Interview CEO, CTO & CIO 08.01.2019, 06:31 Uhr

«Innovation ist in der DNS und Kultur von Bühler»

Der Industriekonzern Bühler treibt die Digitalisierung voran. Welche Vorteile daraus entstehen, erläutern der CEO Stefan Scheiber, der CTO Ian Roberts und der CIO Manfred Goetz im Interview.
CTO Ian Roberts, CEO Stefan Scheiber und CIO Manfred Goetz (von links) drücken bei der Digitalisierung von Bühler aufs Gas
(Quelle: Samuel Trümpy)
Die Geschäfte des Uzwiler Industriekonzerns Bühler laufen gut. Das Unternehmen ist global bekannt für Maschinen zur Verarbeitung von Getreide, Pasta und Schokolade. Die Maschinen sollen in Zukunft mit digitalen Services angereichert werden – zum Beispiel aus der Cloud oder in Form eines digitalen Zwillings. Welche Vorhaben ausserdem Teil der Digitalisierungsstrategie sind, sagen CEO Stefan Scheiber und CTO Ian Roberts im Interview. CIO Manfred Goetz gewährt einen Einblick, wie die Konzern-IT die Industrie 4.0 unterstützt.
Computerworld: Mit den letzten Produktlancierungen positioniert sich Bühler nicht mehr nur als Maschinenbauer, sondern auch als Datenkonzern. Wie viele Daten fliessen zwischen den Maschinen und Bühler?
Manfred Goetz: Lassen Sie mich mit der internen IT beginnen. Bei Bühler fliessen mittlerweile so gut wie alle Daten digital. Heisst im Umkehrschluss: Die IT bildet die Grundlage. Unsere IT-Prozesse und Systeme müssen immer funktionieren. Das gilt für die gesamte Bühler Gruppe, also auch für alle unsere Niederlassungen global. In den letzten zehn Jahren haben wir die regionalen IT-Systeme konsolidiert. Wir arbeiten mit einem einzigen ERP, einem CRM und einem PDM (Product Data Management System). Das SAP-ERP ist heute in 90 Prozent der Gesellschaften ausgerollt, was eine gute Grundlage für die weiteren Digitalisierungsprojekte ist. Zum Beispiel wird das Portal «MyBühler» aus dem ERP gespeist: Daten wie der Bestand eines Ersatzteils, der Preis und die regionale Verfügbarkeit liefert SAP.
Ian Roberts: Durch die Kooperation mit Microsoft haben wir die Voraussetzung geschaffen, heute rund 85 Prozent unserer Anlagen mit digitalen Services in der Cloud zu verbinden – diese Verbindungen setzen wir Schritt für Schritt um. Zum Beispiel können wir bereits seit Jahren auf die Sortiermaschinen aus unserer Division in London aus der Ferne zugreifen. Dies ist ein hoher Nutzen für unsere Kunden, denn die Anlagen sind sehr komplex und ihre Inbetriebnahme und Wartung ist sehr aufwendig.
Ein weiteres Beispiel sind die Produktneuheiten, die bereits mit einem direkten Link in die Cloud arbeiten. Der Analysekoffer «TotalSense» kontrolliert die Qualität von Reiskörnern mithilfe einer Cloud-Anwendung. Oder unsere «MoisturePro»-Lösung. Es ist ein IoT-Set für Trocknungsmaschinen, das via Cloud die optimalen Einstellungen für das Saatgut wählt. Für diese Lösungen haben wir erste Käufer gefunden, die es uns erlauben, neben den «Maschinen» auch Abonnements für die Cloud-Services anzubieten.
Sie sprechen die Partnerschaft mit Microsoft an. Warum fiel die Wahl auf diesen Anbieter?
Roberts: Ich würde gerne zuerst etwas ausholen und den Prozess schildern, wie es zu der Partnerschaft kam. Zu Beginn unserer Reise in das Internet of Things wussten wir noch nicht, welches der richtige Weg für Bühler ist. Wir hatten die Wahl zwischen langen internen Projekten oder externen Beratern ohne interne Lernkurve. Beide Optionen haben uns nicht überzeugt.
Welches Vorgehen wählten Sie stattdessen?
Roberts: Wir wählten sechs Partner aus und initiierten mit ihnen gemeinsam Pilotprojekte über sechs Monate. Anschliessend besassen wir 36 Monate Erfahrungen in verschiedenen IoT-Anwendungen, was uns viel besser positionierte für die Entscheidungsfindung. Und auch die Partner waren euphorisch: Fünf glaubten, schon während der Pilotphase die optimale Lösung gefunden zu haben, die sie uns sofort verkaufen wollten. Der sechste Partner sagte uns, dass niemand in der Branche zu 100 Prozent weiss, wie sich das umsetzen lässt. Dieser Partner arbeitete aber mit mehreren Unternehmen zusammen und konnte Erfahrungen aus verschiedenen Projekten teilen, um den Erfolg zu sichern. Das war Microsoft. Diese Ehrlichkeit und Offenheit für den Austausch auf Augenhöhe überzeugte uns. Wichtig war dann auch der hervorragende kulturelle Fit zwischen Bühler und Microsoft.
Goetz: Ein Vorteil von Microsoft ist das grosse Partnernetzwerk. Bei Marktbegleitern ist man auf den Software-Lieferanten oder wenige Partner beschränkt, bei Microsoft haben wir die Auswahl. Unser Partner, die Firma Codit, hat viele der Lösungen zusammen mit uns entwickelt.
Roberts: Hinzu kommt die mediale Aufmerksamkeit, welche die Partnerschaft mit sich bringt. Microsoft-CEO Satya Nadella und seine Kollegen sind offenbar begeistert von Bühler. Wenn Nadella im US-amerikanischen Fernsehen über die Projekte mit uns spricht, ist das die beste Werbung, die man sich vorstellen kann.

