Meilenstein 02.02.2024, 11:23 Uhr

Wetter- und Klimamodell ICON als Open-Source veröffentlicht

Ein Forschungsteam aus Deutschland und der Schweiz mit Beteiligung der Empa setzt einen Meilenstein in der Klima- und Wetterforschung: Seit Februar steht das renommierte Klima- und Wettermodell ICON allen Interessierten unter einer «Open-Source»-Lizenz zur Verfügung.
(Quelle: Icon)
Dies soll die Wissenschaft und die wissenschaftlichen Dienste dahinter transparenter machen. Gleichzeitig werden weitere wissenschaftliche Fortschritte in einem Gebiet ermöglicht, von dem die Gesellschaft in Zeiten des Klimawandels besonders profitieren kann.
ICON («ICOsahedral Non-hydrostatic modelling framework») ist ein numerisches Wettermodell und berechnet mittels dreidimensionaler Computersimulation die Veränderung der Atmosphäre über die nächsten Stunden und Tage. Solche Wettermodelle werden vor allem von nationalen Wetterdiensten wie dem Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) genutzt. Die Forschungsinstitutionen hinter ICON und dessen heutige Entwickler sind das Schweizer «Center for Climate Systems Modeling» (C2SM, also das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz, die ETH Zürich, die Empa und das WSL), das Deutsche Klimarechenzentrum (DKRZ), der Deutsche Wetterdienst (DWD), das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie das Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M).
ICON zeigt, wie gewinnbringend die Zusammenarbeit zwischen der Forschung und den nationalen Wetterdiensten ist: Die enge Kooperation in den Entwicklungsphasen mündet in sehr effizienten Wetterprognosen und Klimaprojektionen, von denen neben der Forschungsgemeinschaft vor allem auch die Bevölkerung profitiert. Die Bereitstellung des Codes ist ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen in die Wissenschaft und die Forschungsinstitutionen zu stärken. Oliver Fuhrer, Leiter des «Numerical Prediction Department» von MeteoSchweiz, unterstreicht dies: «Die Open Source-Verfügbarkeit des ICON-Modells markiert einen entscheidenden Moment in der meteorologischen Forschung. Das ICON-Modell läuft bei MeteoSchweiz zurzeit in der Testphase mit dem Ziel, es noch dieses Jahr für die tägliche Wettervorhersage einzusetzen.»
 ICON wurde zunächst gemeinsam vom DWD und vom MPI-M als Atmosphären- bzw. Wettervorhersagemodell entwickelt und wird heute in Deutschland und in der Schweiz für die operationelle Wettervorhersage eingesetzt. Im Hinblick auf die Klimaforschung hat das MPI-M passende Modelle weiterer Komponenten des Erdsystems entwickelt, die es erlauben, ICON als vollständig gekoppeltes Klima- und Erdsystemmodell zu nutzen. Neben der Modellkomponente für die Ozeanzirkulation gibt es eine für die marine Biogeochemie sowie für die Landbiosphäre und die hydrologischen Prozesse.
Das eigens entwickelte «Community Interface» ComIn beispielsweise ermöglicht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, das ICON-Modell durch eigene Plug-Ins zu erweitern, ohne den komplexen Modellcode ändern zu müssen. Dies fördert nicht nur die Flexibilität in der Forschung, sondern entfesselt auch die Innovationskraft innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft.
Das KIT hat eine Modellkomponente – ICON-ART – entwickelt, die die Vorhersage von Aerosolen und atmosphärischer Chemie und deren Wechselwirkung mit dem physikalischen Zustand der Atmosphäre erlaubt. Aerosole und die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre bestimmen die Luftqualität und beeinflussen auch Sonneneinstrahlung, Wolken und Niederschlag. Die Empa war an der Entwicklung von ICON-ART ebenfalls beteiligt und hat etwa ein Modul für die effiziente Einbindung von Emissionsdaten entwickelt und ein detailliertes Schema zu chemischen Reaktionen implementiert, das für Simulationen der Luftqualität wichtig ist. Die für die Kopplung der Teilmodelle notwendige Softwarekomponente YAC wurde gemeinsam vom DKRZ und vom MPI-M entwickelt und von Anfang an als Open Source veröffentlicht.
Alle Teilmodelle und Versionen sind in dem Open-Source-Release enthalten, so dass ICON in verschiedensten Auflösungen und Konfigurationen genutzt werden kann, um eine ganze Bandbreite von Anwendungen zu ermöglichen – von globalen und regionalen Wettervorhersagen über Klimaprojektionen bis hin zu sehr hoch aufgelösten digitalen Zwillingen des Erdsystems.
Die Bereitstellung des ICON-Modellcodes unter einer «Open-Source»-Lizenz bedeutet einen entscheidenden Schritt hin zu offener, transparenter, qualitätsgesicherter und kollaborativer Wissenschaft. Forscherinnen und Forscher weltweit erhalten die Möglichkeit, auf einem der führenden Modelle für Wettervorhersagen und Klimasimulationen aufzubauen und gemeinsam an zukunftsweisenden Projekten zu arbeiten. Zudem wird unter der Lizenz auch eine kommerzielle Nutzung möglich. Die Veröffentlichung erfolgt vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Forschungslandschaft, die eine verstärkte Zusammenarbeit und den Austausch von Erkenntnissen fördert.
Die Open-Source-Veröffentlichung erleichtert die Einbindung von ICON in internationale Forschungskooperationen und stärkt die Position Europas auf dem Gebiet der Klima- und Wetterforschung. Zudem ermöglicht sie eine effizientere Zusammenarbeit mit Herstellern von Supercomputern, die die Leistungsfähigkeit ihrer Hardware mithilfe von Wetter- und Klimamodellen testen und verbessern können

Wissenschaftlicher Nutzen und breitere Anwendung

«Die Open-Source Lizenzierung wird den Austausch mit unseren Partnern in der Wissenschaft vereinfachen und könnte die Gründung neuer innovativer Startups im Umweltbereich unterstützen», ist Dominik Brunner, Leiter der Gruppe Atmosphärische Modellierung und Fernerkundung in der Empa-Abteilung «Air Pollution / Environmental Technology» überzeugt. Zudem, so Brunner, erlaube es ICON-ART, zusammen mit Messungen am Boden und von Satelliten aus die Quellen von Treibhausgasen und Luftschadstoffen noch zuverlässiger aufzuspüren und zu quantifizieren.
Ein eindrückliches Beispiel hierfür hat Brunners Team soeben auf der Expertenplattform «EGUsphere» veröffentlicht. Die Forschenden haben mit Hilfe von ICON-ART die Methanemissionen über ganz Europa abgeschätzt und diese mit den von den einzelnen Staaten offiziell rapportierten Mengen verglichen. Bei vielen Ländern stimme das sehr gut überein, so der Empa-Forscher, einige Länder hätten sogar geringere Emissionen als rapportiert – andere dagegen zum Teil deutlich höhere. Die Studie erscheint demnächst im Fachjournal «Atmospheric Chemistry and Physics».


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