Non-Fungible Tokens (NFTs)
15.07.2022, 14:33 Uhr
Business-Chancen mit NFTs
Kein Tag vergeht, ohne dass digitale Kunstwerke in Form von NFTs in den Schlagzeilen auftauchen. Fragt sich, wie lange das anhält? Und: Stecken dahinter auch Geschäftsmodelle für andere Bereiche?
NFTs: Einige sehen sie als Hype, während andere darin ein Geschäftsmodell für die Zukunft sehen
(Quelle: Shutterstock/Sashkin)
In den vergangenen Monaten tauchte das Thema NFT nahezu aus dem Nichts auf. Anfang 2021 lag das Interesse laut Google Trends noch bei fast null. Bis zum Ende des Jahres stieg es immer weiter an. Seitdem nimmt es wieder leicht ab. Das hinderte manche Menschen nicht daran, teils gigantische Summen für digitale Kunstwerke zu bezahlen. Ein neuer Hype war geboren. Das macht viele Beobachter skeptisch.
Nun ist nicht jeder Hype unsinnig und verschwindet nach kurzer Zeit wieder. Man denke nur an Cloud Computing oder Kryptowährungen. Beides wurde anfangs ebenfalls von vielen belächelt, konnte sich aber mit der Zeit durchsetzen.
Wird das auch bei NFTs der Fall sein und lassen sich echte Business-Chancen entdecken oder sollte man lieber einen grossen Bogen um NFTs machen, weil es sich dabei möglicherweise um eine Art Schneeballsystem handelt?
Nicht ersetzbare Objekte
Zur Begriffserklärung: NFTs, Non-Fungible Tokens, sind zunächst einmal nichts anderes als «nicht ersetzbare Objekte», also Unikate. Ein NFT bestätigt mit einem Zertifikat, dass jemand «im Besitz» eines digitalen Guts ist. Das wirkt wie ein Widerspruch, da digitale Güter sich ja beliebig oft und mit minimalem Aufwand vervielfältigen lassen. Auch aus rechtlicher Sicht ist dieser Punkt umstritten, aber dazu später mehr.
Ein Non-Fungible Token für ein digitales Produkt muss daher einzigartig sein. Damit es auch einzigartig bleibt, basieren NFTs auf der Blockchain. Das Blockchain-Konzept kann weit mehr, als nur Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether umzusetzen. Im Kern ist eine Blockchain eine beständig wachsende Datenbank, in der kontinuierlich alle durchgeführten Transaktionen verzeichnet werden.
Alle erforderlichen Daten über Sender, Empfänger, Höhe oder Art einer Transaktion werden in Blöcken abgelegt, die aneinandergereiht eine Blockchain, eine Kette aus Blöcken, ergeben. Die einzelnen Glieder der Kette sind eng miteinander verknüpft und können deshalb nicht einfach herausgelöst oder verändert werden. Die Kette würde, um im Bild zu bleiben, reissen. Auf diese Weise schützen sich Blockchains vor absichtlichen oder unabsichtlichen Veränderungen. Sind die Daten also erst einmal in einer Blockchain gespeichert, können sie nicht mehr manipuliert werden. Das machen sich auch NFTs zunutze.
Von Bitcoin bis NFT
Die Kryptowährung Bitcoin ist die bekannteste Blockchain. Das dahinterstehende Konzept wurde 2008 von dem bis heute unbekannten Satoshi Nakamoto in einem Whitepaper beschrieben. Mittlerweile gibt es im professionellen Umfeld etliche Anwendungsbeispiele. So lassen sich Blockchains zum Auditing in der Informationstechnik einsetzen, zum Beispiel für die elektronische Gesundheitsakte, für E-Voting oder zum Schutz besonders wertvoller Geheimnisse. Auch arbeiten die vier grössten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Welt an einem eigenen Blockchain-Dienst zur Validierung der Finanzberichte an Börsen gehandelter Unternehmen. Anders als die meisten Währungs-Blockchains, die im Prinzip jedem offenstehen, handelt es sich bei diesen Entwicklungen um private Lösungen mit begrenztem Teilnehmerkreis.
Ebenfalls eng eingegrenzt sind in der Regel Smart Contracts. Auch diese «intelligenten Verträge» basieren auf dem Blockchain-Konzept. Wird eine in einem Smart Contract festgelegte Bedingung erfüllt, erfolgt automatisch eine ebenso zuvor festgelegte Aktion. Nachträglich sind diese Verträge dann nicht mehr veränderbar. Das wird etwa in der digitalen Landwirtschaft bei der Produktion hochwertiger Güter genutzt. Dadurch, dass deren Herkunft eindeutig digital belegt werden kann, lassen sich bei den Verbrauchern höhere Preise erzielen. Nun also auch noch NFTs.
