02.04.2013, 09:00 Uhr
Logistik-IT kommt nicht vom Fliessband
Die Logistik-IT der Zukunft ist flexibel, individuell einsetzbar und steht auf Abruf sowie mobil zur Verfügung. Fehlende Schnittstellen, Angst vor hohen Kosten und mangelnde Akzeptanz behindern aber noch deren Ausbreitung.
Fehlende Schnittstellen, Angst vor hohen Kosten und mangelnde Akzeptanz behindern die Ausbreitung der neuen IT-Logistik
Die Informationstechnologie spielt in der Logistik heute eine wettbewerbsentscheidende Rolle, denn IT-Systeme machen die Logistik effizient. Aufgrund globaler Herausforderungen wie der demografischen Entwicklung, Klimawandel, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz wird in den nächsten Jahren die enge Verzahnung von Logistik und IT weiter zunehmen. Worin dabei die grössten Herausforderungen bestehen, hat das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML in einer aktuellen Studie (IT in der Logistik, 2012) untersucht. Im Fokus standen dabei Enterprise Ressource Planning (ERP), Warehouse-Management-Systeme (WMS), Transport-Management-Systeme (TMS) sowie Supply Chain Management (SCM). Die drei wichtigsten Logistikaufgaben laut Umfrage: effizienter Umgang mit Ressourcen, Versorgung urbaner Systeme und Erhalt der Individualität. Logistik-IT muss diesen Anforderungen mit neuen Konzepten und Technologien begegnen.
Also & Coop: IT ist zentral
Wie begegnen Schweizer Unternehmen diesen Herausforderungen? Der Emmener IT-Distributor Also Schweiz wickelt bereits rund 85 Prozent aller Bestellungen elektronisch ab, Tendenz weiter steigend. Sowohl im ERP- als auch im WMS-Bereich setzt Also Standardprodukte ein, die allerdings umfangreiche Funktionen zur Parametrisierung bieten. Die enge Zusammenarbeit der IT mit den Fachbereichen sei für den Distributor besonders wichtig, betont Iwan Schröter, Head of IT bei Also Schweiz: «Die IT bei Also hat ein hohes Business-Prozess-Verständnis und arbeitet eng mit der Logistik zusammen, was eine schnelle Umsetzung neuer Kundenanforderungen ermöglicht.» Auch beim Detailhandelsriesen Coop ist eine flexible Logistik das A und O im täglichen Geschäft. Die Coop-Logistik beschäftigt rund 4300 Mitarbeitende und verarbeitet pro Tag durchschnittlich rund 1 Million Bestellzeilen. «Durch den Einsatz der verfügbaren Informatikhilfsmittel konnten bereits heute sehr tiefe
Logistikkosten erreicht werden», erklärt Coop-CIO August Harder. Alle Standorte der Verteilzentralen verfügen über eigene, dezentrale
Lagerverwaltungssysteme, die untereinander aber identisch und synchron mit einer zentralen SAP-Architektur verbunden sind. «Dadurch wird ein Optimum an Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit sichergestellt. Kommissioniert wird weitestgehend papierlos. Ein Tourenplanungssystem optimiert laufend den Einsatz und die Auslastung der Fahrzeuge auf Strasse und Schiene», so der CIO. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Vom Anwender getrieben
Logistikkosten erreicht werden», erklärt Coop-CIO August Harder. Alle Standorte der Verteilzentralen verfügen über eigene, dezentrale
Lagerverwaltungssysteme, die untereinander aber identisch und synchron mit einer zentralen SAP-Architektur verbunden sind. «Dadurch wird ein Optimum an Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit sichergestellt. Kommissioniert wird weitestgehend papierlos. Ein Tourenplanungssystem optimiert laufend den Einsatz und die Auslastung der Fahrzeuge auf Strasse und Schiene», so der CIO. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Vom Anwender getrieben
Vom Anwender getrieben
Die Fraunhofer-Studie hält fest, dass sich die künftige Entwicklung im Bereich Logistik-IT von den Anforderungen der Anwender leiten lassen muss. Demnach sollte moderne Logistik-Software flexibel auf neue Anwendungen erweiterbar sein und sich individuell einsetzen lassen sowie zugleich Raum für die Etablierung von Standards aufweisen. Zudem sollten die Systeme On-Demand und mobil zur Verfügung stehen. Neben geringen Anschaffungs- und Betriebskosten müssen die Systeme zudem von ungeschultem Personal genutzt werden können – das heisst konkret, die Oberflächen müssen selbsterklärend und nachvollziehbar aufgebaut sein. «Kunden erwarten, dass ihre individuellen Wünsche erfüllt werden können, ohne dass sie langwierige Implementierungszyklen in Kauf nehmen müssen», bestätigt auch Iwan Schröter von Also. IT-intern folge daraus, dass Schnittstellen weitestgehend offen sein müssen, damit die Anbindung weiterer Software schnell und unkompliziert erfolgen und die eigene Software-Palette soweit wie möglich standardisiert werden könne. Laut Schröter muss die Logistik-IT also «schnell verfügbar, flexibel, individuell und trotzdem standardisiert sein». Ist das nicht etwas zu viel verlangt? Nein, meint Professor Dr. Michael ten Hompel, Studienleiter und geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer IML: «Moderner Logistik-Software muss der Spagat zwischen individueller Lösung und standardisierter Anwendung gelingen.» Und sie muss aktuelle Entwicklungen aufgreifen: «Die grossen Trends wie Cloud Computing und das Internet der Dinge werden als wichtige Meilensteine einer adäquaten technologischen Entwicklung gesehen», ist der Logistikexperte überzeugt. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Kompatibilitätsproblem
