20.04.2010, 06:00 Uhr
Höchste Zeit für einen Boxenstopp
Es gibt kaum etwas wie die Hardware-Infrastruktur innerhalb der Firmen-IT, bei der ein derart grosser Wandel ansteht. Das haben auch die Schweizer CIOs erkannt und setzen auf Virtualisierung, Standardisierung und Konsolidierung.
Die IT-Landschaft wird derzeit umgepflügt. Besonders im Rechenzentrum wird vielerorts mit eisernem Besen gekehrt. Entsprechend hoch im Kurs stehen bei den Schweizer CIOs die Themen Virtualisierung, Standardisierung und Serverkonsolidierung. Das hat unsere Marktstudie «Swiss IT», die wir in Kooperation mit dem Marktforschungsunternehmen IDC unter rund 600 Schweizer Unternehmen durchgeführt haben, klar gezeigt (Grafik 1). Mehr als zwei Drittel der Befragten nennen die Virtualisierung als das Thema, mit dem sie sich in nächster Zeit beschäftigen werden. Mit deutlichem Abstand folgen Standardisierung (44 Prozent) und Serverkonsolidierung (42 Prozent) auf der Agenda der Anwenderunternehmen.
Die Schweiz als Vorreiterin
Dass Schweizer CIOs nicht nur über Virtualisierung nachdenken, sondern diese auch umsetzen, beweist eine Studie, die CA in verschiedenen europäischen Ländern vom Marktforschungsunternehmen Vanson Bourne durchführen liess. Die Umfrage, die unter dem Titel «Unleashing the Power of Virtualization 2010 Survey» segelt, zeigt, dass helvetische Unternehmen im Europavergleich in Sachen Virtualisierung schon sehr fortgeschritten sind. So nannten 77 Prozent der Schweizer Firmen, dass sie bereits Server virtualisieren. Der europäische Durchschnitt liegt bei 70 Prozent.
Unangefochtener Europameister sind die Schweizer Unternehmen bei der Desktop-Virtualisierung. 63 Prozent haben hier bereits Projekte realisiert, mehr als jedes andere europäische Land. Damit liegt die Schweiz fast 20 Prozentpunkte über dem europäischen Durchschnitt von 44 Prozent.
Kehraus im Rechenzentrum
Da die drei Themen Virtualisierung, Standardisierung und Konsolidierung zusammengehören, kann davon ausgegangen werden, dass in vielen Rechenzentren und Serverräumen demnächst der grosse Kehraus angesagt ist.
Das Grossreinemachen ist vielerorts auch bitter nötig. In vielen Firmen herrscht IT- und Hardware-mässig ein riesiges Wirrwarr, das historisch entstanden ist, und oft noch durch Akquisitionen verschärft wird. Die Folge sind exorbitante Verwaltungskosten allein für den Betrieb der IT. Dadurch bleibt wenig Raum für neue Projekte. Die IT wird dadurch sehr unflexibel und kann gar nicht mehr auf die Anforderungen der Geschäftsseite reagieren. «Viele IT-Abteilungen brauchen fast 80 Prozent der Ressourcen, nur damit die Lichter im Rechenzentrum nicht ausgehen», meint Lukas Bosshard, der sich bei CA Schweiz als Customer Solutions Architect mit solchen Umbauprojekten beschäftigt. Hier müsse sich deshalb etwas ändern, fordert er.
Städte im Virtualisierungsfieber
Dass die IT nicht so weiterwursteln kann wie bisher, hat auch die Stadt Zürich erkannt. Heute betreibt die Organisation und Informatik der Stadt Zürich (OIZ) ein Rechenzentrum sowie über 100 kleinere und grössere Serverräume, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind. Dieses IT-Wirrwarr soll entwirrt und schlussendlich in zwei Rechenzentren zusammengefasst werden. «Seit 2007 konsolidieren und standardisieren wir im Rahmen dieser neuen IT-Strategie die Informatik der gesamten Stadtverwaltung», berichtet Daniel Heinzmann, Direktor der OIZ. Dabei wird Virtualisierung grossgeschrieben. «Besonders in unserem Teilprojekt spielt die Virtualisierung eine wesentliche Rolle», erklärt er. Heinzmann hat sich dabei ein hohes Ziel gesteckt: «Als Endzustand streben wir einen Virtualisierungsgrad zwischen 60 und 90 Prozent über alle Serverplattformen an.»
Aber auch Desktop-Virtualisierung ist für die Stadt Zürich ein Thema. «Im letzten Dezember wurde vom Stadtrat entschieden, dass an jedem Arbeitsplatz ein Thin-Client einzusetzen ist, wenn dies technisch machbar ist», erklärt Heinzmann. «Wir gehen hier im ersten Schritt von einer Virtualisierungsrate von bis zu 35 Prozent aus, die im Sommer 2011 erreicht sein wird», berichtet er.