Bühlers globaler Innovationswettbewerb

Wie funktioniert Innovation bei Bühler? Oder: Wenn beispielsweise Sie, Herr Roberts, eine Idee haben, wie wird vorgegangen?
Roberts: Oh, ich habe ganz viele Ideen! [lacht]
Goetz: [lacht] Das sind allerdings zwei vollkommen unterschiedliche Fragen!
Stefan Scheiber: Wir sollten uns auf die erste Frage fokussieren. Sonst ufert das zu sehr aus. [lacht]
Roberts: Okay. [grinst] Unsere rund 13'000 Mitarbeiter haben jeder für sich einzigartige Erfahrungen, Fähigkeiten und Wahrnehmungen von Kundenbedürfnissen. Unsere Herausforderung als Management besteht nun darin, alle Mitarbeiter in den Innovationsprozess einzubeziehen. Dafür veranstalten wir unter anderem alle zwei Jahre einen globalen Innovationswettbewerb.
CEO Stefan Scheiber, CIO Manfred Goetz und CTO Ian Roberts (von links) im Gespräch
Quelle: Samuel Trümpy
Die Aufgabe in diesem Jahr bestand darin, Lösungen zu entwickeln, die auf unser Ziel einzahlen, den Energieverbrauch und die Abfallproduktion bis 2020 um 30 Prozent zu senken. Fast 5500 Mitarbeiter aus der ganzen Gruppe haben sich beteiligt und schlugen 350 Geschäftsideen vor. Die besten lokalen Vorschläge aus China, Indien, Südafrika, Lateinamerika, Nordamerika und natürlich aus Europa haben wir dann eingehend geprüft. Einige davon wurden umgehend vor Ort implementiert, wenn das die beste Lösung war. Die 30 besten Ideen wurden auf internen Plattformen vorgestellt.
Nun waren alle Mitarbeiter aufgerufen, einem der Projekte ihre Stimme zu geben. Die Gewinner wurden an den Hauptsitz nach Uzwil eingeladen, wo sie ein viertägiges Start-up-Training durchliefen. Anschliessend konnten sie ihre Ideen vor der Konzernleitung präsentieren.
Gibt es Möglichkeiten für das Umsetzen von Ideen abseits des Wettbewerbs?
Roberts: Natürlich. Unabhängig von diesem Innovationswettbewerb gibt es einen klar definierten und strukturierten Prozess, wie aus der Idee eine Optimierung oder ein neues Geschäftsmodell entstehen kann.
Scheiber: Wir bieten unseren Kunden ein komplettes Lösungsportfolio mit Maschinen, Prozesslösungen, Einzelteilen und Automatisierungslösungen. Das heisst für unsere Innovation, dass wir nicht nur neue Maschinen oder neue Lösungen entwickeln. Auch eine Verbesserung am Prozess, eine neue Anwendung, ein verändertes Rezept oder ein verbesserter Wartungszyklus kann Innovation und gesteigerten Kundennutzen bedeuten.
Zur Firma
Bühler
wurde 1860 als Eisengiesserei in Gupfen nahe Uzwil gegründet. Heute ist das Unternehmen ein Lösungspartner für die globale Nahrungsmittel- und Mobilitätsindustrie: Mit den Anlagen und Technologien des Schweizer Unternehmens werden täglich über zwei Milliarden Menschen ernährt und eine Milliarde bewegt. Der Familienbetrieb ist in über 140 Ländern aktiv und erwirtschaftete 2017 einen Umsatz von rund 2,7 Milliarden Franken.

