27.09.2017, 06:40 Uhr

DSAG und SAP pokern um neues vertikales Lizenzmodell

Nach aussen demonstrieren die DSAG und SAP gerne kooperative Partnerschaft und Einigkeit. Hinter verschlossenen Türen aber scheppern die Tassen.
Die Deutschsprachige SAP Anwendergruppe DSAG feiert ihr 20-jähriges Jubiläum und macht sich selbst das liebste Geschenk: einen Besucherrekord. Zum Jahrestreffen, das zurzeit im Messe und Congress Centrum in Bremen stattfindet, sind mehr als 4500 Teilnehmer angereist. So viele kamen noch nie, und die Erwartungen sind wie immer hoch gesteckt. Nach aussen hin präsentieren sich die Kundenvertretung DSAG und der Software-Konzern zwar gerne als kooperative Partner. Computerworld weiss jedoch von Insidern, dass es innen hinter verschlossenen Türen schon mal kräftig scheppert und kracht. Nicht immer sind beide Partner d‘accord.

Knatsch um Lizenzen

Streitthema Lizenzen – es geht um Geld, für viele Schweizer Unternehmen um sehr viel Geld. Im Minenfeld der SAP-Lizenzen flackern hier in Bremen zwei neuralgische Brennpunkte besonders hell auf: Teure Doppellizensierungen, die durch die gleichzeitige Nutzung  von On-premise- und Cloud-Lösungen entstehen, und das Internet der Dinge (IoT) mit seinem unübersichtlichen Sensorenzoo. Setzt eine Schweizer Firma zum Beispiel SAP-Lösungen auf den eigenen Servern und in der Cloud ein, dann bepreist SAP on-premise im Fix-Lizenzmodell, in der Cloud aber im Mietmodell. Hier gelte es, doppelte Kosten zu vermeiden. DSAG-Vorstand Marco Lenck schlägt als Ausweg aus diesem Dilemma ein vertikales Lizenzmodell vor, das beide Ansätze unter einen Hut bringt. Werden alle SAP-Lösungen in Zukunft nur noch cloud-like «nach Verbrauch» bepreist? Wie das vertikale Modell im Detail aussehen könnte, wollte Lenck gegenüber Computerworld nicht verraten. Offizieller Grund: «Natürlich haben wir Verbesserungsvorschläge, wollen den Verhandlungen mit SAP aber nicht unnötig Zündstoff verleihen.»


Zweiter Lizenzen-Streitpunkt: Das Internet der Dinge (IoT)  und SAPs IoT-Plattform Leonardo, die Anfang des Jahres auf den Markt kam und vom Schweizer Automobilimporteur Amag eingesetzt wird. Es gehe nicht an, dass jeder Kühlschrank und jeder Sensor jetzt eine eigene SAP-Lizenz benötige, weil er an die Business Suite angeschlossen sei, kritisierte DSAG-Vorstand Lenck. Das würde die Kosten für die Unternehmen in wahnsinnige Höhen treiben. SAP-Vorstand Bernd Leukert, der nach Lenck auf dem DSAG-Jahrestreffen die zweite Keynote hielt, gibt sich kompromissbereit: «Wir sind bereit, auch in Sachen Lizenzierung neue Wege zu gehen», unterstrich Leukert in Bremen. Er versprach, bis Ende diesen Jahres mit einem neuen «Pay as you go»-Lizenzmodell auf den Markt zu kommen. Denkbar wäre, für die Nutzung der IoT-Plattform Leonardo erst dann zu zahlen, wenn ein konkreter Mehrwert beim Kunden entstünde. Konkret heisst das: Wem Leonardo nichts nutzt, der zahlt auch nichts. Nächste Seite: SAP-Berater überfordert

