Tipps für den Re-Start 18.10.2021, 06:23 Uhr

Schlechter Tag? Gibt es nicht!

Jedes Unternehmen braucht glückliche Kunden. Mitarbeitende, die ihren Job lieben, sind die ideale Basis dafür. Beides zusammen ist ein Erfolgsgarant. Was viele nicht bedenken, ist, dass dafür Zeit und Aufmerksamkeit notwendig sind.
Sympathischer Olympia-Held: Jérémy Desplanches schiesst am Flughafen Genf ein Selfie von sich und seinen Fans
(Quelle: Keystone/Salvatore Di Nolfi)
Schlechter Tag? Oder auch nur eine schlechte Stunde? Das kann sich kein Anbieter leisten. Stellen Sie sich nur mal vor, der Coiffeur arbeitet immer perfekt, nur leider bei Ihnen verschneidet er sich. Würden Sie das tolerieren? Sicherlich nicht. Wir erwarten, dass sich um uns gekümmert wird, dass wir die bestmögliche Leistung bekommen – nicht nur punkto Produkt, sondern auch, was den Service anbelangt. Schliesslich bezahlen wir dafür!

Irgendein Ladengeschäft nach der Pandemie

Zwei Mitarbeiter, in ein Gespräch vertieft (man hat sich lange nicht mehr gesehen), nehmen den Kunden, der den Shop betritt, nicht einmal richtig wahr. Als der Kunde sich erdreistet, eine Frage zu einem Produkt zu stellen, beantwortet einer der Verkäufer sie mit dem «wertvollen» Hinweis auf die Website des Herstellers. Dem zweiten «engagierten» Verkäufer ist sichtlich nur eines wichtig: Zusatzverkäufe! Schliesslich wurden diese von der Geschäftsleitung an­geordnet. Und einen tollen Marketingflyer gibt es auch dazu. Genau mit dem in der Hand – erstaunt über die «tolle Unterstützung» bei der Entscheidungsfindung – verlässt der Kunde das Geschäft. Sein Weg führt ihn schnurstracks zum Wettbewerber zwei Strassen weiter. Oder direkt nach Hause, um sich online zu informieren und zu bestellen. Der Verkäufer freut sich indes, endlich in aller Ruhe neue Ware ordern zu können – schliesslich ist bald Feierabend.  
Ein gutes Beispiel für die Denkweise vieler Unternehmen: Serviceorientierung ist «nice to have» – viel entscheidender sind aber die Produkte. Auch viele Mitarbeiter am Point of Sale im direkten Kundenkontakt vertreten diese antiquierte These: Nur die Qualität zählt! Ja, aber eben nicht nur die Qualität der Produkte, sondern auch die Qualität des Kundenkontakts – vom ersten «Augen-Blick» an.
“Produkte sind austauschund kopierbar – Serviceerlebnisse nicht„
Maja Schneider

Irgendeine Hotellobby nach der Pandemie

Ein Gast tritt durch die Tür. Sofort hat er die Aufmerksamkeit des Mitarbeiters an der Rezeption, der ihn herzlich begrüsst. Offensichtlich macht dieser Mitarbeiter seinen «Job» aus tiefster Überzeugung. Er bietet dem Gast ein Getränk an und gestaltet mit einem aufmunternden Spruch das lästige Ausfüllen der Anmeldung so angenehm wie möglich. Sichtlich begeistert von «seinem» Hotel erzählt er dem Gast von verschiedenen Leistungen, verbunden mit der Anregung, das eine oder andere gleich zu buchen. Der Gast entscheidet sich spontan für eine Wellnessanwendung nach der anstrengenden Anreise und reserviert einen Tisch für den anschliessenden Restaurant­besuch. Auch dort ist zu spüren: Jeder Hotelmitarbeiter ist auf seine Weise erpicht darauf, den Aufenthalt des Gastes so angenehm wie möglich zu gestalten. Eine persönliche Ansprache und das Erfüllen individueller Wünsche sind selbstverständlich. Der Gast fühlt sich rundum wohl und bestens aufgehoben.
Eine solch gelebte Begeisterungskultur versüsst den Aufenthalt jedes Gastes und stärkt die Loyalität zum Hotel. Was in der gut geführten Hotellerie zur Normalität gehört, ist in vielen anderen Branchen eher selten zu finden. Warum eigentlich?

