04.02.2009, 10:58 Uhr

Direkter Draht zum Kunden

Banken wie den BMW Financial Services drohen schwere Zeiten. Dank eines intelligenten Routings und einer modernen Voice-over-IP-Lösung sind die Finanzberater jetzt noch näher beim Kunden. Ein Projektbericht.
Martin Kull ist Managing Director von Avaya Schweiz
Die BMW Group Financial Services berät Kunden und Händler des Automobilherstellers in Finanzierungs- und Anlagefragen. In ihren Contact Centers bearbeiten über 450 Call Agents mehr als drei Millionen Anrufe pro Jahr. Das Problem: Mit dem bestehenden System stiess der Finanzdienstleister an seine Grenzen. Ausgelegt auf einen Betrieb mit maximal 250 Beratern und technisch in die Jahre gekommen, bot es nicht mehr die Skalierbarkeit und Funktionalität, die im harten Wettbewerb der Automobilbranche gefordert werden. Deshalb wurde dringend eine neue Kommunikationslösung notwendig. Als Lösungspartner entschied sich BMW für das IT-Consulting-Unternehmen Cirquent, an dem die BMW Group auch eine Beteiligung hält.

Intelligentes Routing als Basis

Gemeinsam mit Cirquent machte sich ein Team von BMW an die Anforderungsanalyse: «Wir wollten durch ein intelligentes Routing und Reporting die Servicequalität anheben. Gleichzeitig sollte die Basis für eine zentrale IT-Lösung geschaffen werden, die sich länder- und geschäftsfeldübergreifend einsetzen lässt», so Matthias Pfeil, Leiter Shared Central Business Services bei BMW.
Um die Antwortzeiten zu minimieren, setzte man auf ein modernes, intelligentes Routing-Verfahren. Auf der Basis verschiedener Komponenten des Spezialanbieters Avaya sollte Cirquent eine Hard- und Software-Plattform entwickeln und implementieren. Bedingung war, dass sich folgende Funktionalitäten kombinieren und je nach Workflow unterschiedlich priorisieren lassen:
- Skill-based Routing: Auswahl des Agenten durch Vergleich von Anfragethema des Kunden und Kompetenzprofil des Agenten.
- Load-based Routing: Automatische Verteilung der ankommenden Anrufe auf die unterschiedlichen internen und externen Mitarbeiter sowie Callcenter.
- Last Called Agent: Automatische Weiterleitung an den Agenten, der bereits den vorhergehenden Anruf bearbeitet hat.
Umsetzung mit Widerständen

Angesichts der Aufgabenstellung und des Umfangs war das Projekt eine echte Herausforderung. Ein 15-köpfiges Team war rund 18 Monate intensiv mit Panung und Umsetzung beschäftigt: Vom Grobkonzept im Herbst 2006 über die Implementierung (Februar bis August 2007) mit ausführlicher Testphase bis zum «go live» im Januar 2008.
Dabei waren auch einige Vorbehalte bei den betroffenen Abteilungen auszuräumen. «Die Fachleute aus dem Contact Center standen dem Thema VoIP sehr skeptisch gegenüber. Nicht zuletzt wegen negativer Erfahrungsberichte von Kollegen aus anderen Contact Centers», erinnert sich Michael Wöhrmann, Berater und Projektleiter bei Cirquent. Die Befürchtungen, Sprachqualität und Zuverlässigkeit des gesamten Systems könnten beim Einsatz von VoIP leiden, wurden jedoch zügig ausgeräumt. Entscheidend waren neben den intensiven Tests auch die positiven VoIP-Erfahrungen der IT-Fachleute und Anwender am Standort Leipzig. Sie brachten ihre Empfehlungen zu Bandbreiten, technischer Infrastruktur und Nutzung in das Projekt ein.

HärteTest in der Praxis

Die Vorteile der neuen Technologie haben sich bereits unter extremen Bedingungen gezeigt: nachdem ein Stromausfall das interne Callcenter in München kurzzeitg ausser Betrieb setzte, wurden alle Anrufe automatisch auf das externe Center des Dienstleisters Arvato Direct Services umgeleitet.
Insgesamt konnte die Auslastung der Berater mithilfe des Load Balancing stabilisiert werden. In Relation zum Anrufsvolumen wurden darüber hinaus die Kosten für externe Dienstleister und Callcenter verringert. Noch höher bewertet Melanie Schillinger, Leiterin Kundenbetreuung bei BMW Group Financial Services Deutschland, die Verbesserung in der Servicequalität: «Die Kundenanfragen werden themenbezogen direkt zu den kompetenten Fachberatern geleitet. Es freut auch uns, wenn der Kunde direkt bei dem Fachberater ankommt, der die Anfrage lösen kann.» Die Verbesserungen spiegeln sich auch in den Kennzahlen und Kundenbefragungen wider: 87 Prozent aller Anfragen werden schon beim ersten Telefonat und ohne Weiterleitung zur vollen Kundenzufriedenheit gelöst (First Call Resolution Rate).