Der Chef spricht (k)ein Machtwort

Wie involviert sind Sie, Herr Scheiber, in die Technologieprojekte? Treffen Sie sich regelmässig mit den Kollegen aus dem Digitalressort?
CEO Stefan Scheiber ist Innovation in der DNS des Unternehmens Bühler verankert
Quelle: Samuel Trümpy
Scheiber:
Wir sitzen zu diesem Thema aufgrund der Wichtigkeit jeden Monat zusammen. Denn wir haben für das Gesamtgeschäft eine Strategie und einen Massnahmenplan mit fünfjähriger Laufzeit definiert, die jeweils heruntergebrochen werden in jährliche Schritte. Das beinhaltet auch die Weiterentwicklung der Technologie und der Digitalisierung. Um die jährlichen Ziele zu erreichen, haben wir vorausschauend ambitionierte Kriterien festgelegt, die in Aktionsplänen angegangen werden. So kommen wir drei, gemeinsam mit anderen Bereichsleitern, mindestens einmal pro Monat zusammen, um die erreichten Ziele und die erforderlichen Massnahmen zu diskutieren.
Aber anstatt uns in unendlichen Analysen zu ergehen, bis wir schliesslich selbst komplett paralysiert sind, gehen wir ins Feld. Wir testen verschiedene Technologien direkt im Markt. Falls wir scheitern, dann scheitern wir schnell und lernen aus dem Misserfolg.
“Im 21. Jahrhundert bedeutet Veränderung vor allem digitale Veränderung„
Stefan Scheiber, CEO Bühler
Sind Sie, Herr Scheiber, in der Regel der Initiator für Innovation bei Bühler?
Scheiber: Nein. Innovation ist wirklich Teil der DNS und Kultur unseres Unternehmens, das geht bis zu unseren Gründern und Inhabern, der Familie Bühler, zurück. Es wäre also fatal, wenn Innovation auf mich reduziert werden würde. Deswegen gebührt unserem CTO Ian Roberts grosse Anerkennung für die Initiative, dass wir alle 13'000 Mitarbeiter in den Innovationsprozess einbeziehen durch den erwähnten Wettbewerb. Für mich steht dabei nicht so sehr im Vordergrund, ob alle Ideen der Mitarbeiter auf die Digitalstrategie einzahlen oder ob sie alle umgesetzt werden. Der grösste Wert entsteht durch das Engagement jedes Einzelnen und damit ein Engagement mit der Unternehmung und ihrer Zukunft. Denn Stillstand ist heute gleichbedeutend mit Rückschritt. Und Zukunftsorientierung bedeutet konstante Veränderung. Nur so können wir die Veränderungen auf allen Ebenen fördern. Im 21. Jahrhundert bedeutet Veränderung in erster Linie digitale Veränderung, aber nicht ausschliesslich. Für mich ist es von grösster Bedeutung, dass wir Trends und Marktentwicklungen frühzeitig und vorwärtsschauend erkennen und dann rechtzeitig Chancen und Risiken erfassen. Diese Agilität ist wohl der entscheidende Faktor für zukünftigen Erfolg.
Roberts: Der CEO ist aber durchaus ein sehr wichtiger Faktor im Veränderungsprozess. Ich erinnere mich gut an ein Meeting der 100 wichtigsten Führungskräfte von Bühler, an dem diverse digitale Lösungen vorgestellt wurden. Am Ende forderte Stefan die Manager auf, beim nächsten Treffen digitale Bühler-Lösungen von jedem Geschäftsbereich zu zeigen. Dank Stefans Forderung hatten die Führungskräfte keine Wahl: Sie mussten liefern. Da es allerdings die Manager lieben, sich miteinander messen zu können, entstand schliesslich eine Art Wettbewerb, in dem viele neue Ideen generiert wurden.
Zur Person
Stefan Scheiber
ist seit Mitte 2016 der CEO von Bühler. Er ist nach Calvin Grieder erst der zweite Chef, der nicht aus der Familie Bühler stammt. Der 53-Jährige ist seit 1988 bei Bühler beschäftigt, zunächst während 15 Jahren in mehreren leitenden Funktionen weltweit. 1999 übernahm er die globale Leitung der Geschäftsbereiche Brauerei/Mälzerei und Reis und anschliessend die Verantwortung der Geschäfte von Bühler Deutschland. Der studierte Betriebswirt ist seit Mitte 2005 Mitglied der Konzernleitung.

