Die Rolle des CTO
31.10.2018, 06:04 Uhr
Zurück zur Ingenieurskultur
Die «Kunden» des CTO sind die Ingenieure im Team. Was eine gute IT-Abteilung von anderen unterscheidet, ist die hohe Qualität der Arbeitsumgebung für die Entwicklung und den Betrieb. Infrastruktur und Telemetrie sind Assets, die eine erfolgreiche Zukunft sichern.
«Der CTO erinnert in vielen Firmen an einen Jongleur, der damit beschäftigt ist, viele Bälle in der Luft respektive Projekte am Laufen zu halten» -- Reinhard Riedl
(Quelle: moise_theodor)
Der Chefinformatiker oder Chief Technology Officer (CTO) erinnert in vielen Unternehmen an einen Jongleur. Er ist dauernd damit beschäftigt, viele Bälle in der Luft respektive Projekte am Laufen zu halten. Praktisch von Projektbeginn an, beginnt die Qualität in fast jedem IT-Projekt zu erodieren. Gleiches gilt für alle etablierten Prozesse. Die Ursachen für die Erosionen sind vielfältig. Besonders schlimm ist es, wenn Deadlines nicht ernst genommen, Anforderungen gleich gar nicht gelesen, Algorithmen selber gebastelt, Modelle nicht validiert und verifiziert werden, Code nicht getestet wird – und umgekehrt irgendwo die Qualität zweckfrei in die Höhe geschraubt wird, Demos immer weiter verbessert werden oder die Release-Geschwindigkeit durch ein Mehr an Kontrollen verlangsamt wird. Aber auch dort, wo einige dieser Sünden strukturell verhindert werden – beispielsweise durch agile Strukturen –, sind die Anti-Patterns im IT-Alltag zahlreich. Viele interne Prozesse besitzen eine ungenügende technische Unterstützung und schaffen deshalb eine miserable User Experience für die Ingenieure. Dementsprechend werden sie oft ignoriert.
Das höhere Level
CTOs können den Kampf gegen diese Erosionskräfte nicht gewinnen, dürfen ihn allerdings auch nicht verlieren. Was tun? Eine Möglichkeit ist, wie beim Computerspiel, den Kampf auf einem höheren Level zu führen. Manche Unternehmen haben schon vor einem Jahrzehnt begonnen, Arbeitsumgebungen für ihre IT zu schaffen, die besonders erosionsfest sind. Sie haben die Bereitstellung von Infrastruktur, das Testen und das Deployment weitgehend oder gänzlich automatisiert und sichergestellt, dass Entwickler mit Echtwelt-Lasten und unterschiedlichen Konfigurationen testen können. Sie sammeln nicht nur ihren gesamten Quellcode in einem Repositorium, sondern ihre Versionsverwaltung stellt zentral alle relevanten Informationen für Entwicklung und Betrieb allen zur Verfügung – inklusive aller Bibliotheken, Skripte, Werkzeuge, Artefakte, Tests und Konfigurationsdateien. Ausserdem erzeugen sie gewohnheitsmässig in allen Bereichen Telemetrie-Daten über Ereignisse und stellen sie visuell aufbereitet allen zur Verfügung, um Probleme zu analysieren und Frühwarnsysteme zu implementieren. Und nicht zuletzt haben sie eine Lernkultur entwickelt, die das Lernen aus dem Scheitern zu einer Selbstverständlichkeit erklärt.
Diese Kombination aus hochentwickelter Automatisierung, Analysewerkzeugen, lernorientierten Prozessen und Systemsteuerungen, sowie ganz vielen Selbstverständlichkeiten, führt dazu, dass es den Unternehmen gelingt, die Erosionsprozesse schrittweise einzudämmen und zu einem Ort zu werden, an dem ingenieursmässig gedacht wird. Ingenieursmässiges Denken beinhaltet die Geschäftsperspektive, stellt aber die Sache über alles. Sie sucht individuell und im Team nach Erkenntnis, statt nach Macht und Bequemlichkeit. Damit ein Wandel zu einer solchen selbstverständlichen Sachorientierung gelingt, braucht es einen führungsstarken CTO, der eine Balance wahrt zwischen seinem persönlichen Interesse an hoher Engineering-Qualität und pragmatischer Erfolgsorientierung. Gelingt der Wandel aber, so wird aus dem gestressten Jongleur-CTO der Zirkusdirektor im Hintergrund, der mit Genuss und vielleicht auch leichtem Bedauern erlebt, dass er sich selber überflüssig gemacht hat.