Daneben wird vereinheitlicht und konsolidiert, was nur immer geht. So würden nach Möglichkeit Datenbanken zusammengelegt und Software-Standards definiert, die für die gesamte Stadtverwaltung verbindlich seien, berichtet Heinzmann. Das sind immerhin 15000 Computerarbeitsplätze. Diese Software-Standards führten auch dazu, dass die Hardware optimal eingesetzt werden könne. «In einem aktuell laufenden Projekt werden rund 50 kleinere und mittlere Unix-Systeme auf zwei grossen Servern konsolidiert - zwei Server, weil wir schon jetzt auf unseren künftigen Zwei-Center-Betrieb hin planen», sagt Heinzmann. Nächstes Jahr werde dann auch die AS/400-Umgebung der Stadt auf die beiden Server migriert.
Doch nicht nur die Zürcher reiten auf der Virtualisierungswelle. In St. Gallen wird ebenfalls konsolidiert und virtualisiert. «Im Backoffice betreiben wir Vorhaben, da wo es sinnvoll ist, virtuell», berichtet Martin Vetsch, Systemspezialist beim Organisations- und Informatik-amt der Stadt St. Gallen. Dabei erfolge die Reduktion der Rackserver jeweils durch die laufenden Amortisationen. Die Folge: Die Stadt braucht weniger Systeme. «Virtualisierung ermöglicht uns, die Anzahl der physischen Server zu reduzieren. Konkret werden von 340 Servern heute 130 Systeme virtuell betrieben», erklärt Vetsch. Doch damit nicht genug. St. Gallen hat ein weiteres Projekt am Laufen, das unter der Bezeichnung «Zentralisieren der städtischen Volksschulen» weitere 100 Systeme zusammenfasst und virtualisiert. «Nach Abschluss dieser Arbeiten kann die Stadt St. Gallen auf total 230 Systeme verzichten», meint Vetsch.
GratisStrom für ein kleines Dorf
Mit den Massnahmen werden zum einen Verwaltungskosten gespart. Die Stadt Zürich rechnet laut Heinzmann mit einer Reduktion der Wartungskosten für Hard- und Software um etwa 35 Prozent. Die laufenden Kosten für die Infrastruktur sollen gar um 40 Prozent reduziert werden können. Darunter fallen auch die Energiekosten. Schon jetzt habe die Stadt Zürich im Vergleich zum Zustand ohne Virtualisierung in den letzten zwei Jahren 300000 Franken gespart, berichtet Heinzmann. «Ab 2017 rechnen wir mit einem jährlichen Sparpotenzial von über 600000 Franken, wenn wir die Virtualisierung wie geplant durchführen. Auch Martin Vetsch aus St. Gallen führt Stromsparmassnahmen ins Feld. «Wir haben schon jetzt mit gezielten Green-IT-Massnahmen massiv Energie gespart, und zwar im Umfang von durchschnittlich 91 Vier-Personen-Haushalten», erklärt Vetsch nicht ohne Stolz. Denn mit dem gesparten Strom könnte ein kleines Dorf mit Energie versorgt werden.
Transformation: Die nächste Stufe
«Virtualisierung, Standardisierung und Konsolidierung sind zwar wichtige Bausteine, um die IT zu optimieren. Für viele Unternehmen wäre indes eine echte Transformation der IT noch wichtiger», sagt Claude Säly, Director Technology Services bei HP Schweiz, und präzisiert, was er unter «Transformation» versteht: «Die IT wird dabei quasi von der reinen Infrastruktur in eine Strategie überführt, die mit der Business-Seite der Firma in Einklang ist und die auf deren Wünsche blitzschnell und agil reagieren kann.» Denn noch zu oft sei die IT der Bremsklotz bei der Umsetzung neuer Geschäftsideen oder Prozessinnovationen. Kein Wunder, schliesslich werden in vielen Unternehmen bis zu 70 Prozent nur dafür ausgegeben, die IT am Laufen zu halten. Das sei auch bei HP bis 2005 nicht anders gewesen, meint Säly. Der globale Computerriese hatte mit diversen Altlasten zu kämpfen, zum Beispiel mit den IT-Umgebungen dreier Konzerne, namentlich Digital, Compaq und HP. «Es war ein ziemliches Durcheinander, das viele Kosten verursachte», meint Säly rückblickend. Über 4 Prozent des Umsatzes mussten für die interne IT eingesetzt werden.
