Im Wunderland
18.03.2022, 15:07 Uhr
Test: Mac Studio
Die Technik verhält sich handzahm oder schiesst durch die Decke: Es ist alles eine Frage des Geldes.
Das Design des Mac Studio lässt erahnen, was ihn ihm steckt
(Quelle: Apple Inc.)
Irgendwie sieht man es dem Mac Studio an, dass er es faustdick hinter den Ohren hat. Trotz seiner eleganten Erscheinung hat er auch etwas von einem muskelbepackten Kampfzwerg, der nur darauf wartet, seine Axt zu schwingen: eine silberne, matt-schimmernde Hybride aus Gimli und Legolas, falls man diesen Charakteren aus Herr der Ringe etwas abgewinnen kann.
Anschlüsse an der Front: Das wir das noch erleben dürfen
Quelle: Apple Inc.
Die Grundfläche von knapp zwanzig Zentimeter entspricht exakt jener des Mac mini, doch die 9,5 Zentimeter Höhe überragen den kleinen Bruder um fast 6 Zentimeter. Das ist zu einem grossen Teil den riesigen Lüftern geschuldet: Sie saugen die Luft am Boden an, führen sie über die Elektronik und geben sie durch die 2000 Löcher auf der Rückseite an die Umwelt zurück. Dieser Lüfter ist so leise, dass das Ohr nicht in die Nähe, sondern an das kalte Gehäuse des Macs gehalten werden muss, um ihn schwach wahrzunehmen.
Die Lüfter sind geradezu riesig, waren aber nie zu hören
Quelle: Apple Inc.
Endlich wieder Anschlüsse!
Alles, was heute an Anschlüssen Rang und Namen hat, ist im Mac Studio verbaut. Auf der Rückseite gibt es 10-Gbit-Ethernet standardmässig; dazu 2×USB-A, HDMI und Audio. Die Helden der Arbeit sind jedoch die vier Thunderbolt-4-Anschlüsse im USB-C-Formfaktor. Sie liefern bis zu 40 Gbit pro Sekunde über Thunderbolt und genauso viel über USB 4. Mehr braucht es nicht, denn über diese Ports wird praktisch alles adaptiert: DisplayPort-Bildschirme, Massenspeicher, Kartenleser, VGA-Projektoren und vieles mehr.
Die vier Thunderbolt-4-Anschlüsse adaptieren praktisch alles, was der Markt an Peripherie hergibt
Quelle: Apple Inc.
Eine weitere Zahl, die man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss: Über Thunderbolt lassen sich bis zu vier Pro Display XDR mit 6K-Auflösung anschliessen – eine Menge Kleingeld vorausgesetzt. Dazu ein 4K-Display über HDMI. Unter dem Strich steuert der Mac Studio also über 90 Millionen Pixel gleichzeitig an.
Alle Modelle sind auf der Rückseite gleich bestückt. Auf der Vorderseite wartet ein leicht zugänglicher SD-Slot, dessen Anblick so manchem Fotografen eine Freudenträne entlocken wird. Bei den beiden Löchern links davon handelt es sich um zwei USB-C-Ports, wenn als CPU der M1 «Max» gewählt wird; beim M1 «Ultra» verbergen sich dahinter zwei weitere Thunderbolt-4-Ports. Dazu gleich mehr.
Der M1 «Ultra»
Der Star der Show ist unzweifelhaft Apple neuste CPU, der M1 «Ultra» – und langsam wird es Zeit, über die Namengebung schlechte Witze zu reissen. (Aber nicht an dieser Stelle.) Nach der ersten «M1»-CPU stellte Apple den «M1 Pro» vor, gefolgt vom «M1 Max» – und nun sind wir beim «M1 Ultra» angekommen. Immerhin wurde in der Keynote erwähnt, dass bei der M1-Reihe damit das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Nächster Halt: M2.
Die neuste CPU verfügt über 114 Milliarden Transistoren und unterstützt bis zu 128 GB gemeinsam genutzten Speicher – und so ganz nebenbei ist sie doppelt so schnell, wie der M1 «Max».
Das Geschichte für diesen Leistungszuwachs ist schnell erzählt, aber technisch beeindruckend: Beim M1 «Ultra» handelt es sich nicht um eine weitere CPU. Stattdessen werden zwei kleinere M1 «Max» über die neue, von Apple entwickelte Schnittstelle «Ultra Fusion» miteinander verbandelt. Sie verschiebt die Daten mit bis zu 2,5 Terabyte pro Sekunde zwischen den beiden CPUs.
Damit wird die Leistung verdoppelt, ohne dass dazu ein neuer Prozessor entwickelt werden musste. Die Ultra-Fusion-Verbindung soll laut Apple etwa viermal so schnell sein, wie bei anderen Rechnern, bei denen mehrere Prozessoren klassisch über das Motherboard verdrahtet werden.
