Psychologisches Porträt
13.09.2023, 10:29 Uhr
«Ein Getriebener» – so tickt Elon Musk wirklich
Er sei süchtig nach «Risiko und Drama», ein Getriebener, der keinen Erfolg lange geniessen könne: Nur wenige haben so viel Einfluss auf die Welt wie Elon Musk heute. Eine aktuelle Biografie zeigt ein spannendes psychologisches Porträt Musks.
Kurz vor Weihnachten 2022 beschloss Elon Musk, dass der Umzug eines Rechenzentrums nicht so schwierig sein kann. Knapp zwei Monate zuvor hatte er Twitter gekauft, die Firma verlor Geld – und der Betrieb der Anlage im kalifornischen Sacramento kostete über 100 Millionen US-Dollar im Jahr. Manager warnten zwar, ein sicherer Umzug der Server in ein Twitter-Rechenzentrum in Portland sei erst in sechs bis neun Monaten möglich. Doch aus Sicht von Musk wären zwei Wochen mehr als genug: «Mit einem verdammten Umzugswagen schafft ihr es vermutlich sogar selbst.»
Bei Worten sollte es nicht bleiben. Als Musk mit Freunden und Familie im Privatjet für die Weihnachtsfeiertage unterwegs nach Texas war und seinem Ärger Luft machte, hatte sein Cousin James eine spontane Idee. «Warum machen wir es nicht gleich?», fragte er.
Musk liess den Piloten drehen, und wenig später stand die Gesellschaft am Freitagabend im Rechenzentrum zwischen 5200 kühlschrankgrossen Serverracks. Bewaffnet mit dem Taschenmesser seines Sicherheitschefs kletterte er unter den Boden, brach eine Konsole auf und zog den Stecker. Nach Weihnachten holten Musks Leute und Umzugshelfer 700 tonnenschwere Serverschränke binnen drei Tagen aus der Anlage – und den Rest im Januar.
Keine Widerrede
Die Episode, die Musk-Biograf Walter Isaacson in seinem am Dienstag erschienenen Buch schildert, zeigt exemplarisch die Einstellung, mit der der 52-Jährige den Elektroautobauer Tesla und die Weltraumfirma SpaceX zum Erfolg peitschte.
Musk hinterfragt Autoritäten und Regeln, duldet keine Widerrede, setzt irrwitzige Fristen, mutet Mitarbeitern viel zu, packt selbst mit an. Und fällt damit manchmal auf die Nase. Dass die ersten drei SpaceX-Raketen abstürzten, ging auch auf Musks Ungeduld und Spardrang zurück. Genauso war der überhastete Umzug der Twitter-Server keine gute Idee: Die Folge waren monatelange Störungen und «regelrechte Kernschmelzen im System».
Nur wenige haben so viel Einfluss auf die Welt wie Elon Musk heute. Dass er mit Tesla die Autobranche auf den Weg zu Elektrofahrzeugen brachte und dank seiner Aktien zum reichsten Menschen der Welt wurde, ist nicht einmal das Wichtigste. Die USA kommen nicht ohne Raketen von SpaceX aus. Die Ukraine ist im russischen Angriffskrieg auf sein Satellitensystem Starlink angewiesen. Und als Musk wie im Buch beschrieben entschied, dass er sie Starlink nicht für einen Angriff auf russische Kriegsschiffe nutzen lassen will, dann war das eben so. Seine Weichenstellungen bei Twitter, das er in X umbenannte, könnten den nächsten Wahlkampf ums Weisse Haus beeinflussen – der mit einer möglichen Rückkehr von Donald Trump folgenschwer sein könnte.
Und das alles, während Musk nicht nur zusehends ins rechte politische Spektrum abdriftete, sondern auch abstruse Verschwörungstheorien weiterverbreitete, die Gefahren durch das Coronavirus kleinredete, Medien vorhielt, «rassistisch» gegenüber Weissen zu sein und dem Finanzier George Soros unterstellte, dieser hasse die Menschheit. An der Frage, was in Musks Kopf vorgeht und wie das alle treffen kann, ist damit mehr dran als voyeuristisches Interesse am Leben eines Milliardärs. Isaacson, der mit Musk seit 2021 in engem Kontakt stand, bemüht sich nach Kräften, den Vorhang zu lüften.