Die IT für Bühlers Innovationen

Mit welchen technischen Installationen unterstützt die IT von Bühler die Kooperation der Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens?
CIO Manfred Goetz hat bei Bühler das SAP-ERP flächendeckend eingeführt
Quelle: Samuel Trümpy
Goetz:
Für den Informationsaustausch und die Kollaboration setzt Bühler auf Office 365 von Microsoft. Wir stecken gerade in der Implementierung erweiterter Kollaborationsmöglichkeiten. Zum Beispiel kommuniziert unser CEO mit den Mitarbeitern global bereits über diese Plattform. Weiter haben wir Knowledge-Seiten eingerichtet, auf die alle Mitarbeiter Zugriff haben. Aktuell holen wir auch die Kollegen der neu akquirierten Firma Haas auf die Plattform. Es zeigt sich, dass die Cloud-Lösung hier Vorteile bietet im Vergleich mit einer On-Premises-Anwendung. Dann ist die Integration wesentlich einfacher.
In einem nächsten Schritt wollen wir die Kollaboration unter den Mitarbeitern technologisch unterstützen. Wir wollen weg von lokalen Fileshares und hin zu einer virtuellen Zusammenarbeit. Wir wollen virtuelle Meetingräume schaffen, in denen sich die Anwender treffen, ihre Dokumente ablegen und Aufgaben verteilen können.
Scheiber: Die Software für Kollaboration wird im nächsten Jahr auch ein Äquivalent in der physischen Welt bekommen: unser neues Innovation Center «Cubic» hier am Hauptsitz in Uzwil. Schliesslich wollen die Menschen nicht nur in der virtuellen Welt zusammenkommen und gemeinsam arbeiten, sondern auch in der Realität. Das Innovation Center wird der Ort dafür sein. Hier wollen wir die Lösungen der physischen Welt mit digitalen Möglichkeiten ideal ergänzen, sodass wir Wert für unsere Kunden schaffen können.
Zur Person
Manfred Goetz
leitet seit 2006 die Informatik bei Bühler. Zuvor führte er während sechs Jahren das SAP Competence Center des Konzerns. Der 55-Jährige war weiter als Head of Corporate IT bei Leica Geosystems und als Consultant beim IT-Beratungsunternehmen IMG in St. Gallen tätig. Goetz absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann und anschliessend ein Studium der Betriebswirtschaft an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Ulm.