Und damit ist das Rätsel gelöst: Weil es sich bei dieser CPU um einen siamesischen Zwilling handelt, bieten nur die Konfigurationen mit dem M1 «Ultra» auf der Vorderseite zwei zusätzliche Thunderbolt-4-Anschlüsse anstelle von USB-C, weil diese von einer einzelnen CPU nicht auch noch zu stemmen gewesen wären.
Gemeinsamer Speicherpool
Die Ausstattung beim Speicher schwankt beim M1 «Max» zwischen 32 GB und 64 GB. Beim M1 «Ultra» sind sogar 128 GB möglich, weil es sich – Sie ahnen es schon – um zwei einzelne, durch Ultra Fusion verbundenen Systeme handelt.
Allerdings lassen sich diese Werte nicht mit klassischen PCs vergleichen, denn die «Unified Memory Architecture» der Apple-CPUs ist komplett anders konzipiert als der RAM in den Intel-basierten Geräten. Dabei darf der Aufbau nicht mit dem kompromissbehafteten «Shared Memory» verwechselt werden, bei dem sich meistens eine bescheidene Grafikkarte den RAM mit der CPU teilt.
Alles, was den Rechner ausmacht, befindet sich auf einem einzigen Chip (SoC, «System on Chip»). Auf ihm befinden sich die CPU, die Grafikeinheit und vieles mehr. Sie alle teilen sich einen superschnellen Speicherpool, das «Unified Memory». Was es hingegen nicht mehr gibt, sind überholte Bus-Architekturen oder Controller. Stattdessen greift jeder Rechenkern direkt auf diesen Speicherpool zu.
Daten werden also nicht länger hin und her kopiert, sondern stehen sofort jedem Baustein zur Verfügung, der sie braucht: Das kann zum Beispiel die Grafikeinheit oder die Neural Engine sein. Dabei sind die Antwortzeiten extrem kurz, weil keine Daten von hüben nach drüben kopiert werden müssen.
SSD
Die SSD ist den Grössen zwischen 512 GB und 8 TB lieferbar. Gemäss Apple liefert sie bis zu 7,5 GB pro Sekunde (lesen und schreiben), was mit der Messung mit Disk Speed Test von BlackMagic nicht ganz hinkam, aber die Werte spielen immer noch im der Spitzenklasse.
Ein Anfangswert von 512 GB wirken bei dieser Maschine hingegen etwas knauserig. Trotzdem kann diese Grösse für all jene interessant sein, die auf dem Mac Studio nur das System und die Programme speichern. Die Daten landen hingegen auf einem externen RAID, das über Thunderbolt 4 angebunden ist.
Leistung satt
Zum ersten Mal überhaupt lieferte Apple ein Testgerät mit vorinstallierten Projekten für Final Cut Pro, Logic, Xcode und anderen Programmen, die besonders viel Leistung verschlingen. Der Grund ist einfach: Wie schon beim MacBook Pro 14 Zoll, ein als Notebook getarntes Rechenmonster, ist es für den durchschnittlichen Schreiberling nicht einfach, die Grenzen auszuloten – oder sie auch nur zu erkennen.
Zu den interessantesten Beispielen gehört ein Videoprojekt in Final Cut Pro, das aus einem Dutzend Videospuren besteht, die allesamt in 8K (!) aufgelöst sind, dazu Titel und Musik. Die Wiedergabe innerhalb von Final Cut Pro verläuft mit dem M1 «Ultra» im Testgerät absolut flüssig – auch dann, wenn aus den einzelnen Spuren eine animierte, fliessende Collage erstellt wird:
Aber es muss nicht immer die teure Profi-Software sein: Genauso eindrücklich sind die 150-Mpx-Aufnahmen aus der Mittelformatkamera Phase One IQ4, die sich in Apples Fotos-App fliessend betrachten und bearbeiten lassen:
Allerdings hängen die Resultate auch vom Grad der Optimierung bei der Software ab. Eine Szene in Blender 3.1 (mit M1-Unterstützung) wurde in knapp 8 Minuten berechnet. Auf einem Medion Erazer M20 mit einer Nvidia 3070 dauerte das Rendering rund 13 Minuten. Der Mac Studio ist also deutlich schneller – aber eben nicht so viel schneller, wie man es in diesem Fall vielleicht vermuten würde.
