Interview 09.11.2015, 16:11 Uhr

«AgriTech ist wie die Telko-Industrie vor 50 Jahren»

Während alle noch von FinTech reden, steht schon ein neuer Boom-Markt vor der Tür: AgriTech. Auch ein Schweizer Start-up ist dabei.
Das in Lausanne beheimatete Start-up Gamaya ist als einer der fünf Gewinner des Swisscom Start-up-Challenge ins Silicon Valley gereist, um sich von der geballten Expertise der Inkubatoren, Accele­ratoren und Investoren im wichtigsten IT-Hub der Welt inspirieren und anspornen zu lassen. Im Interview mit Computerworld berichten die Gründer Yosef Akhtman und Igor Ivanov über ihre Erfahrungen.
Computerworld: Gamaya zielt auf den Agrar-Sektor, warum?
Igor Ivanov: Weil es ein existenzielles Problem ist, genügend zu essen zu haben. In anderen Bereichen, etwa dem Telekom-Sektor, ist das heute anders. Jeder hat ein Mobiltelefon, die Grund­bedürfnisse sind befriedigt. Da ist eher die Frage, wie es die Industrie schafft, so viel Geld wie möglich aus einem gesättigten Markt zu holen. Im AgriTech-Bereich stehen wir erst am Anfang. Das Potenzial für ein Start-up ist darum viel grösser. 
Yosef Akhtman: In der Schweiz ist man sich dessen nicht so bewusst, aber Essen ist in vielen Teilen der Erde ein ziemlich grosses Bedürfnis. In Afrika, Asien oder Südamerika geht man nicht einfach in die Migros und kauft, was man braucht. Wer nichts zu essen hat, braucht auch kein Mobiltelefon mehr. Wenn die Weltbevölkerung aus 10 Milliarden Menschen besteht, muss die Lebensmittelproduktion um 70 Prozent gesteigert werden. In den nächsten 50 Jahren wird mehr Essen produziert werden müssen als in der gesamten bisherigen Menschheits­geschichte. Gleichzeitig wird 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Anbaufläche bereits genutzt. Niemand weiss, wie man das Problem angehen soll. 
CW: Wissen Sie es?
Ivanov: Die Beziehung zwischen Mensch und Land ist derzeit ausschliesslich parasitär: Wir nehmen alle Ressourcen, die wir haben können, zerstören das Land und ziehen weiter. Den einzigen Weg, den ich für eine nachhaltige Lösung sehe, ist, von einer parasitären Beziehung zu einer symbiotischen überzugehen. Wir nehmen, was wir brauchen, und stellen sicher, dass das Land unversehrt bleibt.
CW: Wie trägt Ihr Start-up dazu bei?
Ivanov: Als Erstes muss man verstehen, was die Bedürfnisse des Landes sind. Das machen wir. Wir liefern den Bauern Wissen über ihr Land, damit sie die richtigen Entscheidungen über Bewässerung, Schädlingsbekämpfung oder den richtigen Erntezeitpunkt treffen können. 
CW: Das wissen die Bauern doch schon seit Jahrtausenden …
Akhtman: Es gibt natürlich viele Leute, die wissen, wie sie Sorge zu ihrem Land oder Garten tragen können. Die Frage ist, wie dieses Wissen skaliert werden kann. In dem Moment, in dem  aus dem Bauernhof ein industrieller Landwirtschaftsbetrieb wird, hört der rücksichtsvolle Umgang auf. Nicht, weil die Leute das so wollen, sondern, weil ihnen das Wissen fehlt. Wer ein Feld mit ein paar Maispflanzen hat, kann sich gut um jede einzelne kümmern. Unsere Kunden haben Felder, die von einem Horizont zum anderen reichen. Wie will man da wissen, in welchem Zustand jede einzelne Pflanze ist? Unsere Technologie kann das.
CW: Wie genau machen Sie das?
Akhtman: Wir haben eine kleine, sehr leistungsfähige Hyperspektralkamera entwickelt, die zum Beispiel auf Drohnen montiert werden kann. Sie «fotografiert» und analysiert beim Überfliegen alle Daten, die es braucht, um genau zu wissen, wie die Bodenbeschaffenheit ist und in welchem Zustand sich jede einzelne Pflanze befindet. Unser Sensor misst das reflektierte Licht und vergleicht das Ergebnis mit dem charakteristischen Bild für diese Pflanzenart – so können wir etwa feststellen, ob Nährstoffe oder Wasser fehlen, ob die Pflanze gesund ist und so weiter. Basis sind die von uns laufend gesammelten Big Data und das Cloud-basierte Analyseverfahren, das dafür sorgt, dass man die Informationen interpretieren kann und beispielsweise Empfehlungen zu Düngung, Pflanzenschutzmitteln etc. erhält. So lassen sich die Chemikalien genau dosieren, statt flächendeckend zu verspritzen. Das schont nicht nur die Umwelt, sondern spart auch noch Kosten.