Vorbilder für Bühler

Wer sind Vorbilder für Bühler bei der Digitalisierung des Geschäfts?
Roberts: Das grösste Innovationspotenzial haben Jungunternehmen. Darum arbeitet Bühler intensiv mit der Start-up-Community zusammen. Wir gehören zum Beispiel zu der Gruppe der Unternehmen, die den «MassChallenge»-Wettbewerb in die Schweiz geholt hat.
CTO Ian Roberts hat bei Bühler einen Innovationswettbewerb lanciert
Quelle: Samuel Trümpy
Für mich ist es immer wieder inspirierend, mich unter die Start-ups zu mischen und mir ihre Ideen anzuhören. Sie können auf der grünen Wiese starten und sind nicht durch organisatorische Zwänge gebunden, die bei etablierten Unternehmen natürlich vorhanden sind.
Die Schweiz hat heute ein sehr gesundes und lebendiges Ökosystem für die Start-ups. Aber auch in Berlin und in Skandinavien gibt es gute Treffpunkte für die Gründer. Im Ökosystem in London dreht sich viel um Fintech, in Boston und San Francisco gibt es weitere spannende Entwicklungen. Wirklich atemberaubende Start-ups im Bereich der künstlichen Intelligenz stammen aber aus China. Dort gibt es brillante Köpfe!
“Über die MassChallenge-Plattform arbeiten wir eng mit Start-ups zusammen„
Ian Roberts, CTO Bühler
Wie sieht Ihr Engagement bei MassChallenge aus?
Roberts: Als weltweit grösster Start-up-Accelerator zieht MassChallenge die meisten Jungfirmen an. Die Non-Profit-Organisation beteiligt sich selbst nicht an den Start-ups, sondern bietet ihnen ausschliesslich Beratung durch exzellente Mentoren und ihr Ökosystem. Als Gründungsmitglied neben Barry Callebaut, Gea, Givaudan und Nestlé haben wir die MassChallenge-Plattform nach Europa geholt. Dabei unterstützen wir die Jungunternehmen im Lebensmittelbereich. Davon sind zwischen 80 und 90 Prozent rein digital unterwegs. Denn niemand will ernsthaft eine neue Schokolade produzieren. Vielmehr schaffen die Firmen zum Beispiel Transparenz in der Wertschöpfungskette.
Aus dem Engagement ziehen wir einerseits den Vorteil, uns von der Energie und der Kultur der Gründer zu inspirieren. Andererseits können wir Start-ups identifizieren, für die eine Partnerschaft mit Bühler zum Erfolgsfaktor werden kann. Durch die gezielte Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen unseres Portfolios lässt sich beispielsweise ein gemeinsamer Marktauftritt realisieren.
Scheiber: Für das Engagement in der Start-up-Community haben wir einen eigenen Fonds eingerichtet, aus dem sowohl die Beteiligung am MassChallenge als auch die Kooperation mit Start-ups unterstützt wird.
Zur Person
Ian Roberts
ist seit 2011 bei Bühler als Chief Technology Officer tätig. In dieser Rolle wurde der Brite 2016 als «CTO of the Year Europe» ausgezeichnet. Zuvor war der 48-Jährige in mehreren Führungspositionen bei Nestlé beschäftigt, unter anderem als Director of Innovation für Nestlé Mexiko und als Director des Chocolate Centre of Excellence in der Schweiz. Roberts hält ein Diplom als Chemie-Ingenieur und promovierte in Process Engineering an der University of Wales (Grossbritannien).