Blick über den Tellerrand
Treten wir einen Schritt zurück. Mit der Keynote vom 8. März regnete es Erkenntnisse:
● Es gibt einen neuen Mac Studio
● Dazu gesellt sich ein neues Studio Display
● Ein neuer Mac Pro kommt ebenfalls, wenn auch später
● Der 27-Zoll-iMac ist definitiv Geschichte
Und damit ändert sich in Apples Mac-Sortiment fast alles, weil das Studio Display zum Königsmacher wird. Durch seine Existenz wird jeder Apple-Rechner zu einem interessanten iMac-Nachfolger. So leuchtet der Stern des Mac mini so hell wie nie, wenn er an einem Studio Display hängt. Dasselbe gilt für alle Notebooks, die ihre Inhalte endlich in einem würdigen Rahmen zeigen können.
Traumpaar: Mac Studio mit Studio Display
Quelle: Apple Inc.
Wären wir alle von der Vernunft getrieben, dann müssten die meisten von uns zu einem Mac mini mit Studio Display greifen. Eine vernünftige Konfiguration mit 16 GB RAM und 1 TB SSD kostet 1439 Franken. Denn die Zeiten, als ein Grafiker-Arbeitsplatz als Herausforderung galt, sind seit vielen Jahren vorbei. Selbst auf einem einfachen M1-Mac flutschen InDesign, Illustrator und sogar Photoshop wie geschmiert.
Andererseits kostet ein «kleiner» Mac Studio mit 32 GB RAM, einer 1-TB-SSD und all seinen grossartigen Eigenschaften gerade einmal 2419 Franken; das ist zu wenig, um unerreichbar zu sein. Und damit geht die Rechnerei los, während sich die Vernunft in das Zimmer nebenan verdrückt.
Die Profis hingegen, die einen enormen Leistungshunger an den Tag legen, finden hier garantiert ihre Wunschkonfiguration. Diese Zielgruppe fragt sich eher, in welcher Hinsicht der angedeutete Mac Pro noch leistungsfähiger ist. Kann er das Wetter für die nächsten 10 Tage vorhersagen? Bietet er eine neue Form von internen Steckplätzen, um ihn zu erweitern? Apple lässt uns im Trüben fischen.
Empfehlung und Fazit
Der Mac Studio ist der Rechner der Stunde. Bereits in der Grundkonfiguration lockt er mit den neusten Anschlüssen, einer enormen Rechenleistung, einem sehr schnellen SSD und einem praktisch unhörbaren Lüfter – und das alles in einer wunderschönen, edlen Verpackung.
Doch das grosse Plus ist seine enorme Skalierbarkeit: Praktisch jede Komponente lässt sich auf- und abrüsten. Das Grundmodell beginnt mit dem M1 «Max», 512 GB SSD und 32 GB RAM für 2199 Franken. Am anderen Ende wartet der Gorilla im Raum: mit dem M1 «Ultra» mit 20-Kern-CPU, 64-Kern-GPU und der 32-Kern Neural Engine. Dieses Päckchen mit 128 GB RAM und 8 TB SSD kostet 8799 Franken. Aber dazwischen ist so ziemlich jede Spielart denkbar.
Andererseits sind die Preise alles andere als abgehoben, was auch bei jenen Begehrlichkeiten weckt, die so viel Leistung gar nicht brauchen. Wenn Sie also den Luxus suchen und gerne ein wenig über das Ziel hinausschiessen, könnte die Konfiguration so aussehen:
Die Grundlage ist das kleinere Basismodell mit 10‑Core CPU, 24‑Core GPU und 16‑Core Neural Engine. Erhöhen Sie den RAM von 32 GB auf 64 GB und das SSD auf 2 TB. In dieser Konfiguration stehen wir bei 2859 Franken – und dieses Gerät werden auch anspruchsvolle Mediengestalter in den nächsten Jahren kaum an den Anschlag bringen.
Und mit diesem Preisschild vor Augen dämmert die Erkenntnis, dass der Mac Studio ein überraschend günstiges Gerät ist.
Fazit
Den einzigen Fehler, den man beim Kauf des Mac Studio machen kann, ist ihn überhaupt zu kaufen – obwohl vielleicht ein MacBook Pro oder ein Mac mini die bessere Wahl gewesen wäre. Doch innerhalb dieser Baureihe fühlt man sich wie in einem Bonbonbladen mit den schönsten Leckereien, die man am liebsten alle mit nach Hause nehmen würde. Also raus mit der Kreditkarte: Man lebt schliesslich nur einmal.
Testergebnis
Anschlüsse, Tempo, Design, Skalierbarkeit, nahezu unhörbar
–
Details: Testgerät: M1 «Ultra» mit 20-Core CPU, 64-Core GPU und 32-Core Neural Engine, 128 GB RAM, 2 TB SSD, 6×Thunderbolt 4 / USB 4, HDMI, SD-Card-Slot, Audio-Out, 10-Gbit-Ethernet, Wi-Fi 6 (AX), macOS 12 «Monterey»
Preis: 6819 Franken
Infos: