahlreichen Software-Aufkäufe, die der Konzern in den letzten Jahren getätigt hat, wohl auch gar nicht zu bewerkstelligen gewesen. Gerade dort setzen Konkurrenten wie SAP ihren kritischen Hebel an. Middleware sei ein überflüssiges Stück Software und bremse nur die Performance aus, so argumentiert man in Walldorf. SAP denkt in Kernapplikationen und Peripherie-Anwendungen und dünkt sich dadurch dem Oracle-Stack überlegen. Allerdings wäre aufseiten von SAP, deren Software aus den 70er- und 80er-Jahren stammt, ein Middleware-Layer auch nur schwer zu realisieren. Denn Middleware lässt sich nicht so einfach einschieben. Geht es um die Cloud, setzten die Walldorfer deshalb auf ihre On-Demand-Plattform Business ByDesign, und verlassen sich ansonsten auf die Treue ihrer On-Premise-Stammkundschaft. Die Zukunft wird zeigen, welche Systemarchitektur – Software-Stack oder Kern/Peripherie – die bessere ist. Auf der nächsten Seite: «Schlachtfeld Java»

Schlachtfeld Java

Eine dritte Frontlinie hat Oracle mit der Akquise von Java (Sun) aufgemacht. Dem Ellison-Konzern passt der .NET-Konkurrent Java perfekt ins Konzept, sind die Fusion Apps und Fusion Middle­ware doch sowieso schon in Java programmiert. Und Oracle gibt sich mit Java richtig Mühe: Auf der Roadmap stehen unter anderem HTML 5, die RIA-Plattform JavaFX (Rich Internet Applications), die Grafik-Engines Java2D und Java3D sowie Servertechnologien wie Multikernprozessoren und mehrere Terabyte grosse Arbeitsspeicher. Reden und Tun klaffen jedoch merkwürdig auseinander. Zwar mimt Ellison die treue Seele und hat mehrmals verlauten lassen, er wolle an einer freien (plus einer kostenpflichtigen) Java-Version festhalten. Die Friedensgespräche mit der Java-Entwicklergemeinde sind jedoch erst einmal ins Stocken geraten. Sie traut dem Kuchen nicht, den man ihr vorhält. Auch Java-Stammvater James Gosling scheint so seine Zweifel zu haben. Er hat Oracle mittlerweile verlassen.


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