«Süchtig nach Risiko und Drama»
In dem über 800 Seiten langen Buch fügt sich ein psychologisches Porträt Musks. Er sei «süchtig nach Risiko und Drama», schreibt Isaacson. Er sei ein Getriebener, der keinen Erfolg lange geniessen könne. Seine emotionale Verfassung schwanke «zwischen hartherzig, bedürftig und überschwänglich». Die Musikerin Grimes, die drei seiner Kinder zur Welt brachte, spricht vom «Dämon-Modus», in dem Musk düster werde und sich «in den Sturm in seinem Kopf» zurückziehe. «Aber in diesem Modus kriegt er eben auch jede Menge gewuppt.»
An vielen Stellen wird deutlich, dass der Erfolg von Musks Unternehmen Tesla und SpaceX kein Zufall ist. Nicht nur, weil er immer wieder Leute findet, die bereit sind, rund um die Uhr zu arbeiten, sondern auch, weil er nicht aufhört, den Ist-Zustand infrage zu stellen.
Als er sah, dass bei einem Tesla-Modellauto der Unterboden in einem Stück aus Metall gegossen war, wollte er wissen, warum man das nicht auch beim echten Fahrzeug so machen könne. Wie sich herausstellte, gab es keine Druckgussmaschinen in dieser Grösse – aber eine italienische Firma erklärte sich bereit, eine zu bauen. Fortan entstand ein Aluminium-Chassis binnen 80 Sekunden mit einer Gussform. Zuvor bestand es aus mehr als 100 Teilen.
Trump wieder freigeschaltet
Frappierend ist an manchen Stellen, mit welcher Leichtigkeit Musk doppelte Standards für sich und andere setzt. Beim Twitter-Kauf trat er mit dem Versprechen «absoluter Redefreiheit» an, liess unter dieser Flagge auch gesperrte rechte Accounts freischalten und den dauerhaft verbannten Trump zurückkehren. Als Nutzer nach seinen Änderungen zum Boykott des Dienstes aufriefen, forderte er von Twitter-Manager Yoel Roth, sie zu sperren. «Es ist moralisch richtig, dass Twitter existiert», argumentierte Musk. Er liess auch nach Begriffen wie «Elon» in öffentlichen Nachrichten der Mitarbeiter suchen, um Kritiker ausfindig zu machen und zu feuern.
Mangelnde Empathie bescheinigte Musk schon seine erste Frau Justine. Als Grimes Jahre später seinen Sohn X (voller Name: X AE A-12) zur Welt brachte, machte Musk während des Kaiserschnitts ein Foto und schickte es an Freunde und Verwandte. «Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum ich mich darüber aufregte», sagte Grimes Isaacson und führte Musks Verhalten auf das Asperger-Syndrom zurück.
Als eine Leihmutter im vergangenen Jahr das dritte Kind von Musk und Grimes – Techno Mechanicus (Spitzname: Tau) – austrug, stand er auch kurz davor, mit einer anderen Frau Vater zu werden. Eine seiner engsten Mitarbeiterinnen hatte sich entschlossen, Kinder zu bekommen – und Musk bot sich der Biografie zufolge als Samenspender an. Grimes erfuhr davon später aus den Medien.
«Würde ein gezügelter Musk genauso viel bewerkstelligen wie ein entfesselter?», fragt Isaacson zum Schluss. Sei «ungefiltert und aller Bande ledig zu sein», nicht ein wesentliches Element dessen, was ihn ausmache? Der Biograf selbst scheint Musk so zu akzeptieren, wie er ist: «Manchmal sind grosse Innovatoren risikofreudige jungenhafte Männer, die sich gegen die Reinlichkeitserziehung sperren.» Und in einem Podcast-Interview beklagte sich der Autor, es gebe in Amerika gerade mehr Regulierer, die sagten, etwas sei zu riskant, als Leute, die zu Innovationen bereit seien.