20.06.2011, 06:00 Uhr

Agile Enterprise Workflows

Die SBB nehmen bekanntlich alles ganz genau. Mit einem innovativen Prozess soll jetzt das Eingriffs- und Störungsmanagement bei der Infrastruktur noch weiter verbessert werden.
Bild: PD
Claus Thoden ist Technology Domain Architect bei Oracle Software (Schweiz), Walter Strametz ist IT-Architekt bei der BSgroup Technology Innovation AG. Die bis dato bekannten Workflow-Produkte haben es der IT der Schweize­rischen Bundesbahnen (SBB) in der Vergangenheit nicht immer leicht gemacht, ihren Facharbeitern die richtigen Werkzeuge in die Hände zu geben. Starre Kodierung von Prozessen und uneinheitliche Standards haben einen Graben zwischen Fach- und IT-Abteilung entstehen lassen. Um diesen zu überbrücken, ist eine neue Denkweise nötig: Idealerweise werden Prozesse nicht mehr implementiert, sondern nur noch konfiguriert. Die Idee dahinter: Alle Prozesse teilen sich eine gemeinsame Datendefinition – im Fall der SBB etwa Betriebspunkte, Ur­sachen, Strecken etc. – und erfüllen dieselben Prozess-Milestones. Die Fachabteilung weiss, was Betriebspunkte, Ursachen und Strecken sind, und muss auch damit umgehen. Aber wie gelangen solche Fachspezifika in den Prozess, wenn nicht dadurch, dass man sie programmiert? Das IT-Team der SBB kam auf eine Lösung, die inzwischen Vorgabe ist: Prozessbausteine werden mit viel IT-Know-how vorgefertigt und müssen dann vom Business nur noch konfiguriert, also in eine ausführbare Reihenfolge gebracht werden.

Prozesse im Baukastensystem

Der hier vorgestellte Ansatz (siehe Abbildung) zeigt, wie sich solche einheitlichen und kollaborativen Prozesse kostengünstig umsetzen lassen und dabei dennoch die notwendigen Besonderheiten der Geschäftseinheiten berücksichtigen. Der wichtigste Aspekt besteht darin, existierende Geschäftsprozesse nicht direkt in einen einzigen Prozess zu giessen, sondern in standardisierte und parametrisierbare Einzelteile zu zerlegen, um sie später wieder zusammenzusetzen. Die dadurch entstandenen «Prozessbausteine» stehen für alle Unternehmensbereiche zur Ver­fügung, lassen sich beliebig kombinieren und so in neue Geschäftsprozesse implementieren.

Die Prozessbausteine

Prozessbausteine sind von Prozessen gemeinsam verwendete Elemente. Beim Design ist zu berücksichtigen, dass diese frei von spezifischer Domain-Logik sind bzw. parametrisiert werden können, damit ihre Wiederverwendung sichergestellt ist. Diese Bausteine setzen sich zusammen aus: Stammdaten: Hier werden die Schnittstellen von Business-Objekten aus Unternehmensinventaren einheitlich modelliert und per Referenz in den Prozessen verwendet. Prozess-Library: Generische bzw. paramet­risierbare Prozesse zur Wiederverwendung werden hier abgelegt. Ein Beispiel eines Sub-Prozesses wären sämtliche Genehmigungsschritte, zum Beispiel «Vorgesetzter des Antragstellers muss genehmigen». UI-Bausteine, Applikationen & Widgets: User-Interface-Elemente (UI), die sich gut für eine Wiederverwendung eignen, werden parametrisierbar programmiert und von unterschiedlichen Prozessen verwendet. Dies betrifft insbesondere die Darstellung von Stammdatenobjekten oder von Schnittstelleninformationen.

