IT-Projekt des Monats 23.02.2022, 06:08 Uhr

Edge Computing in den SBB-Zügen

In den Zügen der SBB sorgen Dutzende Computer für eine komfortable Reise. Für die Wartung der Rechner mussten die Züge früher stillstehen. Mit Edge Computing versorgen sich die Linux-Maschinen heute selbst.
Hinter dem Kundeninformationssystem im SBB-Waggon steckt ein Edge-Rechner mit Red Hat Linux
(Quelle: SBB)
Züge der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gleichen heute einem kleinen IT-Betrieb. Mit jeder neu beschafften Zugkomposition steigt die Komplexität der Informatik an Bord. Denn die Waggons bieten mittlerweile digitale Systeme für die Sitzplatzbuchung, dynamische Infoscreens, Videoüberwachung und den kostenfreien Internetzugang über SBB FreeSurf. Alles muss permanent funktionieren, akkurat abgesichert sein und natürlich kontinuierlich aktualisiert werden. Allerdings: Die Züge rollen täglich rund um die Uhr auf den Schienen durch die gesamte Schweiz. Eine Standleitung zum Rechenzentrum hat es dort selbstverständlich nicht.
Auch ist die Verwaltung der Geräte aufgrund ihrer hohen Anzahl und des Fehlens einer zentralen Steuerung schwierig. «In der Vergangenheit mussten wir alle Geräte jedes einzelnen Zuges vor Ort manuell überprüfen, ak­tualisieren oder korrigieren», erläutert Sascha Berger, System Engineer bei der SBB. «Die Handhabung der einzelnen Geräte und ihrer jeweiligen Anbieter war aufwendig und liess keinen Spielraum für Innovationen.»

Lebensdauer von Software und Zug

Nachdem alle Züge über Mobilfunk-Router an das Firmennetzwerk angebunden worden waren, wollte die SBB eine IT-Infrastruktur einrichten, mit der alle an Bord installierten Rechner zentral verwaltet werden konnten. Ausserdem sollte eine standardisierte IoT-Umgebung die Lancierung neuer Services im gesamten Netzwerk erleichtern. «Wir wollten unseren Entwicklern eine Plattform zur Verfügung stellen, die ihnen eine einfache und schnelle Einführung beliebiger Anwendungen ermöglicht», so Berger.
So machte sich die SBB auf die Suche nach einer Managementplattform, die sich bereits auf dem Markt bewährt hatte. Schliesslich fiel die Wahl auf Red Hat. «Einer der wichtigsten Faktoren bei dieser Entscheidung waren langfristige Support-Leistungen», erklärt Berger. «Red Hat war einer der wenigen Anbieter, der uns zehn Jahre Support für sein Betriebssystem zusichern konnte und die Möglichkeit bot, auch Kundenbedürfnisse in die Produkte einfliessen zu lassen.» Diesen Request for Enhancement (RFE) sollte die SBB schon bald benötigen.
Bei der Einführung von Red Hat Enterprise Linux 7 war es eine Challenge, ein Betriebssystem über ein Mobilfunknetz zu installieren. Hier erfüllte Red Hat Satellite noch nicht alle Anforderungen und erforderte einen RFE. Auch hatte die Lösung Mühe, Netzwerkinstallationen im UEFI-Modus (Unified Extensible Firmware Interface) auszuführen. Und nicht zuletzt musste Red Hat Satellite auch tagged VLAN und IPv6 unterstützen. Dank des Supports der Spezialisten von Red Hat Schweiz verlief das Setup letztendlich reibungslos. Dabei war der RFE eine wichtige Ergänzung, um das Linux-Betriebssystem zu installieren.
Die mehr als 100 000 Onboard-Systeme der SBB erzeugen grosse Datenmengen, die mit Enterprise Linux und Ansible Automation Platform von Red Hat bewirtschaftet werden. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung hat die Komplexität jedoch zugenommen: Die SBB betreibt heute eine wachsende Anzahl von Rechnern in den Fahrzeugen, die alle mit eingeschränkter Konnektivität für den physischen Zugriff auskommen müssen.
Zudem führten unerwartete Spannungsunterbrüche dazu, dass die Systeme teilweise nicht richtig heruntergefahren werden konnten. Dies hat korrupte Dateisysteme zur Folge, die wiederum die Verfügbarkeit der Komfort­applikationen wie das Kundeninformationssystem beeinträchtigen. Nicht zuletzt wegen der limitierten Bandbreite und einer unterbrochenen Datenverbindung, die aufgrund von Funklöchern bei fahrenden Zügen auftreten kann, kam die SBB erneut auf Red Hat zu, um bestenfalls eine Lösung zu finden.