SAP-Berater überfordert

Ein wenig Zeit kann sich SAP mit seiner IoT-Plattform noch lassen. Laut einer Umfrage, welche die DSAG vor ihrem Jahrestreffen unter 515 Mitgliedern durchgeführt hat, haben die meisten SAP-Kunden keine Ahnung, wofür Leonardo eigentlich gut sein soll. An der Umfrage haben auch 50 Schweizer SAP-Kunden teilgenommen. 78 Prozent der befragten Schweizer (82 Prozent in DACH) messen der IoT-Plattform keine oder eine nur sehr geringe Bedeutung zu. Leonardo sei noch nicht im Markt angekommen, resümiert deshalb Lenck.
Einer der Gründe: Der DSAG-Vorstand sieht nicht nur bei Leonardo, sondern auch bei SAPs Vorzeigeplattform S/4 Hana ein riesiges Informationsdefizit. SAP lege ein rasantes Innovationstempo vor, das selbst viele gestandene SAP-Berater und -Partner überfordere, kritisierte Lenck im Gespräch mit Computerworld. Sie könnten ihren Kunden die teilweise gravierenden Funktionsunterschiede der unterschiedlichen Release-Stände nicht erklären, weil sie sie selbst nicht wüssten. Einen ähnlichen Ton schlägt Christian Zumbach an, der für die Schweiz im DSAG-Vorstand sitzt. «Der Weg in die Digitalisierung wird durch die Tatsache erschwert, dass die Kunden selbst herausfinden müssen, welche Lösungen aus dem SAP-Portfolio für ihre Anforderungen die besten sind», berichtet er von seinen Gesprächen mit frustierten Schweizer SAP-Kunden. SAP lässt seine Kunden ein Stück weit im Regen stehen, sind die DSAG-Mitglieder überzeugt. Wichtige Informationen fehlen, Transparenz sieht anders aus. Nicht gut, denn auf Schweizer Unternehmen kommen in Zukunft wichtige Entscheidungen zu. 82 Prozent der helvetischen DSAG-Mitglieder erwarten, dass durch die digitale Transformation fundamentale Auswirkungen für ihre Unternehmen ins Haus stehen (laut Mitgliederumfrage). Auf IT-Abteilungen kommen nach Meinung von 96 Prozent Schweizer die gewichtigsten Veränderungsprozesse zu. Der IT wird bei der digitalen Transformation eine Vorreiterrolle attestiert. Nächste Seite: Weltneuheit: der Datenwächter

Weltneuheit: der Datenwächter

«Wir bewegen uns in eine Welt der verteilten Datenhaltung, der innovativen Apps und der neuen Geschäftsmodelle», fasst SAP-Vorstand Leukert die zukünftigen Herausforderungen zusammen. Daten-Management, Daten-Kontrollprozesse und Datensicherheit seien daher extrem wichtig. In Folge präsentierte Leukert In Bremen (fast) eine Weltneuheit. Der SAP Data Hub und der Data Custodian (dt. Datenwächter) waren erst wenige Stunden zuvor in New York einer kleinen Öffentlichkeit vorgestellt worden. Laut Leukert schafft der Data Custodian «absolute Transparenz» und beantwortet Fragen wie: In welchen Rechenzentren liegen meine Daten, von wo nach wo fliessen meine Datenströme und wer greift wo und wann darauf zu? Was man mit dem neuen Data Hub/Data Custodian alles anstellen kann, demonstrierte der Anbieter in einer Live-Demo (Wartungsszenario).

Was fällt Ihnen spontan zu SAP ein?

Die Mehrzahl der DSAG-Mitglieder sieht sich auf dem Weg zum intelligenten, transformierten Unternehmen erst am Anfang. Der Wunsch nach Beratung ist gross. Eine hohe bis sehr hohe Relevanz für die digitale Transformation im eigenen Unternehmen werden S/4-Hana (70 Prozent), der SAP Business Suite (57 Prozent) und – schon deutlich weniger enthusiastisch - der SAP Cloud Plattform (44 Prozent) zugeschrieben. Trotz offensichtlicher Differenzen und Meinungsverschiedenheiten sehen 80 Prozent der Schweizer Unternehmen (79 Prozent in DACH) in SAP einen wichtigen bis sehr wichtigen Partner bei der Digitalisierung. Computerworld machte die Probe aufs Exempel und fragte die beiden DSAG-Vorstände Zumbach und Lenck, was ihnen bei SAP als erstes einfiele, positiv wie negativ. Zumbach nannte spontan die grosse Zuverlässigkeit des Softwarekonzerns über die Jahre als hervorstechendstes Merkmal. Lenck antwortete: SAP sei ein sehr kommunikativer Anbieter, mit dem man immer über Probleme reden könne (auch wenn die Lösung dann ein wenig auf sich warten lasse). * Michael Kurzidim ist freier Technik- und Wirtschaftsjournalist



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