Kompatibilitätsproblem
Auch wenn sich Anwender und Anbieter darüber einig sind, was künftige Logistik-IT leisten sollte, so liegen doch heute noch zahlreiche Hindernisse im Weg, die dies be- oder verhindern. Auf Anwenderseite bestehen grosse Verunsicherungen hinsichtlich der Kompatibilität der Software-Systeme untereinander und deren Integration in bereits bestehende Systeme. In der Regel sind die Schnittstellen proprietär, und oft ist der Aufwand gross, die einzelnen Systeme über verschiedene Schnittstellen hinweg miteinander zu verbinden. Eine weitere Hemmschwelle sind die damit einhergehenden hohen und nicht immer gesicherten Kosten. Auch der Fachkräftemangel schlägt zu Buche, da häufig die Spezialisten fehlen, um die komplexer werdenden Software-Systeme zu administrieren. Dadurch entstehen wiederum weitere Kosten für externe Dienstleister. Verbesserungs- und Weiterentwicklungsbedarf bestehe insbesondere auch bei der Integration mobiler Geräte, meint Alsos IT-Leiter Schröter. Zudem werde die Verbreitung neuer Kommissionierarten und -systeme in der Intralogistik künftig zunehmen und die Anbieter vor neue Herausforderungen stellen. Dazu zählt zum Beispiel das beleglose Kommissionierungsverfahren «Pick-by-voice», bei dem die Aufträge von den Mitarbeitern per Headset und Sprache ins System übertragen werden. Coop-CIO Harder sieht auch eine verstärkte Automatisierung voraus: «Den Herausforderungen der Zukunft wird in den nächsten Jahren durch den zunehmenden Einsatz von Automatiksystemen für die Lagerhaltung und die Kommissionierung Rechnung getragen. Dies wiederum stellt erweiterte Anforderungen an die eingesetzte Logistik-Software», prognostiziert er. Der Detailhandelskonzern sehe dieser Aufgabe jedoch optimistisch entgegen. Derzeit befindet sich bei Coop eine Logistiklösung der neusten Generation im Aufbau, die ab Herbst 2013 schrittweise in Betrieb gehen soll.
Es fehlt an Budget
Aus Sicht der Anbieter steht die schlechte Kalkulierbarkeit anwenderspezifischer Lösungen bei gleichzeitigem Kostendruck als Hemmschwelle an erster Stelle. Die zur Verfügung stehenden IT-Budgets sind oft zu klein und verhindern somit umfassende Lösungen oder eine vollständige Integration in die bestehende IT-Landschaft. Zudem wird der Logistik-IT in vielen Firmen noch nicht der nötige Stellenwert zugesprochen. Auch die Anbieter bemängeln fehlende, firmeninterne Standards für Schnittstellen und Prozesse. In vielen Fällen haben sie zudem mit einer mangelnden Akzeptanz der Software-Lösung bei den Nutzern zu kämpfen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Noch viel zu tun
Noch viel zu tun
Woran also müssen die Software-Entwickler arbeiten? Da wäre zum einen die Schaffung offener Schnittstellen zur Erhöhung der Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen sowie die Definition von Standards. Daneben stehen eine Erhöhung der Termingenauigkeit bei Planung und Steuerung von logistischen Prozessen auf der Agenda, zum Beispiel durch präzise Scheduling-Verfahren und moderne Identifikationssysteme. Wichtig aus Anwendersicht sind ausserdem noch robustere Systeme, die auch bei Aus- und Störfällen den weiteren Betrieb ermöglichen. Darüber hinaus werden sich Anbieter von Logistik-IT künftig auch verstärkt der Trends Mobile und Cloud Computing annehmen müssen. Für die Logistik sind bereits ein paar Lösungen auf dem Markt. So sind Smartphones der neuen Generation in der Lage, Barcodes per Kamera und HF-RFID-Tags zu lesen und zu verarbeiten. Dadurch können die mobilen Geräte ins Firmennetzwerk eingebunden und im operativen Bereich, etwa dem Lager, eingesetzt werden. Angebote auf Software-as-a-Service- oder Cloud-Computing-Basis sind zum Beispiel SAP Business by Design oder die Logistics Mall des Fraunhofer-Innovations-Clusters «Cloud Computing für Logistik»(www.logistics-mall.de). Letztere hat das IML zusammen mit dem Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik ISST Mitte 2012 ins Leben gerufen. In dem virtuellen Einkaufszentrum, das vom Logistikdienstleister und Rechenzentrumsbetreiber Logata betrieben wird, bieten Software-Hersteller sowohl komplette Anwendungen als auch einzelne Bausteine und Dienste an. Anwender können das passende Software-Paket individuell auswählen beziehungsweise einzelne Funktionen anbieterübergreifend zu einem Logistikprozess zusammenstellen. Die Chancen für Logistik-IT-Anbieter liegen künftig vor allem darin, dass mit dem Einstieg in die Cloud eine einheitliche, professionell administrierte Systemumgebung für ihre Software zur Verfügung steht, so die Studie. Mögliche Risiken sieht das Fraunhofer Institut vornehmlich in den Bereichen Performance, Ausfallsicherheit, Datensicherheit und -schutz. Zudem müssten innovative Lösungen gefunden werden, um mit den immer grösser werdenden Datenmengen umgehen und diese sinnvoll auswerten zu können. Aber auch die Anwender müssen eine grössere Innovationsbereitschaft an den Tag legen. Laut Studie zeigten sich in der Gruppe der Anwenderunternehmen nur 23 Prozent innovationsfreudig. Natürlich sind die Anwender dabei immer auf eine Software-technische Umsetzung angewiesen und damit an die Innovationszyklen der Hersteller gebunden.