Forschungsprojekt 05.10.2021, 14:36 Uhr

Mit Datenwissenschaft gegen Armut

Empa und Base («Basel Agency for Sustainable Energy») haben eine App entwickelt, die Kleinbauern in Indien berät, wie sie ihre Lebensmittel optimal lagern können. Zudem wurden Open-Source-Daten gesammelt und digitale Zwillinge für Lebensmittel entwickelt.
Die mobile App «YourVCCA», die derzeit von Empa und Base entwickelt wird, soll Kleinbauern im ländlichen Indien Zugang zum Kühlkettenmarkt verschaffen.
(Quelle: Base)
Indien ist einer der grössten Lebensmittelproduzenten der Welt. Unzureichende Kühlmöglichkeiten und andere Engpässe in der Lieferkette führen jedoch dazu, dass bis zu einem Drittel der produzierten Lebensmittel verschwendet werden – ein geschätzter Verlust in Milliardenhöhe.
Nur 6 Prozent der Lebensmittel durchlaufen die Kühlkette, verglichen mit etwa 60 Prozent in Industrieländern. Besonders problematisch ist die Situation für Kleinbauern, die einen grossen Anteil an der Nahrungsmittelproduktion in Indien haben. Finanzielle, technologische und fachliche Hürden hindern diese Landwirte am Zugang zu nachhaltigen Kühllösungen, um Lebensmittel zu retten – und ihre Existenz zu sichern.
Um diese Herausforderung zu meistern, entwickeln Empa und Base eine frei zugängliche, datenwissenschaftlich gestützte mobile App, die Kleinbauern und -bäuerinnen Zugang zu nachhaltigen Kühlanlagen, zu Fachwissen vor und nach der Ernte und zu Marktinformationen ermöglicht.
Die App «Your Virtual Cold-Chain Assistant» (YourVCCA) enthält verschiedene Dateneingaben wie Wetter- und Klimadaten, Satellitenbilder, geografische Standortdaten, Erträge von Frischprodukten, Daten von hygrothermischen Kühlhaussensoren, prognostizierte Resthaltbarkeit von Produkten und Marktpreise in Echtzeit. Durch die Ausstattung der Kleinbauern mit geeigneten Daten will das Projekt die Ernährungssicherheit verbessern, die Einkommen der Kleinbauern erhöhen, Lebensmittelverluste verringern und die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf das globale Klima minimieren.

Zugang zu Kühlräumen und Daten

Ein entscheidender Weg, um den Zugang von Kleinbauern zu Kühlanlagen zu verbessern, ist die Gründung von Partnerschaften mit Anbietern von Kühllösungen. Einer der lokalen Partner bietet Kühlungsdienste auf einem Markt an, der von rund 500 Kleinbauern besucht wird. Im Rahmen dieses Projekts, das als Pilotprojekt für die YourVCCA-App dient, werden hygrothermische Daten und Nutzungsdaten gesammelt, die Aufschluss über die optimalen Lagerbedingungen und die voraussichtliche Haltbarkeitsdauer der Erzeugnisse geben. Ziel des Projektteams ist es, Daten zu sammeln und diese in einer mehrschichtigen Karte Indiens zusammenzufassen, auf der die vielversprechendsten Kühlraumlager im Land verzeichnet sind.
Gleichzeitig wird die Wirksamkeit von YourVCCA getestet, einschliesslich eines bildbasierten maschinellen Lernmodells zur Bewertung von Früchten nach der Ernte. Darüber hinaus entwickelt das Projektteam visuelle, physikbasierte Zwillinge, die in Echtzeit die voraussichtliche Haltbarkeit der gelagerten Früchte vorhersagen.
«An der Empa können wir bereits voraussagen, wie lange man ein Produkt lagern kann und wie Kleinbauern und -bäuerinnen diese Produkte lagern sollten, damit sie möglichst lange haltbar sind», sagt Empa-Forscher Thijs Defraeye. Diese digitalen Zwillinge werden Landwirten und Kühldienstleistern demnächst über eine webbasierte Plattform oder über eine mobile Version zur Verfügung gestellt.
In YourVCCA werden diese digitalen Zwillinge und ihre Haltbarkeitsvorhersagen mit Marktpreisprognosen dann kombiniert, um den Landwirten zu empfehlen, wann sie ihre Ware am besten verkaufen sollten. «Wir haben YourVCCA als eine Art virtuellen Coach konzipiert, der den Nutzern rät, wie sie ihre Produkte lagern sollen, wie viel von der Qualität noch vorhanden ist und wann sie verkaufen sollten», fügt Defraeye hinzu.
Derzeit arbeitet das Projektteam an der Architektur der Benutzeroberfläche für YourVCCA. Die Benutzerfreundlichkeit sowohl für Kleinbauern als auch für Betreiber von Kühlsystemen wird in den kommenden Monaten getestet. «Die Fortschritte sind vielversprechend», so Defraeye, «wenn wir die Daten nutzen können, können wir viel mehr Lebensmittel vor dem Verderb retten, was sowohl den lokalen Produzenten als auch dem Klima zugutekäme. Wir alle wissen, dass die Technologie dafür vorhanden ist, aber derzeit sind die Lösungen nicht auf Kleinbauern zugeschnitten, da der finanzielle Anreiz dafür einfach geringer ist als bei grösseren Agrarunternehmen.»

Autor(in) pd/ jst



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