CW: In Real Time?
Ivanov: Nein, aber innerhalb von ein bis zwei  Tagen. Die traditionelle Landwirtschaft versucht, diese Informationen über physische Samples, sprich Bodenproben, zu erhalten und sendet diese dann ans Labor. Das dauert aber zwei bis drei Wochen und ist nicht einmal sehr genau.
Auf der nächste Seite: Was im Silicon Valley anders ist CW: Wie haben die Investoren aus dem Silicon Valley auf Ihr Start-up reagiert?
Akhtman: Es gab die unterschiedlichsten Reaktionen: Begeisterung, aber auch konstruktives Feedback von Experten, die sich in der Agrar-Branche auskennen – und solche, die uns erklären, wie viel Konkurrenz wir hier haben.  Ivanov: Mein Eindruck war, dass man hier das Grundsatzproblem erkannt hat – viel besser als in Europa jedenfalls.  CW: Sie haben sich auch mit Investoren und Experten aus ganz anderen Bereichen getroffen. Bringt das überhaupt etwas? 
Akhtman: Stimmt, ein Business Development Advisor kam zum Beispiel aus dem Telko-Bereich. Interessant war das Gespräch trotzdem, weil wir gesehen haben, wie Business-getrieben die Telko-Branche heute ist. Die Entscheidungen, die getroffen werden, haben nur noch wenig mit Technologie, dafür sehr viel mit Business zu tun. Unser Bereich ist noch sehr Innovations-getrieben. Ivanov: Das ist der Grund, warum sich Venture-Kapitalisten derzeit so auf diesen Bereich fokussieren. Der Agrar-Sektor ist das am schnellsten wachsende Segment im Silicon Valley. AgriTech ist wie die Telko-Industrie vor 50 Jahren. CW: Haben es Start-ups im Silicon Valley leichter als in der Schweiz?
Akhtman: Im Valley gibt es einfach mehr Expertenwissen, mehr Erfahrung und viel mehr Geld. Man ist eher bereit, Risiken einzugehen, allerdings sehr gut kalkulierte.
Ivanov: Der Schweiz fehlt es an proaktiven Investoren. In der Regel macht man hier Core-Investments, geht aber keine persönlichen Risiken ein. Darum gibt es keine Venture-Capital-Kultur in der Schweiz.
Akhtman: Das hat nichts mit der Investment-Philosophie zu tun. Bei uns hat man einfach weniger Erfahrung und ist darum risikoscheuer. Denn wer Erfahrungen hat, geht eher ein Risiko ein, eben weil er weiss, was passieren kann. Und weil es im Silicon Valley so viel Erfahrung – auch mit dem Scheitern – gibt, riskiert man auch mehr.
CW: Denken Sie darüber nach, ins Silicon Valley zu gehen?
Akhtman: In absehbarer Zukunft werden wir unser Hauptgeschäft nicht hierherziehen. Wir sehen uns in der Schweiz gut aufgestellt. Aber wenn wir ein grosser globaler Player werden wollen, müssen wir auch hier vertreten sein.
Ivanov: Vielleicht werden wir von Kalifornien aus unsere Business-Developing-Strategie bestimmen oder das gleich die Marketingprofis aus dem Silicon Valley machen lassen. Aber die Ingenieure, Techniker, einfach das Wissen, bleiben in der Schweiz. Allein schon wegen der Talente.
Auf der nächsten Seite: Kampf um Fachkräfte
CW: In der Schweiz ist der War for Talents aber doch extrem.
Akhtman: Das ist im Silicon Valley noch viel extremer, hier kämpfen noch viel mehr Firmen um Ingenieure oder Techniker.
CW: Was ist die wichtigste Lektion, die Sie mit nach Hause nehmen?
Akhtman: Dass Skalierung wichtig ist. Investoren wollen wissen, ob man sein Produkt weltweit an den Mann bringen kann. Es interessiert hier niemanden, welche Technik du dafür einsetzt oder welche Probleme du löst. Du musst einfach in der Lage sein, dein Produkt Hunderttausenden Kunden zu verkaufen. 
CW: Wie sieht Ihre Agenda für die nächste Zeit aus?
Ivanov: Wir werden wohl für die nächsten vier  bis fünf Jahre in der Entwicklungsphase sein. Der Aufwand, den es braucht, etwas Globales zu entwickeln, ist enorm. Neue Märkte erschlies­sen, neue Produkte entwickeln – das braucht so viel Zeit. Wir müssen einen Schritt nach dem anderen gehen.
Zur Firma: Gamaya
! KASTEN !



Das könnte Sie auch interessieren