Einheitliches Reporting

Doch auch Mitarbeiter und Management des Contact Centers profitieren vom neuen System. Ein Beispiel liefert die Kopplung der Systeme für Computer Telephony Integration (CTI) und Customer Relationship Management (CRM).
Ist der Kunde zugeordnet, leitet das System nicht nur den Anruf an den ausgewählten Agenten weiter. Anhand der Rufnummern wird der Kunde identifiziert und das entsprechende «Kundencockpit» mit den CRM-Daten auf den Monitor des Agenten geladen. Das reduziert Suchzeiten, erspart dem Kunden lästige Erklärungen und verkürzt die Anrufdauer. Heute öffnet sich das richtige Kundencockpit in 83 Prozent der Fälle bereits bei Annahme des Anrufes - früher lag dieser Wert bei 60 Prozent. Dadurch kann der Call-Agent die Kundenanfrage gelassener und konzentrierter annehmen.

Karrieremanagement für Agents
Dank Skill-based Routing können die Berater gezielter ausgebildet und eingesetzt werden. Welche Fähigkeiten wann und in welchem Umfang gefragt sind, geht aus den Auswertungen des Systems hervor. Neue Mitarbeiter können auf diese Weise schnell in spezielle Themen eingearbeitet werden und sammeln positive Erfahrungen in der Kundenberatung. Umgekehrt lassen sich Mitarbeiter mit mehr Erfahrung gezielt auf schwierige Themen spezialisieren. Dies gibt den Mitarbeitern neue Entwicklungschancen und verringert die kostentreibende - und zugleich der Servicequalität abträgliche - Fluktuation im Mitarbeiterstamm, und zwar nicht nur bei BMW Group Financial Services, sondern auch bei den externen Dienstleistern.
Effiziente Kampagnensteuerung
Eine kleinere Anzahl von Agenten in den Callcenters tätigt Outbound-Calls und ruft aktiv Kunden an; sei es im Bereich von Vertriebskampagnen oder beim Forderungsmanagement. Erstmals in Europa kommt dabei der Avaya Dialer 4.0 zum Einsatz.
In den zwei alternativen Betriebsmodi wählt entweder das System selbst oder dem Mitarbeiter werden Anrufe vorgeschlagen, deren Anwahl anschliessend manuell von ihm ausgelöst wird. Der erste Modus ist bei BMW dem Forderungsmanagement vorbehalten. Der zweite Modus kommt in Vertriebskampagnen zum Einsatz und erlaubt den Mitarbeitern eine Vorbereitungszeit auf das Verkaufsgespräch.
Ein weiterer Vorteil für das Kampagnenmanagement: Rufen Kunden zurück, können diese Anrufe dank Last Called Agent und Skill-based Routing direkt an den richtigen Mitarbeiter weitergegeben werden. Das Vertriebsgespräch wird persönlicher, die Erfolgsaussichten steigen.
Bisher stellten Anrufbeantworter die Dialer vor grosse Probleme. Avaya verfügt jedoch über eine sehr zuverlässige Erkennung. Kontaktversuche, die auf dem Anrufbeantworter enden, werden schnell abgebrochen und gar nicht erst Mitarbeitern zugewiesen - wie es bei vielen «Computer Telephony Integration»-Lösungen noch üblich ist.

Flexibel und erweiterbar

Zu den globalen Vorgaben des BMW-Projekts gehörte insbesondere die IT-Konsolidierung. Mit der Integration der Avaya-Lösung in das CRM-System wurde keine singuläre, sondern eine flexibel skalierbare, mandantenfähige Plattform geschaffen. Ein weiterer Vorteil der VoIP-Lösung: In den einzelnen Callcenters müssen lediglich Gateways und keine lokalen TK-Anlagen installiert werden. Der zentrale Server wird kostengünstig im Rechenzentrum von BMW betrieben.
Aktuell ist das System auf die fünf deutschen Callcenters der BMW Group Financial Services ausgelegt. Die Plattform lässt sich über den jetzigen Umfang hinaus für andere Contact Centers und Bereiche der BMW Group ausrollen und einsetzen. Über die Erweiterung auf Landesebene kann das System ebenso Contact Centers anderer BMW Ländergesellschaften integrieren und somit zusätzliche Kostenpotenziale nutzen. Derzeit prüfen die Contact Centers der BMW Group in Europa einen solchen Schritt.



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