Begegnungsqualität macht den Unterschied

Der ganz grosse Coup gelang auch dem 20-jährigen Tessiner Noè Ponti. Nach Desplanches schwamm er ebenfalls sensationell zur Bronze-Medaille. Hier steht er am Flughafenempfang in Zürich zum interview bereit
Quelle: Keystone/Ennio Leanza
Rundumservice beginnt und endet beim Gefühl des Kunden. Immer steht der Mitarbeiter an erster Front und im direkten Kontakt. Ob es sich um ein Optikergeschäft, ein Hotel oder den Empfang eines Unternehmens handelt – das Verhalten des Mitarbeiters wirkt sich unmittelbar auf die Begegnungsqualität aus. Kunden spüren, wenn ihr Gegenüber voller Herzlichkeit und aus Überzeugung seiner Aufgabe nachgeht. Sie wissen dies zu schätzen und lassen sich gerne von jemandem beraten, der
  • sein Thema sicher beherrscht und seine Tätigkeit mit Begeisterung ausübt;
  • authentisch und auf Augenhöhe kommuniziert, ohne zur Überheblichkeit zu tendieren;
  • über das Normale hinaus agiert und Freude daran hat, die Erwartungen des Kunden zu übertreffen;
  • nur ein Ziel verfolgt, nämlich dem Kunden das zu verkaufen, was am besten zu ihm passt und seinen Wünschen entspricht.
Bleiben wir im Ladengeschäft. Da ist sicher: Fühlt sich der Kunde willkommen, ernst genommen, wertgeschätzt und fängt der Aufenthalt im Geschäft an, ihm Spass zu machen, wird aus jedem schnöden Einkauf ein wahres Shopping­erlebnis, das ihn dazu veranlasst, seinem Umfeld davon zu erzählen und Empfehlungen auszusprechen. Das positive Gefühl eines perfekten Services sowie die persönliche
Zufriedenheit überwiegen nachhaltig die Sorgen über den Preis – oder die oft später eintretende Kaufreue.

Differenzierte Erwartungen

Die Wünsche und Erwartungen von Kunden und Mitarbeitern können sehr unterschiedlich sein. Genau darin liegt die tägliche Herausforderung im Umgang miteinander. Wo auch immer ein Kunde ein Unternehmen betritt, erwartet er überall «nur» das eine: Er möchte wahrgenommen werden. Am einfachsten gelingt dies durch Fragen. Oder noch besser, wenn wir dann auch genau zuhören, was er uns zu sagen hat. Oft sind es Kleinigkeiten, die den Erfolg aus­machen – und Kunden immer wieder überrascht, wenn jemand tatsächlich wissen will, was sie zu sagen haben.
Mangelhaftes Ambiente oder mangelnde Qualität, störende Prozesse oder unfähige Mitarbeiter: Werden solche Pro­bleme nicht erkannt und aus der Welt geschafft, machen sie schnell die Runde. Social Media ist da gnadenlos und immer mehr Kunden sind dazu bereit, vor allem schlechte Erfahrungen umfassend zu teilen.
Tipps und Tricks
Jeder Kontakt mit einem Kunden oder Gast bietet nicht nur unheimlich viele Chancen, sondern auch Risiken. Um diese gekonnt zu meistern, mögliche Konflikte aus dem Weg zu räumen, bevor sie entstehen, oder einfach für eine grundsätzlich entspannte und einladende Atmosphäre zu sorgen, sind folgende Punkte entscheidend: offene Körperhaltung und ansprechende Kleidung; der erste «Augen-Blick»; eine freundliche Begrüssung; die richtigen Fragen stellen, Wünsche auf­decken; zuhören und ehrliches Interesse am Kunden zeigen; Bedürfnisse befrie­digen und individuelle Antworten bieten; eine verbindliche Verabschiedung.

