Computerworld vor 30 Jahren 30.12.2018, 08:00 Uhr

Der «Larry»-Virus erreicht die Schweiz

Anfang 1988 hatte Computerworld noch vor Computerviren gewarnt. Mithilfe des Spiels «Larry» wurden die Schädlinge dennoch in grösserem Ausmass in der Schweiz verbreitet.
Im Spiel «Larry» ging es ums Küssen, der beigelegte Virus verbreitete sich aber via Diskette
(Quelle: Ursula Fürst/Computerworld)
Anfang März 1988 berichtete Computerworld über die Lancierung eines «Impfprogramms» gegen Computerviren. Als einer der ersten Anbieter hatte das britische Unternehmen Sophos die Software «Vaccine» auf den Markt gebracht. Die Redaktoren mutmassten: «Wo ein Impfstoff ist, muss auch eine Krankheit sein.» Sie fanden einen Virenbefall an der fernen Universität Lehigh in Bethlehem im US-amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania. Dort wurde der Virus mutmasslich mithilfe des Command.com-Programms von MS-DOS eingeschleust. Es verbreitete sich über den gesamten Campus und verursachte vielenorts unvorhergesehene Systemunterbrüche.

Brandanschläge und Disketten

Die Art der Bedrohung für Computersysteme war Ende der 1980er noch relativ neu. Bis dahin galten Brandanschläge, das Kurzschliessen von Leiterplatten oder direkte Programmeingriffe als «konventionelle Attacken». Entsprechend lautete der Rat von Molly Bickerstaff, einer Mitarbeiterin des Beratungsunternehmens Coopers & Lybrand: «Der beste Schutz sind anständige Löhne für die Angestellten, die mit den Informationssystemen zu tun haben. Denn jemand, der wegen schlechter Bezahlung frustriert ist, neigt eher dazu, Sand ins Getriebe des Unternehmens zu streuen.»
Aber bald waren nicht nur unzufriedene Mitarbeiter Urheber von Computerattacken. Public Domain Software und Programme, die von Abteilung zu Abteilung oder von Betrieb zu Betrieb weitergegeben wurden, bargen Gefahren. Sie konnten den Computervirus enthalten und von ahnungslosen Angestellten verwendet werden. John Richard, Leiter des Information Centre bei der Industrial Bank in London, wusste schon damals um die Risiken. Sein Rat lautete: «Strikt Hände weg von Shareware und Benutzergruppenprodukten und von allen Programmen, deren Quelle nicht bekannt ist. Und nie einen Computer mit einer suspekten Diskette aufstarten!»

Die «Larry»-Epidemie

Im Herbst hatte die Virenepidemie dann die Schweiz erreicht. Via Diskette. Ein Basler Chemiekonzern wurde mit einem Virus aus dem Spielprogramm «Larry» infiziert. Ein Sicherheitsbeauftragter des Konzerns bestand allerdings darauf, dass seine Firma nicht namentlich erwähnt wurde: «Es macht sich schlecht, wenn wir Antibiotika verkaufen und dann selbst infiziert sind.» Wobei jedoch die Ansteckung in der Informatikabteilung des Konzerns kein gewöhnlicher Schnupfen war: Eines Tages fielen zwei voneinander völlig unabhängige Netzwerke in der Chemiezentrale gleichzeitig aus. Eine Vielzahl von PCs konnte nicht mehr mit der Maus bedient werden, im anderen Netz streikten die Drucker verschiedenster Hersteller und arbeiteten nur noch im Briefmodus. «Für uns war das eine riesige Plackerei, bis wir endlich ein Backup auftreiben konnten, das nicht kontaminiert war», sagte der Sicherheitsbeauftragte der Computerworld.
Der Boss-Key-Bildschirm von «Larry» entpuppte sich als Vergleich von Kondomtypen
Quelle: Sierra On-Line/Activision Blizzard/SierraWallpaper.com
Das Unternehmen erliess eine interne Weisung, nach der keine Spielprogramme oder frei verfügbare Software mehr an den Bürocomputern verwendet werden durften. Allerdings wuchs von diesem Zeitpunkt an die Unsicherheit in den EDV-Abteilungen mit jeder neuen Virenmeldung. So schloss auch der Sicherheitsbeamte des Basler Konzerns nicht aus, dass «schlafende Agenten» über internationale Netze ins Computersystem geschleust werden könnten. «Perfid an der ganzen Sache ist, dass praktisch keine Vorbeugung möglich ist. Entweder man hat den Virus oder man muss täglich damit rechnen, dass er eingeschleppt wird.» Denn während es sich bei «Larry» nur um Anwendungen für Amiga, Atari und DOS handelte, war auch auf Grossrechnern Vorsicht geboten: «Es existieren sogar Standardprogramme, die im Original bereits infiziert sind», sagte Daniel Mühlethaler von Adsoft in Basel. Beim Chemiekonzern geriet ein Grafikprogramm eines bekannten Herstellers ins Visier der Virenjäger: «Verdachtsmomente liegen vor, Resultate noch nicht», sagte der Sicherheitsbeauftragte. Es sollte sich als Fehlalarm erweisen.
Im September noch virenfrei war die Schweizerische Bankgesellschaft: «Noch haben wir keine Virusprobleme, aber wir beschäftigen uns intensiv mit dieser Problematik», sagte Vizedirektor Erich Klopfenstein der Computerworld. Die Zeitung wusste aufgrund von Hinweisen, dass auch in der Grossbank das «Larry»-Fieber grassierte. So stellte sich einzig die Frage, wann die Virenepidemie bei der Bankgesellschaft ausbrach. Über einen Virenbefall in dem Haus wurde aber nichts bekannt.