Cloud fördert globale Kollaboration

Wie steht es mit der Security? Offene Kollaboration heisst ja auch Daten mit Dritten teilen. Wie gewährleisten Sie Datensicherheit, Herr Goetz?
Goetz: Die Datensicherheit hat absolute Priorität für uns. Wir haben strenge Standards definiert, was jeweils erlaubt ist und was nicht. Dabei arbeiten wir mit den branchenführenden Plattformen, die einen geregelten und sicheren Zugriff erlauben.
Welche Kriterien haben Sie festgelegt zum Standort der Daten? Sicherlich sind die Konstruktionszeichnungen der Bühler-Maschinen nicht unbedingt auf den Microsoft-Servern abgelegt.
Goetz: [schmunzelt] Das stimmt. Unsere Kernsysteme wie das ERP und das Produktdatenmanagement mit den CAD-Plänen für die Maschinen liegen heute in unseren Rechenzentren in der Schweiz. Andere Anwendungen beziehen wir schon heute aus der Cloud, etwa die Kollaborationslösung Office 365, die neue Webseite und das Performance-Management.
Will heissen: Wir sind offen für Cloud-Lösungen, aber auch nicht für alle. Die Anbieter müssen Kriterien erfüllen, Zertifikate vorweisen können und auch Garantien abgeben. Ich bevorzuge ausserdem europäische Standorte für die Cloud-Rechenzentren.
Nehmen Sie Einfluss auf Entscheidungen zum Standort der Rechenzentren, Herr Scheiber?
Scheiber: Nein. Als international tätiges Unternehmen hat Bühler globale Daten. Für diese Daten benötigen wir natürlich auch globale Anwendungen. Und wir haben ein sehr professionelles IT-Team, das uns hier die jeweils besten Lösungen erarbeitet.
Welche digitalen Elemente sind in der Produktion von Bühler heute im Einsatz?
Scheiber: Zum Beispiel arbeiten wir im Produktionsprozess hier in den Montagehallen mit Flow- und Kanban-Methoden, in die auch die Zulieferer jeweils eingebunden sind. Weiter werden der Kundendienst und die Montage durch Augmented Reality unterstützt.
Goetz: Augmented Reality kommt neu auch in der Wartung unserer Maschinen bei den Kunden vor Ort zum Einsatz. Im Rahmen zweier Pilotversuche nutzen unsere Techniker Technologien wie Google Glass oder das iPad, um die Geräte zu reparieren und zu warten. Die Technologie hilft den weniger spezialisierten Aussendienstmitarbeitern, die sehr komplexen Tätigkeiten auszuführen. Aufgrund der guten Erfahrungen wird einer der Piloten in Asien im Januar 2019 in den produktiven Betrieb gehen. Hier sehen wir grosses Potenzial.
Die Mühlen von Bühler lassen sich via Tablet-App fernsteuern und warten
Quelle: Bühler
Roberts: Daneben haben wir in den vergangenen drei Jahren das erwähnte Kundenportal «MyBühler» entwickelt und aufgeschaltet. Dort können unsere Kunden die Service- und Wartungsarbeiten ihrer Maschinen steuern. Sie können aber auch Konstruktionszeichnungen abrufen, Stücklisten einsehen und Ersatzteile bestellen. Mittlerweile nutzen rund 20 Prozent der Kunden dieses Portal.
Für uns war das Portal ein grosser Schritt, haben wir doch alle produktrelevanten Daten in einer Plattform zusammengefasst. Im dahinterliegenden SAP-System sind nun Informationen über die Einzelteile, Lagerorte und Preise abgelegt. Damit bereiten wir uns schon vor auf den Digital Twin, das virtuelle Pendant der Maschinen. Allerdings braucht die Umsetzung noch einiges an Zeit.