Die Emotion ist entscheidend

Einen super Tag erwischte in Tokio der Genfer Schwimmer Jérémy Desplanches. Über 200 Meter Lagen gewann er überraschend Bronze. Vor ihm stand letztmals 1984 ein Schweizer Schwimmer auf einem Olympia-Podest
Quelle: Keystone/EPA/Patrick B. Kraemer
Für viele Unternehmen ist Kundenzufriedenheit ein schönes Wort auf der eigenen Homepage. Und dass die Mit­arbeiter wertgeschätzt und gefördert werden, steht in jedem HR-Profil. Doch wie viel davon wird tatsächlich im Alltag gelebt? Wie viele dieser Versprechen kommen in der Realität an? Ein toller Spruch: «Service ist nicht alles, aber ohne Service ist alles nichts.» Aber haben wir nicht alle auf Kundenseite schon einmal erlebt, dass die beste Absicht nichts nützt, wenn wir nicht ins Handeln kommen? Dass der schönste Slogan nicht mit Leben gefüllt wird, wenn nicht Menschen etwas dazu beitragen?
Viele Unternehmen versuchen, den Service zu verbessern, um erfolgreicher zu werden. Abläufe werden optimiert, Prozesse perfektioniert – und ein Give-away hat ja noch nie geschadet. Was Unternehmen dabei oft vergessen: Strukturen sind das eine und eine durchdachte Servicestrategie ist sicher nicht verkehrt. Allerdings beachten sie dabei einen anderen Aspekt nicht: Begeisterung ist – vor allem und in erster Linie – eine Sache der Persönlichkeit! Spüren Kunden, dass Mitarbeiter das, was sie tun, aus tiefster Überzeugung und Herzlichkeit machen, dann ist dieses Verhalten ansteckend. Den wahren Wert ergibt also nicht zwingend eine Dienstleistung oder ein Produkt als solches, sondern vielmehr die Emotion, die Kunden damit verbinden. Nur positive und persönliche Beziehungen machen aus Kunden glückliche Kunden. Nur glückliche Kunden werden zu Stammkunden. Und nur Stammkunden werden zu aktiven Empfehlern – und genau das sollte das Ziel jedes Unternehmens sein.
Dos und Don'ts
Wie kann sichergestellt werden, dass die Mitarbeitenden am gleichen Strang ziehen und sie sich ihrer Bedeutung bewusst sind? Es geht in erster Linie darum, die Angestellten in Situationen der Unsicherheit zu unterstützen und sie in ihrer natürlichen beruflichen Motivation zu bestärken. Hilfreich ist auch, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie das eigene Verhalten auf Kunden wirken kann. Sowohl po­sitiv als auch negativ betrachtet, verdeutlichen Beispiele plakativ, worauf es beim Thema Kundenbegeisterung und herzlicher Gastlichkeit ankommt:
Dos: Ein sympathisches Lächeln kann nicht nur, es wird Wunder bewirken – trotz Schutzmaske. Auch wenn lediglich die Augen sichtbar sind, wird die authentische Herzlichkeit und Verbindlichkeit eines Mitarbeiters erkannt. Und der Kunde wird sich dadurch immer willkommen fühlen.
Don’ts: Ein nachlässiger Umgang eines Mitarbeiters mit sich selbst lässt vermuten, dass er es «nicht immer so ganz genau nimmt». Möglicherweise auch nicht mit der Hygiene. Solch ein Eindruck wäre auch in «Nicht-Corona-Zeiten» ein kata­strophales Signal.

Standards helfen nicht weiter

Wer es als Unternehmen nicht schafft, immer wieder aufs Neue die Kundenbrille aufzusetzen, wird schnell feststellen, dass Standards nur die halbe Wahrheit sind. Von den Mitarbeitern runtergerattert sind diese zwar gut gemeint, aber in keiner Weise zielführend. Fest steht, das «Wie» ist wichtiger als das «Was». Beobachten Sie sich selbst doch einfach mal in Ihrem Alltag: Werden die angenehmsten Aussagen «Schönen Tag noch», «Was darf ich für Sie tun?» etc. nicht ehrlich gelebt, sind sie überflüssig. Ausserdem spüren Kunden Stimmungen sehr schnell. Wirkt das Verkaufsteam gestresst und gereizt oder verhält sich untereinander unfreundlich, überträgt sich das sehr schnell auf das Umfeld im Geschäft oder Unternehmen – und letztendlich auch auf die Kunden.

Fazit

Das beste Produkt und die tollste Leistung sind ohne Mit­arbeiter, die beides verkaufen, nutz- und wertlos. Der edelste Shop und das schickste Restaurant werden mit schlechten Mitarbeitern zum unternehmerischen Desaster. Produkte sind austausch- und kopierbar – Serviceerlebnisse nicht. Umso wichtiger ist das Feingefühl im Umgang mit Kunden. Entscheidend dafür ist, dass jeder Mitarbeiter die Verantwortung für die Begeisterung in seinem Umfeld übernimmt und von sich aus das Beste geben will. In der Führung erfordert das manchmal auch, Mitarbeitern klar zu erklären, wieso sie so und nicht anders handeln sollen.

Die Autorin
Maja Schneider
ist Expertin für Kundenbegeisterung. www.smilingcustomer.de



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