Das war für Firmenchef Mark Hurd zusammen mit dem von Dell abgeworbenen CIO Randy Mott Grund genug, eines der grössten IT-Umbauprojekte der Geschichte anzupacken. In nur drei Jahren wurden 85 Rechenzentren weltweit in drei Data Center zusammengefasst, die jeweils über ein Backup-Rechenzentrum verfügen. Auch bei den Applikationen wurde die Axt angesetzt. Von mehr als 6000 Anwendungen überlebten nur gut 1500 die Abmagerungskur. Die gut 100 Datensammlungen (Data Marts) werden momentan in ein grosses Data Warehouse konsolidiert. Die Bandbreite wurde bei dieser Aktion verdreifacht. Die gesparten Administrationskosten für die IT sind immens. Statt mehr als 4 Prozent des Umsatzes gibt HP heute weniger als 2 Prozent aus und spart so über 2 Milliarden Dollar jährlich.
Klar, dass so ein Mammutprojekt nicht ohne Probleme abging. «Ich spreche hier lieber von lessons learned», betont Säly. Eine dieser Lernerfahrungen war die riesige Schatten-IT, die beim Assessment zum Vorschein kam. Ursprünglich war man bei HP von etwas über 3000 Applikationen ausgegangen, die im Unternehmen zur Anwendung kommen. Schluss-endlich waren es dann aber mehr als 6000 Programme. «Bei 170 Länderorganisationen kann man sich vorstellen, dass da einiges an Schatten-IT auftauchte mit eigenen Servern, Applikationen, ja ganzen Rechenzentren», berichtet Säly. Auch in der Schweiz sei das nicht anders gewesen. «Da gab es eigene App-likationen, Business-Informations-Systeme etwa, die selbst gestrickt worden waren und überhaupt nicht in Einklang gebracht werden konnten mit den definierten, generellen IT-Vorgaben», führt er aus.
Bei einem so komplexen Projekt haben basisdemokratische oder föderalistische Entscheidungswege nichts zu suchen, sonst kann der IT-Umbau nicht in der erforderlichen Radikalität stattfinden. «Solche Projekte sind im wahrsten Sinne des Wortes strategisch und müssen klar von oben angegangen werden», meint Säly. Allerdings müssten alle vorgängig ausgiebig darüber informiert und davon überzeugt werden, dass es nicht nur um eine IT-Angelegenheit gehe, sondern um eine strategische Aufgabe für die ganze Firma. Der HP-CEO habe etwa von Anfang an klargemacht, dass es sich beim IT-Umbau um ein HP-Projekt handle und nicht bloss um ein IT-Vorhaben. «Das erforderte Einsicht und Flexibi-lität von allen Beteiligten», führt Säly aus.
Speicherbedarf ohne Ende
Doch nicht nur Virtualisierung, Konsolidierung und Standardisierung sind bei den Schweizer Unternehmen ein Thema. Auch das laufend steigende Speichervolumen macht den IT-Verantwortlichen zu schaffen. Dabei sind nicht nur die Endanwender schuld, die grosse Attachments durch die Gegend schicken. Der Grund für die rasant steigenden Datenvolumina ist auch in den verschärften Archivierungsvorgaben und den hohen Verfügbarkeitsanforderungen zu suchen. Folglich steht der Ausbau der Storage-Kapazitäten bei 47 Prozent der befragten Unternehmen auf der Agenda der IT-Abteilung und hat damit gegenüber dem Vorjahr an Bedeutung stark zugenommen. Nur 34 Prozent votierten 2009 für dieses Thema.
Ohne Anpassung der Hardware - sei es bei den PCs, Servern oder im Netzwerk - ist eine Steigerung der Storage-Kapazität nicht möglich. Insgesamt sehen 45 Prozent der Befragten in der Anpassung der Hardware-Landschaften an das steigende Datenaufkommen ein Problem.
Diesen Trend kann der Zürcher Daniel Heinzmann bestätigen: «Wir haben seit Jahren ein jährliches Wachstum von rund 50 Prozent im Storage-Bereich.» Dabei benötigen die Anwendungen immer mehr Speicher, aber auch neue Techniken wie Videostreaming brauchen viel Platz. Heinzmann nennt noch die stark wachsenden Datenbanken. Diese würden vor allem deshalb aus allen Nähten platzen, weil die Stadtverwaltung gesetzlich verpflichtet sei, in höherem Mass als die Privatwirtschaft Akten, Bilder und andere Daten zu archivieren. «Darum müssen wir quasi auf Gedeih und Verderb die technisch besten Lösungen finden, um das Storage-Thema anzugehen», erklärt Heinzmann. Laut des Stadtzürcher CIOs besteht diese Lösung in der Entwicklung eines umfassenden Information-Lifecycle-Management-Konzepts und der konsequenten Einführung von Deduplizierungstechniken.