Wetten auf die Zukunft
Die teils exorbitanten Summen, die für NFTs bezahlt wurden, und einige Extravaganzen haben dem noch jungen Trend allerdings eher ein Schmuddel-Image verpasst. So erbrachte das Werk «Everydays: the first 5000 Days» des amerikanischen Künstlers Mike Winkelmann mehr als 69 Millionen US-Dollar. Es besteht aus einer Collage von 5000 Bildern, die Winkelmann seit 2007 nahezu jeden Tag auf der Online-Plattform Tumblr veröffentlicht hatte. Fast 12 Millionen Dollar kamen bei einer Versteigerung des Pixel-Bilds «CryptoPunk #7523» zusammen. Ein weiterer solcher «CryptoPunk» erzielte fast 8 Millionen Dollar und ein 10 Sekunden langes Video fast 7 Millionen Dollar. Sogar für das digitale Eigentum an einem Twitter-Tweet war jemand bereit, 2,9 Millionen Dollar zu zahlen.
Welche NFTs einmal solche Summen wert sein werden, ist bei ihrer Veröffentlichung meist völlig unklar. Allein die NFT-Handelsplattform OpenSea listete Anfang März mehr als 30 Millionen digitale Objekte, die dort zum Verkauf angeboten wurden. Bezahlt wird in der Kryptowährung Ether. Viele Anwender verleitet die Hoffnung auf den grossen Deal zum Zocken. So lange die Zahl an Teilnehmern beständig wächst, funktioniert das oft auch – zumindest für die, die frühzeitig eingestiegen sind. Damit ein solches System jedoch nicht irgendwann kollabiert, muss es kontinuierlich wachsen. Nicht wenige Beobachter vergleichen den NFT-Trend daher etwa mit dem Ponzi-System oder den Machenschaften des 2021 verstorbenen Investmentunternehmers Bernie Madoff. Allein Madoff soll einen Schaden von mehr als 50 Milliarden Euro verursacht haben.
Gefahr durch gefälschte NFTs
Der NFT-Hype zieht zudem Betrüger an. So versuchte ein am Georges-Pompidou-Krankenhaus in Paris beschäftigter Oberarzt, das NFT einer Röntgenaufnahme einer seiner Patientinnen zu veräussern. Die Frau wurde 2015 beim Bataclan-Anschlag in der Seine-Metropole durch eine Gewehrkugel verletzt, die in der Aufnahme zu sehen ist. Andere Versuche, mit NFTs reich zu werden, gehören direkt ins Absurditätenkabinett. Da gibt es etwa das TV-Sternchen Stephanie Matto. Es wurde unter anderem damit berühmt, dass es seine in Gläsern konservierten Flatulenzen zum Verkauf angeboten hat. Das soll ihr bereits mehr als 200'000 Dollar eingebracht haben. Nun kann man auch NFTs ihrer Einmachgläser kaufen.
Weit kritischer als diese Extrembeispiele dürfte für den langfristigen Erfolg von NFTs aber die Meldung sein, dass die Handelsplattform Cent den Verkauf der Tokens einschränken musste, weil unter den angebotenen digitalen Gütern zunehmend Fälschungen zu finden waren. Manche Teilnehmer versuchten laut Cameron Hejazi, CEO and Mitgründer der Plattform, NFTs von Produkten zu veräussern, die ihnen gar nicht gehörten. Das sei ein «fundamentales Problem», räumte Hejazi gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters ein. Das dürfte auch Quentin Tarantino bemerkt haben. Der für Filmklassiker wie «Pulp Fiction» bekannte Regisseur verkaufte NFTs seiner Drehbücher. Nun hat er allerdings eine Klage des Filmstudios Miramax am Hals, das Tarantinos Rechte an diesen Werken anzweifelt.
Auf Risiken bei NFTs weist auch Rechtsanwalt Mathias Marcus von der Hamburger Korten Rechtsanwälte AG hin. So sei für den Erwerber eines NFTs die Frage massgeblich, welche Rechte er wirklich am «digitalen Original» erhalte. Der Künstler bleibe nämlich weiterhin der Urheber und könnte daher gegenüber dem Käufer unter Umständen sein Recht auf Anerkennung der Urheberschaft durchsetzen. Bei einer «einfachen Lizenz» sei der Käufer nur berechtigt, das Werk zu nutzen. Dabei sei es grundsätzlich auch möglich, dass der Urheber sein Werk weiterhin selbst verwertet. Beispiele seien Ausstellungen oder Postings auf Facebook. Anders sei das bei einem «ausschliesslichen Nutzungsrecht». Erst damit dürfe nur der Käufer das Werk verbreiten oder vervielfältigen. «Laut Urheberrechtsgesetz ist es allein dem Urheber gestattet, für sein Werk ein NFT zu erstellen», erläutert Mathias Marcus. Dies zeigt, wie komplex das Thema aus rechtlicher Sicht ist. Marcus empfiehlt daher, vor dem Kauf oder Verkauf eines NFTs einen in der Materie kundigen Fachanwalt hinzuzuziehen.