Agiler Business Layer

Agilität im Business Process Management (BPM) bedeutet, dass sich auf einfache Weise neue Prozesse hinzufügen oder bestehende Prozessdefinitionen ändern lassen. Diesen Anspruch erheben BPM- bzw. Workflow-Tools schon seit ihrem Bestehen, jedoch konnten die Erwartungen nie erfüllt werden. Grund dafür war bzw. ist die Komplexität der Tools, die sich sehr nahe an der Implementierung orientiert. Auf dem Fundament der Prozessbausteine und einer dynamisch administrierbaren Konfigurationsdatenbank ist dies nun zum grossen Teil möglich, da die Bausteine die technische Komplexität verstecken und nur einem Prozess zugeordnet werden müssen. Es ist hier aber die Architektur stark gefordert, sinnvolle Prozessbauteile und Parametrisierungen zu definieren, damit dieser Ansatz auch funktioniert.

Aggregations- & Management-Layer

Diese Schicht baut einerseits auf die Prozessbausteine als auch auf die agile Prozessschicht auf. Hier werden prozessübergreifende Sichten umgesetzt, z.B. für die Prozesssteuerung relevante KPIs. Neben Dashboards und anderen Kollaborationsmitteln zählt dazu insbesondere der «Prozess-Briefcase». Dieses User-Interface-Element dient als Prozessbehälter für das Management, das nicht an den Details interessiert ist, jedoch den Überblick über den Status von Prozessen behalten will. Einem Briefcase können beliebige, Domain-unabhängige Prozesse zugeordnet werden. Im Briefcase kann man nach prozessübergreifenden Daten bzw. nach Prozessbausteinen sortieren und gruppieren und sich so einen Überblick z.B. über Status oder betroffene Stammdatenelemente verschaffen. Typische Ansichten sind etwa: «Zeige alle Prozesse eines Betriebspunkts» oder «Zeige und aggregiere die KPIs für alle mit dem Briefcase verknüpften Prozesse (Drill-up und Drill-down)». Jeder kann einen Briefcase erzeugen und auch für andere Benutzer oder Rollen zur Ver­fügung stellen. Besonders bei Grossstörungen ist diese Funktion wichtig, da für die Behebung eine Vielzahl an Prozessen notwendig ist und der Briefcase eine Übersicht und einen Status über den Stand aller laufenden Arbeiten gibt.

Fazit: Vorteil für alle

Der Facharbeiter bei der Bahn hat es heute leichter, denn er ist nicht immer gleich Bittsteller bei der IT und den Kollegen. Aus Prozessbauteilen, die Fachbegriffe wie «Betriebspunkt», «Ursache» und «Strecke» bereits kennen, kann der Mitarbeiter selbst ablauffähige Prozesse erstellen, simulieren, in Produktion bringen, kontrollieren und verbessern. Der IT-Administrator kümmert sich zwar immer noch um den Betrieb der Workflow Runtime Engine, er muss aber nichts mehr über Prozessinstanzen, geschweige denn über die fachlichen Zusammenhänge in einem Prozess wissen. Keiner muss mehr bei ihm anrufen und sagen: «Der XYZ-Prozess ist stecken geblieben, suspende den mal bitte, ich will neu starten.» Der Administrator ist nicht länger mit Fach­fragen gefordert, sondern hat mehr Zeit für seine eigentlichen Aufgaben. Der Prozessentwickler bleibt für die Bausteine des Fachs verantwortlich. Eine Anbindung an ein komplexes ERP-System zum Beispiel hat viele technische Facetten, die in einem Workflow-Element gekapselt werden, das wiederum auf Adaptoren oder vielleicht weitere Prozesse zugreift. Diese Elemente werden in Prozess-Templates veröffentlicht, die ein Facharbeiter dann in einem Katalog zur Nutzung und Wiederverwendung findet. Die Erwartungshaltung und der Nutzen für das Business durch den neuen Ansatz «Agile Enterprise Workflows» bei der SBB sind entsprechend hoch. Auf der einen Seite sollen durch die hohe Wiederverwendbarkeit (Re-Use) der Bausteine IT-Betriebskosten minimiert werden – ebenso auch der Wartungs- und Support-Aufwand. Auf der anderen Seite soll sich der verbesserte Prozess in einem spürbaren Mehrwert für den Bahnkunden niederschlagen: Durch die Vereinheitlichung der Prozesse, die Tool-unterstützte Produktivitätssteigerung und effizientere Entstörung der Bahninfrastruktur entstehen dann letztlich weniger Zugverspätungsminuten.


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