Aufkleber und Aids

Für Peter Röcker, Berater im Mega-Shop Bern, war die Virenfrage einfach zu lösen. Der beste Schutz sei immer noch ein simpler Kleber: «Mit ist sicherer.» Damit deutete er an, dass Disketten, die mit Schreibschutz versehen sind, nicht von Viren befallen werden können. Wenn aber der Virus bereits ins System gelangt ist, wusste auch Röcker nur noch eine Radikalkur: «Harddisk neu formatieren.»
Für Hannes Keller, Software-Autor und schweizerischer Computerguru, bedeutete der Virenbefall einerseits, dass fortan weniger Raubkopien gefertigt werden. Andererseits aber gab er zu bedenken, dass die Impfprogramme sinnlos seien, weil sie die Virenschreiber nur zu weiter ausgetüftelten Programmen verleiten. Er fügte an: «Es gibt Viren, die gegen Impfungen immun sind.» So verglich der Software-Spezialist die Computerviren mit der in den 1980er-Jahren in Europa angekommenen Immunschwächekrankheit Aids. «Die Trefferwahrscheinlichkeit ist in beiden Fällen zwar gering, wer aber einmal infiziert ist, geht daran zugrunde.» Die Schweizer Unternehmen setzten alles daran, die Viren zu bekämpfen. Sie bildeten im Schnellzugstempo Virenjäger aus, die für die nötige Abwehr sorgen sollten.

Larry und kein Ende

Die grassierende Larry-Epidemie schlug hohe Wellen, was den damaligen Computerworld-Redaktor Peter Doeberl zu einem Kommentar zum Ausbruch des «Larry»-Virus in Schweizer Büros bewog:
«Es mag sein, dass die Originalversion des Sexabenteuerspiels ‹Larry› inzwischen zum Bestseller avanciert, virenfrei über den Ladentisch kommt. Der Importeur jedenfalls legt Wert auf diese Feststellung.
Es mag auch sein, dass dem lieben Hurenbock ‹Larry› in kopierten Versionen von dritter Seite ein paar Viren mitgegeben worden sind, die nun die verschiedensten Kapriolen auf den Computern schlagen. Das gehört zum Risiko bei der Nutzung kopierter Software.
Sicher ist jedoch, dass ‹Larry›, Original hin oder Kopie her, kein Einzelfall ist. Mir sind Software-Häuser bekannt, die aus der Not, ihre Programme vor Kopierern zu schützen, eine Tugend gemacht haben: Es wird auf einen Kopierschutz verzichtet, dafür wird ein ‹Strafprogramm› ins Original gepflanzt. Dieses erfüllt seinen Dienst äusserst wirksam, sobald mehr als eine Kopie vom Original gezogen wird: So werden ‹Viren› geboren. Man hüte sich also zukünftig, Software als Allgemeingut zu betrachten, sobald ein Original angeschafft worden ist. Diese Warnung gilt speziell dort, wo Rechner vernetzt sind: Grossbetriebe könnten heute schon das erste Kapitel ihrer Leidensgeschichte veröffentlichen, wenn es nicht so peinlich wäre zuzugeben, dass ganze Abteilungsnetze mit Kopien eines einmal gekauften Originals arbeiten. Weitere Fortsetzungen sind also eingeplant und nicht mehr auszuschliessen.
Ob es nun die Basler Stadtpolizei ist, die nach ‹Larry›-Erfahrungen auf einer Zeitbombe sitzt, oder ob es sich um das CERN handelt, das häufig von trojanischen Pferden heimgesucht wird, ob es ein Chemieriese ist, dem ein Virus das kalte Grausen in die Bilanzen fahren lässt: Die Problematik liegt immer bei den Kopien. Darüber sollte diskutiert werden: Auch Aids ist nicht aus der Welt zu schaffen, indem man es einfach stillschweigend ignoriert. Wenn die Zeitbombe tickt, sollte nicht zugewartet werden, bis die Feuerwehr gebraucht wird. Dann dürfte es für unsere Datenbestände zu spät sein.»



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