Von Adidas bis Visa
Aber lassen sich abseits des digitalen Kunsthandels gar keine seriösen oder unumstrittenen Einsatzmöglichkeiten für NFTs finden? Vielleicht doch. Da gibt es zum Beispiel die Modebranche, die ihre Produkte in Zukunft gern auch virtuell an den Mann und die Frau bringen will. So verkaufte der Sportartikelhersteller Adidas bereits 30'000 NFTs seiner «Into the Metaverse»-Kollektion. Noch in diesem Jahr sollen digitale Wearables dazukommen, die dann von virtuellen Spielfiguren im Metaversum «The Sandbox» getragen werden können. Auch Konkurrent Nike will mitmischen. Ende vergangenen Jahres hat der US-Konzern ein auf virtuelle Produkte spezialisiertes Designstudio übernommen. Rein digital tragbare Produkte wie Sneaker sollen bald folgen.
Der Hype um NFTs hat auch für Interesse bei Unternehmen aus anderen Branchen gesorgt. So hat die Kreditkartengesellschaft Visa für rund 150'000 Dollar selbst einen CryptoPunk erworben. Gegenüber dem Online-Magazin «The Block» sagte Cuy Sheffield, Head of Crypto bei Visa, man sei der Meinung gewesen, «dass CryptoPunks eine grossartige Ergänzung zu unserer Sammlung von Artefakten wären, welche die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Handels aufzeichnen und feiern». Zu dieser Sammlung gehören unter anderem bereits Kreditkarten auf Papier, frühe Geräte zum Aufzeichnen von Kreditkartentransaktionen sowie nun eben auch ein NFT.
Einen ähnlichen PR-Stunt gab es von der Deutschen Telekom. Der TK-Anbieter hat unter der Marke «Metamorphosis» eigene NFT-Kunst entwickelt. Das sei aber erst der Anfang, kündigte der Markenchef der Telekom Ulrich Klenke an. Man stehe «bei der positiven Weiterentwicklung dieser Welt voller Überzeugung und mit digitalem Optimismus in der ersten Reihe».
Überzeugt von NFTs ist auch Samsung. Der koreanische Tech-Riese hat mit «The Frame» einen smarten Fernseher vorgestellt, der an einer Wand aufgehängt Kunstwerke zeigt, wenn er ausgeschaltet ist. Ausserdem ist er mit einer integrierten NFT-Plattform ausgestattet, mit der man neue Kunstwerke etwa in Zusammenarbeit mit der Ausstellung Photo Basel kaufen können soll.
Rechtliche Risiken
Aber auch schon vor NFTs war es selbstverständlich nicht so, dass digitale Inhalte einfach frei kopiert werden durften. So weist etwa die Rechtsanwältin Carola Sieling in einem Blog-Beitrag darauf hin, dass Kartenausschnitte von Google Maps nicht ohne Genehmigung als Screenshot auf privaten oder gewerblichen Webseiten im Internet eingebunden werden dürfen. Auch Bildagenturen wie Getty Images haben in der Vergangenheit immer wieder Webseitenbetreiber abgemahnt, die urheberrechtlich geschützte Fotos auf ihren Seiten verwendet hatten.
Mit NFTs werde die Einhaltung des Urheberrechts in Zukunft jedoch einfacher, ist Anshel Sag überzeugt, Senior Analyst bei der Marktforschungsgesellschaft Moor Insights & Strategy. Der grosse Unterschied bestehe darin, dass diese Transaktionen auf der Blockchain leichter nachverfolgt und überprüft werden könnten. Ausserdem müsse der ursprüngliche Ersteller keine lokalen Aufzeichnungen mehr über alle Transaktionen führen, erklärte Sag gegenüber dem Online-Magazin «Windows Central». Bilder seien aber nur die Spitze des Eisbergs.
Fazit und Ausblick
Es verwundert nicht, dass Gartner die Akzeptanz von NFTs derzeit noch als gering einstuft und im Moment an der höchsten Stelle des aktuellen «Hype Cycles» platziert. Das würde sich erst ändern, wenn es dauerhafte Geschäftsmodelle gebe, schreiben die Analysten im Report «2021 Hype Cycle for Emerging Technologies». Chancen im NFT-Markt sieht der CRM- und Cloud-Spezialist Salesforce. Laut Medienberichten planen die Chefs Marc Benioff and Bret Taylor eine NFT-Cloud, die in Konkurrenz zum bisherigen Platzhirsch OpenSea treten soll. Auch hier geht es also wieder um den digitalen Kunstmarkt, an dem Salesforce nun anscheinend mitverdienen will. Bis Non-Fungible Tokens aus dieser selbst geschaffenen Nische herauskommen, wird wohl noch etwas Zeit vergehen.
Autor(in)
Andreas
Fischer