Computerworld vor 30 Jahren
22.11.2021, 06:23 Uhr
Widerstand gegen die Digitalisierung
Der Fichenskandal erzeugte auch 1991 noch Widerstand gegen die Digitalisierung der Schweizer Behörden. Die Daten-Sammelwut sollte nicht auch noch durch die Computer gefördert werden.
Nach dem Fichenskandal regte sich 1991 Widerstand gegen die Digitalisierungsprojekte der Behörden
(Quelle: Computerworld)
Gegen Ende der 1980er-Jahre erschütterte die Schweiz der «Fichenskandal». Über 700 000 Personen und Organisationen waren seit 1900 mehr oder weniger systematisch bespitzelt worden. Mit den Fichen wollten die Behörden die Schweiz vor ausländischen Aktivisten schützen, die das Land hätten politisch destabilisieren und eine neue Regierung installieren können. Das Gebaren flog auf, als die damals erste Bundesrätin, Elisabeth Kopp, als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) ihren Mann zum Rücktritt aus dem Verwaltungsrat der Firma Shakarchi Trading aufforderte. Sie hatte von einer Mitarbeiterin im EJPD einen Hinweis bekommen, dass gegen die Firma wegen Geldwäsche ermittelt werde. Kopp trat zurück, die Vorwürfe gegen Shakarchi blieben. Zur Aufarbeitung des Falls wurde eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt, die auch Zugriff auf die Staatsschutzfichen bekam. Sie waren ohne rechtliche Legitimation angelegt worden. So verloren mit Bekanntwerden der Fichen viele Bürger das Vertrauen in den Staat und seine Organe. Zehntausende verlangten Einsicht in ihre persönlichen Akten, was die Behörden vor neue Probleme stellte. Denn die Namen von Drittpersonen und Informanten mussten geschwärzt werden.
«Zweckmässige FichenInformatik»
Die Arbeit wurde von den Fichenautoren beim Staatsschutz erbracht, so Computerworld. Sie hätten die gewählte Lösung, wie aus dem Gutachten hervorgeht, trotz «beengender Rahmenbedingungen voll mitgetragen». Die Geräte und Software stammten aus dem Budget des Diensts für Informatik der Bundesanwaltschaft, waren allerdings eigentlich für andere Datenbankprojekte vorgesehen, darunter die «Voll-Informatisierung» der Fichenhauptkartei. Sie hatte angesichts der gewählten Lösung allerdings nun Zeit.
Für die Zukunft sah ein Gutachten der Beraterfirma TC Team Consult keine Notwendigkeit mehr für pragmatische Lösungen beim Staatsschutz. Der Vorschlag für eine Reorganisation der Bundesanwaltschaft lautete unter anderem: «Der Rückstand in der Informatik kann nur durch die Beschleunigung der Beschaffung aufgeholt werden. Es sollten nicht Kreditrestriktionen den Rhythmus bestimmen, sondern die maximal möglichen personellen Kapazitäten für die Einführung der Systeme.» Den Beratern schwebte als Antwort auf die Vertrauenskrise, die der Fichenskandal provoziert hatte, ein einziges grosses Bundespolizeiamt vor. Ein solch zentralistischer Vorschlag barg einen Nachteil: Er stärkte die ohnehin grassierende Angst vor dem «gläsernen Bürger». Die PUK hatte dazu festgehalten: «Durch Kombination mehrerer Kriterien oder gar mehrerer Datenbanken könnte jede Teilmenge von Daten weiter differenziert und damit ein umfassendes Persönlichkeitsbild gewonnen werden. Dies ist aber nicht das Ziel eines Rechtsstaates.»