Zwischen Innovation und Tradition

Können alle Ihre Kunden die hohe Geschwindigkeit, mit der Bühler mittlerweile Innovationen auf den Markt bringt, in ihrem Geschäftsalltag überhaupt noch bewältigen?
Scheiber: Wir schätzen uns glücklich, viele verschiedene Kunden zu haben. Zum Beispiel Unternehmen aus der Automobilzuliefererindustrie. Das ist eine hoch technologisierte Branche, die sich im permanenten Wandel befindet. Speziell für diese Kunden können wir uns gar nicht schnell genug auf neue Technologie-Trends ausrichten und Innovationen auf den Markt bringen.
Andere Industrien, wie die Nahrungsmittelverarbeitung, die Lebensmittel für Milliarden von Menschen produziert, sind vielleicht etwas weniger dynamisch. Diese Kunden können neue Technologie gar nicht so schnell adaptieren, denn veränderte Prozesse müssen ins jeweils bestehende Ökosystem passen. Wenn die Zulieferer oder Weiterverarbeiter zum Beispiel nicht schneller sein können, helfen die beschleunigten Prozesse wenig. Allerdings können wir die Dynamik aus anderen Geschäftssparten auch auf diese Bereiche übertragen und uns so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Ich sehe hier einen klaren Vorteil von Bühler gegenüber den Mitbewerbern, die ausschliesslich im Lebensmittelbereich tätig sind.
Welchen Einfluss nimmt die Inhaberfamilie auf das Tagesgeschäft von Bühler?
Scheiber: Die Familie Bühler hat uns erstens die Aufgabe übertragen, das Unternehmen professionell zu führen. Zweitens sind wir angehalten, nachhaltig zu wirtschaften und Werte wie Integrität, Respekt sowie Kundenorientierung hochzuhalten. Drittens ist es uns nicht gestattet, die Investitionen für Innovation zu kürzen. Der Anteil am Unternehmensumsatz für Forschung und Entwicklung ist seit Jahren konstant – und zwar in guten wie in schlechten Zeiten. Damit gibt die Familie Bühler ganz klar die strategische Zielsetzung der nachhaltigen, unabhängigen Entwicklung unserer Unternehmung vor.
Das Familienunternehmen Bühler hat seine Wurzeln in Uzwil. Wie schwierig ist es, junge Talente in die Ostschweiz zu locken?
Scheiber: [schmunzelt] Auch wenn in der Frage etwas Geringschätzung für den Standort mitschwingt: Meiner Meinung nach sind wir sehr gut positioniert, um Talente nach Uzwil zu holen! Wir haben in den letzten Jahren sicherlich viel in die Wahrnehmung und die Marke Bühler investiert. Zudem haben wir an unserem Ruf als attraktiver Arbeitgeber gearbeitet. Bühler ist heute eine moderne Firma, werteverbunden und zukunftsorientiert sowie global tätig. Insbesondere die Internationalität unseres Geschäfts, unsere Innovationsstrategie und die Sinnhaftigkeit unseres Tuns macht uns interessant für Talente, die global arbeiten möchten. Sie sprechen mehrere Sprachen, sind interessiert an fremden Kulturen und lieben es zu reisen. Damit ist Bühler wirklich ideal als Arbeitgeber.
Der Konzern Bühler mit Hauptsitz in Uzwil ist global in 140 Ländern vertreten
Quelle: Bühler
Und gern will ich noch eine Lanze brechen für den Standort Uzwil: Durch die Lage in der Ostschweiz sind herausragende Hochschulen und Universitäten wie die ETH und die HSG hier gleich um die Ecke. Und auch für Familien ist Uzwil ein attraktiver Wohnort: Die Infrastruktur ist sehr gut ausgebaut, die Sicherheit hervorragend und zum Beispiel die Berge oder der Bodensee in weniger als einer Stunde erreichbar. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich Bühler wieder in Uzwil gründen.
Roberts: Ich will gern noch die globale Perspektive ergänzen. Während meiner Tätigkeit in Mexiko City pendelte ich jeweils zweieinhalb Stunden. Bei Stefan waren es in Johannesburg sicherlich ebenfalls zwei Stunden. Und auch in London ist der Arbeitsweg keine Freude, wenn Sie am Stadtrand leben. Unter eine Stunde kommen Sie nicht in die Innenstadt. Im Vergleich dazu ist die kurze Reise von Zürich nach Uzwil dann fast eine Erholung.
Dann fällt es Ihnen also offenbar leicht, neue Mitarbeiter zu gewinnen?
Scheiber: Die Attraktivität des Unternehmens und die Standorte sind jedenfalls keine Probleme. Aber natürlich kämpfen wir wie jedes andere Unternehmen um die besten Talente. Gut ausgebildeten Ernährungswissenschaftlern, guten Entwicklern und Forschern oder guten Data Scientists steht die Welt offen. Sie können sich den Arbeitsplatz aussuchen. Bühler muss sich wie jeder andere Arbeitgeber um die besten Talente bemühen.