Idealszenario für Edge Computing

Red Hat brachte sodann Red Hat Edge ins Spiel, das die SBB-Verantwortlichen mit der Art und Weise, wie das System aktualisiert werden kann, überzeugte. Edge Computing konnte die Herausforderungen dieses Projekts lösen. «Mit Edge Computing lassen sich Bandbreitenbeschränkungen vermeiden, Netzwerkkosten senken, Übertragungsverzögerungen reduzieren und eine bessere Kontrolle über die Bewegung sensibler Daten realisieren», so Dominik Wotruba, Tech Sales Leader Switzerland bei Red Hat. «Die Ladezeiten werden verkürzt und Online-Dienste, die näher an den Benutzern bereitgestellt werden, ermöglichen sowohl dynamisches als auch statisches Caching.» Das Computing wird näher an den Ort gebracht, an dem Daten generiert und Aktionen ausgeführt werden.
“Mit Edge Computing lässt sich die Bewegung sensibler Daten besser kontrollieren„
Dominik Wotruba, Red Hat
Für Peter Mumenthaler, Senior Solution Architect bei Red Hat, sind vernetzte Fahrzeuge ein ideales Beispiel für Edge Computing. «Die Züge tragen Computer, um beispielsweise den Passagierfluss oder Onboard-Dienstleistungen zu verbessern. Bei der Bereitstellung mit einer Edge-Computing-Strategie läuft jedes Fahrzeug auf der gleichen standardisierten Plattform wie der Rest der Flotte, wodurch die Dienste zuverlässiger werden und sichergestellt wird, dass die Daten einheitlich geschützt sind», erklärt er.
Aus der Perspektive der SBB-Informatik ist zudem ein grosser Vorteil von Edge Computing, dass Daten von Eingaben von Mobil-Devices und anderen IoT-Geräten (Internet of Things) in Echtzeit eingesehen und verarbeitet werden können. Dabei punktet die Verwendung des Real-Time-Kernels für die Real-Time-User zusätzlich. Mit Blick auf den Einsatz in den Zügen doppelt Tech Sales Leader Wotruba nach: «Edge ist eine Strategie, um Erfahrungen und Erkenntnisse in dem Moment zu liefern, in dem sie benötigt werden.»

Auf der Reise an die Edge

Die SBB sieht nach den Worten von Berger in Red Hat Enterprise Linux ein robustes Betriebssystem für Edge Computing, bei dem die Updates während des laufenden Betriebs durchgeführt werden können, jedoch erst bei
einem Reboot wirken. So bleiben die vorherigen Versionen erhalten und ermöglichen ein rasches Rollback – sollte doch einmal ein Defekt auftreten. Für Technologiepartner Red Hat ist Edge Computing eine strategische
Entwicklungsinitiative. Derzeit noch offen sind Möglichkeiten zur einfachen und übersichtlichen Verwaltung der Betriebssystem-Images und -Installationen sowie deren Variationen, wenn es leicht unterschiedliche Hardware-Installationen gibt.
Für die SBB hat die Reise mit Edge Computing erst begonnen. «Wir erwarten mit der Einführung von Red Hat Edge bei der SBB viele Neuerungen, aber auch Möglichkeiten zur Einflussnahme bei der Produktentwicklung und Priorisierung der Themen», sagt Berger.



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