Widerstand gegen die Digitalisierung
Informatikbroschüre des Kantons Aargau
Dass es bei den Informatikausgaben mit rechten Dingen zugeht, wollte 1991 der Kanton Aargau beweisen. «Denn viele sensibilisierte Bürger fragen nach der Fichenaffäre, was mit ihren Daten auf Gemeinde- und Verwaltungsebene geschieht», erklärte Walter Fricker vom Informations-Dienst des Kantons Aargau der Computerworld. Als erster Kanton wollte Aargau mit der leicht verständlichen Broschüre «Kein Buch mit sieben Siegeln ...» (Erstauflage: 1500 Exemplare) den Wählern Auskunft über den Einsatz der Informatik geben. Damit sollte erstens der Bürger die Sicherheit bekommen, dass die EDV-Verwaltungsmassnahmen den optimalen Einsatz der Mittel und stets den Bürger im Mittelpunkt haben. Zweitens sollten mit der 76-seitigen Broschüre die Aargauer Grossräte und die digitalen Skeptiker in den Verwaltungen überzeugt werden. Denn sie waren es, die letztendlich über die ansehnlichen Kreditsummen entscheiden mussten.
Betrugen die Informatikausgaben des Kantons 1985 noch rund 6 Millionen Franken, sollten es 1991 fast 27 Millionen sein. Und der Nutzen der EDV war wesentlich schwieriger zu quantifizieren als die Ausgaben, sagte Kurt Müller, Chef der Abteilung Informatik des Kantons Aargau. Dem Strassenverkehrsamt half der Computer bei der Fahrzeugbewirtschaftung: 1975 konnten 2500 Fahrzeuge verwaltet werden, 1990 immerhin schon deren 4500.
Andere Behörden lieferten weniger überzeugende Argumente für ihre Informatikinvestitionen. Im Bernischen Grossen Rat wurde die 38 Millionen Franken teure PC-Ausstattung von 800 Arbeitsplätzen in den 27 bernischen Bezirksverwaltungen an die Regierung zurückgeschickt, mit der Auflage, eine 5 Millionen Franken billigere Lösung zu finden. Ein Parlamentarier bezeichnete das Vorhaben als «Luxusgeschäft». Es wurde die Frage in den Raum gestellt, warum die Ämter unbedingt die teuersten und besten Drucker bräuchten? In Liestal genehmigte der Baselbieter Landrat zwar einen 17-Millionen-Franken-Kredit zur Erneuerung des kantonalen Rechenzentrums. Doch die Grüne und die Sozialdemokratische Partei sprachen sich gegen die «überdimensionierte Erweiterung» aus und forderten ein kantonales EDV-Konzept. Das hatte der Landrat allerdings noch nicht zur Hand, berichtete Computerworld.
Immerhin ohne Diskussion genehmigte der Stadt- und Gemeinderat Winterthur die Anschaffung eines NCR-Computersystems für die vier örtlichen Betreibungsämter. Die Mitarbeiter hatten bis anhin rund 120 000 Formulare pro Jahr mit der Schreibmaschine ausgefüllt. Anstatt 10 Minuten sollte ein Betreibungsauszug künftig in 3 Minuten ausgefertigt sein, sodass die Beamten neu intensiver den Pfändungen nachgehen konnten.
«Tele-Gemeindeversammlung» in Maur
Maximale Transparenz über die Behördentätigkeit versprach das Pilotprojekt «Tele-Gemeindeversammlung» in der «Kommunikations-Modellgemeinde» (KMG) Maur. Das Konzept sah vor, den stimmberechtigten Einwohnern zu erlauben, zu Hause am Bildschirm die Gemeindeversammlung zu verfolgen. Mittels eines speziellen Eingabegeräts sollten sie auch an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen können. Als erster Schritt war ein Pilot geplant, bei dem Bild und Ton der Gemeindeversammlung in mehrere Räume in mehrere Dorfteile übertragen werden sollten. Dabei wollte Maur Erfahrungen nutzen, die das Schweizer Fernsehen mit ähnlichen Sendungen gemacht hatte.
Der «Infolade Maur» – ebenfalls ein KMG-Projekt – sollte als zentrale Informationsstelle für das Maurmer Vorhaben dienen. Im Laufe des Jahres 1991 stellte sich jedoch heraus, dass sich die «Tele-Gemeindeversammlung» nicht finanzieren liess. Der «Infolade» blieb das einzige in Maur realisierte KMG-Projekt. Wegen absehbar fehlender Eigenwirtschaftlichkeit wurde jedoch auch der «Infolade» im Dezember 1991 geschlossen.