Datenschutz als Stolperstein 28.01.2019, 14:37 Uhr

Big Data eröffnet Pharmabranche neue Wege

Die Pharma-Industrie sitzt auf riesigen Datenbergen, die sie vermehrt für die Forschung verwenden möchte. Doch noch gibt es Datenschutzbedenken.
(Quelle: SDHP/Pixabay)
Eine wahre Goldgrube für Pharma-Konzerne sind seit jeher neu entdeckte Wirkstoffe. Zurzeit schürft die internationale Branche aber verstärkt auch in den Bergen elektronischer Daten, die Patienten auf ihren Wegen von Arztpraxen zu Apotheken oder von Kliniken zu Krankenkassen hinterlassen.
Die Unternehmen wollen die inzwischen digital verfügbaren Patientenakten, Melderegister und Versicherungsdaten auch mit Künstlicher Intelligenz (KI) auswerten. So sollen Krankengeschichten und Behandlungserfolge einer Vielzahl von Patienten miteinander verknüpft werden, um neu Erkrankte gezielter behandeln zu können. Grosses Potenzial sieht die Pharma-Industrie vor allem bei Krebs sowie Herz- und Atemwegserkrankungen.
Seit langem gelten klinische Studien als das A und O für die Beurteilung der Tauglichkeit von Medikamenten. Solche Untersuchungen werden aber immer teurer und die Auswahl an Studienteilnehmern ist begrenzt. Digital gesammelte Daten von Millionen Behandelten könnten dagegen bei niedrigeren Kosten ein schärferes Bild von Therapie-Erfolgen und -Rückschlägen zeichnen, argumentieren die Befürworter. Mit individuell zugeschnittenen Arzneien - der sogenannten personalisierten Medizin - hofft die Branche auf neue Absatzmöglichkeiten. Doch auf dem Weg ins Big-Data-Eldorado gilt es, Datenschutz-Hürden zu nehmen.
Die Pharma-Branche habe es hauptsächlich auf anonymisierte Daten abgesehen, meint Siegfried Throm vom deutschen VFA-Verband
Quelle: pd
Selbstverständlich müssen die Daten des Einzelnen geschützt werden, wie Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovation beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) betont. «Natürlich will keiner, dass bekannt wird, dass er Aids oder Schizophrenie hat.» Aber die im Verband vertretenen Pharmafirmen seien auch gar nicht an solchen persönlichen Informationen interessiert. Es gehe ihnen um die Auswertung anonymisierter Daten vieler Patienten, unter anderem um neue Biomarker zu bestimmen. Solche Merkmale beispielsweise im Erbgut könnten den Weg zur richtigen Therapie weisen, wie es bei bestimmten Krebsarten schon gelungen sei.

Knackpunkt Datenschutz

«Gegen die Auswertung von medizinischen Behandlungsdaten - auch in Big-Data-Dimensionen - ist nichts einzuwenden, wenn die rechtlichen Anforderungen beachtet werden», erklärt Thilo Weichert, früherer Datenschutzbeauftragte des deutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein. Wichtig sei aber, dass es entsprechend der ärztlichen Schweigepflicht ein Forschungsgeheimnis gebe. Es müsse sichergestellt werden, dass die Daten nicht bei einer Versicherung oder beim Arbeitgeber des Patienten landeten.
Thilo Weichert befürchtet, dass die Daten zu Marketingzwecken von den Pharmariesen missbraucht werden könnten
Quelle: pd
Kritiker sehen in dem Trend zur Analyse von Daten aus dem Patientenalltag, von Experten «Real World Data» genannt, eher Marktforschung der Pharma-Riesen - befeuert von Tech-Konzernen mit ihren umstrittenen Datenbergen aus Fitness-Armbändern, -Apps und den sozialen Medien. «Bei der Pharma-Forschung muss sauber zwischen kommerziell geleiteter und erkenntnisgeleiteter Forschung unterschieden werden», mahnt auch Datenschützer Weichert.
Doch auf kommerzieller Seite preschen einige längst vor: So bieten US-Firmen Gen-Analysen per Speichelprobe an und verkaufen die nach eigenen Angaben anonymisierten Daten weiter an die Pharma-Industrie.  «Wir sollten unsere eigenen Datenstandards, ethischen und moralischen Ansprüche gesetzlich formulieren», fordert Thomas Solbach, Molekularmediziner und Experte für personalisierte Medizin bei Strategy&, der PwC-Strategieberatung für Konzerne. «Untätigkeit bedeutet, dass man hinnehmen muss, was andere Länder schon an Fakten geschaffen haben.» Zudem deuteten hauseigene Umfragen darauf hin, dass eine breite Mehrheit der Deutschen für eine bessere, personalisierte Vorsorge und Behandlung durchaus bereit sei, persönliche Daten zur Verfügung stellen. «Das ist ein Weckruf und Auftrag an alle Beteiligten.»
Auch der Medizininformatiker Martin Dugas fordert einen klaren Rechtsrahmen, um Vorteile von Big Data in der Pharma-Forschung nutzen zu können. «Generelles Datenschutz-Bashing ist vielleicht 'en vogue' zurzeit, aber das löst nicht das Problem», sagt der Professor der Uni Münster und warnt zugleich vor überzogenen Erwartungen an die Analyse grosser Datenmengen. Sie führe nicht automatisch zu besserer Forschung. Wichtig sei, dass die Daten vergleichbar, strukturiert und vollständig seien. Das sei bei Informationen aus dem Patientenalltag allerdings nicht unbedingt der Fall, erklärt der Mediziner. «Wenn im Arztbrief nichts über den Herzinfarkt in der Vorgeschichte steht, dann ist diese Information für die Forschung eben auch nicht verfügbar.»