Industrie der Zukunft und für die Zukunft

Wie sieht der Industriebetrieb der Zukunft aus – und wie Bühler? Können Sie bitte Ihre Vision skizzieren, Herr Scheiber?
Scheiber: Als Familienunternehmen mit einer fast 160-jährigen Tradition, das auch im digitalen 21. Jahrhundert erfolgreich wirtschaftet, müssen wir uns der Rahmenbedingungen bewusst sein. Wir müssen uns die Frage stellen, wie die Welt in 10, 20 oder 30 Jahren aussieht. Der Klimawandel ist dabei ein grosses Thema, die Rohstoffversorgung und die Landwirtschaft ebenfalls. Hinzu kommen Innovationen in den Bereichen Transport, Verkehr und nicht zuletzt das Bevölkerungswachstum.
Angesichts dieser Entwicklungen müssen wir uns fragen, welchen Beitrag wir leisten können. Zum Beispiel: Wie stellen wir sicher, dass unsere Kunden mit unserer Technologie im Jahr 2050 fast 10 Milliarden Menschen ernähren können? Oder: Wie transportieren unsere Kunden Milliarden Menschen in den zunehmend verstopften Metropolen dieser Welt? Welche Art von Automobilen werden wir fahren – und wie können wir diese mit unseren Technologien unterstützen?
Bühler hat in seiner langen Geschichte immer wieder die Fähigkeit bewiesen, auf die veränderten Bedingungen Antworten zu finden. Diese Fähigkeit müssen wir uns erhalten, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.
Eines ist schon jetzt klar: Die Technologien der Vergangenheit werden in Zukunft nicht mehr genügen, um alle neuen Herausforderungen zu meistern. Vielmehr werden die digitalen Technologien sehr wahrscheinlich eine entscheidende Rolle spielen, um künftig die Effizienz unserer Maschinen zu steigern.
Aus der Sicht des Technologen: Wie sehen Sie die Zukunft der Industrie, Herr Roberts?
Roberts: Ich kann nur noch wenig ergänzen. Dennoch: Die Digitalisierung wird nicht die alleinige Antwort sein auf die Herausforderungen der Zukunft, wie das Stefan auch gerade dargelegt hat. Es geht schlicht und einfach darum, bessere Lösungen für unsere Herausforderungen zu finden, ob digital oder nicht. Dazu kommt, dass wir die Zusammenarbeit mit Dritten verstärkt nutzen müssen, um diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Das erreichen wir nur, indem wir Win-win-Situationen für alle schaffen. Diese Haltung wird eine entscheidende Rolle spielen, wenn wir neue Technologien einsetzen.
“Wir wollen hin zu einer virtuellen Zusammenarbeit aller 13'000 Mitarbeiter von Bühler„
Manfred Goetz, CIO Bühler
Welche Rolle wird die IT in der Industrie der Zukunft spielen, Herr Goetz?
Goetz: Ich blicke aus zwei Perspektiven auf die Informatik in der Industrie: Intern wird die IT weiter daran arbeiten, Prozesse zu digitalisieren und zu automatisieren. Hier gilt es, weitere Voraussetzungen zu schaffen, um effizienter und transparenter zu werden, beispielsweise durch eine bessere Datenqualität.
Parallel dazu wollen wir als IT in Zukunft eine neue Rolle spielen: Wir wollen nicht mehr ausschliesslich unsere internen Anwender mit IT-Services unterstützen, sondern vielmehr neue Geschäftsfelder erschliessen und digitale Services für unsere Kunden anbieten. Wir wollen den Kunden Lösungen anbieten, um zusätzliches Wachstum zu ermöglichen, zum Beispiel bei der Datensicherheit.
Scheiber: Im Bereich der Lebensmittelsicherheit sehe ich dafür durchaus Ansätze. Unsere Kunden müssen teilweise nachweisen, woher die Rohstoffe stammen, wie sie gelagert, transportiert und verarbeitet wurden. Eine Technologie wie die Blockchain ist möglicherweise für die lückenlose und fälschungssichere Dokumentation der Produktionshistorie geeignet. Eine solche Lösung könnte die Bühler betreiben, um den Kunden einen grossen Mehrwert zu bieten. Und in der Tat: Mit einem ersten Kunden arbeiten wir bereits an einem Blockchain-Pilotprojekt. Resultate kann ich Ihnen noch keine nennen – vielleicht bei einem nächsten Gespräch. [lacht]



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