06.10.2005, 22:33 Uhr

Einer für fast alle

Mit Anleihen an Visual-Basic und Plattform-Unabhängigkeit will Realbasic Entwickler anlocken. Doch die Umsetzung überzeugt nur halbwegs.
Visual-Basic war ein echtes Einsteigerwerkzeug, bevor Microsoft das Dotnet-Framework einführte. Interessierte konnten sich Schritt für Schritt einarbeiten und schon bald kleine Anwendungen schreiben. Die Dotnet-Version von Visual-Basic ist aber nicht kompatibel zum Vorgänger und verlangt solide Kenntnisse in objektorientierter Programmierung. Gefragt ist deshalb ein Entwicklerpaket mit dem Komfort und der Einfachheit des alten Visual-Basic. Real Software aus Texas verspricht mit Realbasic genau das und verheisst erst noch Plattform-Unabhängigkeit.
Seit kurzem gibt es Realbasic 2005 für Windows, Linux und Mac OS X. Die nach traditioneller Zählung sechste Version ermöglicht die Anwendungsentwicklung im Stil des alten Visual-Basic auf diesen drei Plattformen. Realbasic 2005 wird in einer Standard- und der getesteten Professional-Version angeboten. Sie bietet Plattform-übergreifendes Kompilieren, Zugriff auf Datenbanken sowie Remote-Debugging.

Parallelen zu Visual-Basic

Ein Entwickler, der mit Visual-Basic 6 (VB6) gearbeitet hat, findet sich in Realbasic schnell zurecht. Die Grundeinheit ist immer ein Projekt. Es besteht im Normalfall aus dem Application-Objekt, einem Fenster und einer Menüleiste. Ersteres legt wichtige Eigenschaften der ganzen Anwendung fest, wie den Namen oder das Startfenster. Das grafische Erscheinungsbild wird im Fenster-editor mit der Maus aufgebaut. Hierzu stehen die üblichen Bausteine bereit wie Schaltflächen, Auswahllisten, oder Textfelder. Dieser Aspekt des Realbasic-Werkzeugs ist gut gelungen, wird doch der Entwickler beim Einpassen der Bausteine mit dynamischen Hilfslinien und Einrastpunkten unterstützt. Wie in anderen Entwicklungsumgebungen können die Eigenschaften jedes Elements in einem übersichtlichen Teilfenster des Editors gesetzt werden. Anders als in Visual-Basic gehören Menüs hier nicht direkt zum Anwendungsfenster. Stattdessen gibt es hierfür eigene Bausteine, welche je nach Bedarf einem Fenster zugeteilt werden. Dadurch lassen sich Menüs flexibler aufbauen, was die Anpassung an unterschiedliche Zielplattformen vereinfacht.
Bei der Sprache fallen Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zu Visual-Basic auf. Allgemein versuchten die Realbasic-Architekten offenbar, möglichst nahe am Vorbild zu bleiben. So unterstützt ihr Basic-Dialekt alle bekannten Befehle. Bemerkenswert ist, dass auf das Schlüsselwort «Set» verzichtet wurde, mit dem in VB6 Objekt-Zuweisungen eingeleitet werden, was immer wieder für Verwirrung sorgt. Das deutet daraufhin, dass Real Software einige Arbeit zur Straffung ihrer Sprache geleistet hat. Leider ist die Herstellerin auf halbem Weg stehen geblieben. Sie hat unverständliche alte Zöpfe nicht abgeschnitten, wie die unterschiedliche Klammersetzung beim Aufruf von Funktionen und Prozeduren. Trotzdem bezeichnet die Anbieterin Realbasic als objektorientierte Sprache, was nicht stimmt, wenn die Regel «Alles ist ein Objekt» gilt. Wer rein prozedural arbeiten will, kommt mit den objektorientierten Aspekten praktisch nicht in Kontakt. So gesehen blieb die Programmiersprache auf dem einfachen Niveau, dank dem sie so populär wurde. Aber es ist schade, dass nicht viel konsequenter Veraltetes eliminiert und die Sprache schlanker und in sich logischer gestaltet wurde.