Auch Google und Amazon sind mit von der Partie

Konkrete Beispiele
Internationale Big-Data-Pioniere der Pharma-Branche
Big Data gilt als Hoffnungsträger der Pharma-Industrie. In Deutschland fordern sowohl Wissenschaftler und Datenschützer als auch die Arzneimittelbranche selbst klare Regeln für den Umgang mit sensiblen Patienten-Informationen. In anderen Ländern preschen Unternehmen bereits vor.
  • Die US-Gentest-Firma 23andMe nimmt Speichelproben per Post entgegen, identifiziert das Erbgut und informiert Kunden - beispielsweise über ein Alzheimer-Risiko. Für eine Weitergabe individueller Informationen an Forscher muss der Kunde sein Einverständnis geben, nicht aber für die statistische Aufbereitung seiner Daten. Der britische Branchenriese GlaxoSmithKline investierte 300 Millionen Dollar in die Silicon-Valley-Firma und sicherte sich so einen Exklusivvertrag für die Medikamentenentwicklung auf Basis der Kunden-Informationen.
  • Die US-Unternehmen EncrypGen, LunaDNA, Zenome und Nebula Genomics arbeiten ähnlich wie 23andMe. Sie verschlüsseln aber in der Regel die gesammelten Daten mit der von Crypto-Währungen bekannten Blockchain-Technologie und entlohnen Kunden für die Bereitstellung ihrer Daten mit «Crypto-Coins».
  • Amazon wirbt in seinem Cloud-Geschäft, Amazon Web Services (AWS), für «genomische Analysen». Kunden können demnach in der Daten-Wolke Genom-Informationen speichern und berechnen.
  • Auch Google bietet Services rund um Erbgut-Datenbanken an. So unterstützt die Sparte Google Genomics nach eigenen Angaben Forscher dabei, «die genomischen Daten der Welt zu organisieren und sie zugänglich und nutzbar zu machen».
  • Die von der Google-Mutter Alphabet unterstützte Software-Schmiede Flatiron Health wertet über eine Kooperation mit mehr als 260 Krebskliniken die Daten von Millionen Patienten aus. Der Schweizer Konzern Roche beteiligte sich an dem New Yorker Unternehmen und schluckte es schliesslich für 1,9 Milliarden Dollar ganz.
  • Für die Komplett-Übernahme der ebenfalls in den USA beheimateten Firma Foundation Medicine (FMI) legte Roche 2,4 Milliarden Dollar auf den Tisch. FMI entwickelt Tests, mit denen das genetische Profil von Tumoren analysiert und so die passende Therapie bestimmt werden kann.
  • Der US-Spezialist für Big Data Palantir will in einem Joint Venture mit seinem deutschen Partner Merck Software zur Analyse von Daten aus der Krebsforschung anbieten. Bisher hat Merck selbst als Kunde die Technologie des kalifornischen Datensammlers eingesetzt.



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