Mängel in der Umsetzung

Sehr gewöhnungsbedürftig ist die Arbeit mit dem Codeeditor. Es gibt keine Möglichkeit, den Programmcode eines Fensters oder einer Klasse als Ganzes zu sehen. Der Entwickler muss immer in einer Liste die Prozedur auswählen, an der er arbeiten will. Dann präsentiert ihm der Editor den Körper der Prozedur, stellt aber ihren Namen und allfällige Argumente unnötigerweise in getrennte Eingabefelder. Das erschwert den Überblick sehr. Ganz allgemein ist die Unterstützung beim Code-Schreiben schlechter als in vergleichbaren Werkzeugen. Es ist zwar möglich, an jeder Stelle eine Auswahlliste mit Schlüsselworten und Symbolen aufzurufen und das Gewünschte einzufügen. Leider ist die Liste aber nicht kontextabhängig. Hier setzt Eclipse die Massstäbe, an denen sich andere messen müssen. Realbasic bleibt da weit zurück.
Auch die Hilfe ist dürftig ausgefallen. Zwar sind die englischen Handbücher sauber geschrieben. Aber sie liegen nur im PDF-Format vor, so dass die Navigation nicht so flexibel ist wie in HTML-Hilfesystemen. Und die interaktive Hilfe beschränkt sich auf knappe Informationen zu Programmiersprache und installierten Komponenten.
Realbasic kann auch mit Datenbank-Servern zusammenarbeiten. Die Professional-Version verfügt hierzu über proprietäre Treiber für gängige Produkte, darunter Oracle, My-SQL und Postgresql. Diese Aufzählung ist auf den ersten Blick eindrücklich, aber Tests werfen Fragen auf. So war es nicht möglich, Postgresql mit akzeptablem Passwortschutz anzubinden. Der Treiber für Oracle funktioniert, aber die Abbildung der Oracle-Datentypen auf die Realbasic-Typen klappte mit Datums- und Zeitfelder nicht auf Anhieb. Wer also Realbasic für Datenbankanwendungen brauchen will, muss zuerst ausgiebig testen, ob sein Datenbankserver auch richtig angesprochen wird.
Solche Unzulänglichkeiten verstärken die grundsätzliche Skepsis gegenüber Realbasic. Plattform-übergreifende Anwendungen mit einem einzigen Entwicklungstool zu schreiben, ist ein anspruchsvolles Ziel. Es gibt eigentlich, abgesehen von Java-Umgebungen, noch keine Lösung, welche dies wirklich erreicht. Es fragt sich generell, ob Real Software über die nötigen Ressourcen verfügt, um ein dermassen komplexes Werkzeug bereitzustellen. Die aktuelle Version überzeugt jedenfalls nicht. So lassen sich unter Windows kompilierte Projekte zwar unter Linux und Mac OS X starten, aber sie funktionieren mindestens unter Linux nicht richtig. Komplexe Visual-Basic-Projekte liessen sich mit dem separaten Konverter nicht aufbereiten. Jeder Versuch brachte Realbasic zum Absturz. Beim Debuggen von Programmen kann ausserdem das Werkzeug blockiert werden. Das bedingt einen Neustart des Rechners und mühseliges Löschen von temporären Dateien. Zur Version 2005 sind bereits zwei Updates nachgeliefert worden, auch das ein Zeichen mangelnder Reife der Software.

Auf dem Weg steckengeblieben

So gesehen ist Realbasic 2005 ein Entwicklungspaket, das von der Idee und den Zielen her beeindruckt. Aber selbst einfache Projekte aus den Tutorials funktionieren ohne Modifikation auf den drei anvisierten Plattformen nicht problemlos. Sobald man versucht, eigene Wege zu gehen, sind die in den Handbüchern mitgelieferten Informationen zu knapp. Und die Entwicklergemeinschaft, die auf dem Web für einen Erfahrungsaustausch erreicht werden kann, ist zu klein. Es ist zu bezweifeln, ob dieser proprietäre, von einem zweifellos fähigen Team beschrittene Weg wirklich zum Erfolg führt. Die angesprochenen Qualitätsmängel und die knappen Unterlagen stimmen jedenfalls skeptisch.
Josef Wetzel



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