Neue Rollen für den CIO

Qualitätsfundamentalismus

Qualitätsmanagement (QM) verlangt in der Praxis zwei Arten von Wissen: das Wissen um richtiges Handeln unter optimalen Bedingungen und das Verständnis, pragmatische Abstriche vom richtigen Handeln unter realen Bedingungen zu machen. In der operativen IT-Praxis sollte man nur dort über Verbesserungen im Qualitätsmanagement nachdenken, wo sich Probleme ergeben. Hingegen sollte das Qualitätsmanagement bei IT-Projekten bei der Vor­bereitung ganz vorn stehen und zwar als Startpunkt für jedwede Planung von Ressourcen.
Im Digitalisierungskontext ist ein unorthodoxer «Qualitätsfundamentalismus» notwendig. Fundamentalismus steht hier für konsequentes kontextabhängiges Entscheiden und Umsetzen, aber auch für die Durchsetzung von Massnahmen wie Verifizierung und Validierung! Beim Qualitätsfundamentalismus gilt es auf der Basis von Geschäftsmodell, Nebenwirkungen und Risiken, Mass zu halten. Zu viel Qualität ist zu teuer, zu wenig zu riskant und die falsche Art fördert den Crash.

Neue Mitarbeitende und mehr Vielfalt

Zwei Mitarbeitende im CIO-Team haben in letzter Zeit stark an Profil gewonnen: der Chief Digital Officer (CDO) und der Chief Technology Officer (CTO). Die CDO-Rolle ist verantwortlich für Vorreiterprojekte und für Experimente in Sachen digitaler Transformation – und bereitet so die Zukunft des Unternehmens vor. Die Kernkompetenzen müssen dabei im Betriebswirtschaftlichen liegen, ergänzt durch ein profundes Verständnis der IT als Enabler. Die Rolle des CTOs, oder auch des Chefinformatikers, ist verantwortlich für die Technologiestrategien, für gute Arbeitsumgebungen und eine adäquate fachliche Weiterbildung der IT-Mitarbeitenden und für zukunftsfitte Organisationsstrukturen. In Unternehmen, die noch nicht den Umstieg auf Microservices und DevOps vollzogen haben, muss zudem der technolo­gische und organisatorische Wandel geleitet werden. Das dient ebenfalls einer nachhaltigen Zukunftssicherung, ist aber eine viel techniknähere Aufgabe als die des CDOs. Die CTO-Rolle verlangt zwar auch betriebswirtschaftliches Wissen, vor allem aber echte Leidenschaft für die Informatik.
“Zur CIO-Rolle gehört, das Team aufzubauen und Brücken zum Business zu schlagen„
Reinhard Riedl
Zur CIO-Rolle gehört, das Team aufzubauen und Brücken zum Business zu schlagen, wo dieses in die Reorganisation involviert werden muss. Die Funktion ähnelt mal der eines Sport-Coaches, mal der eines Dirigenten. Sie verlangt ein tiefes Verständnis des grossen Ganzen, Empathie und Kreativität, technische und betriebswirtschaftliche Visionen, eine stringente Auslegeordnung und die Fähigkeit zum Inspirieren! Das geht nicht ohne Individualität! Deshalb wird es unter CIOs sehr viel mehr Vielfalt geben als bisher – von der «Elternfigur», die sich familiär um das Team kümmert, über die klassischen Technikmanager bis zu den schwer fassbaren Genies, die durch unverrückbare Kon­sequenz oder durch pure Kreativität die Menschen in ihrer Umgebung für sich begeistern. Dagegen wird die Nachfrage nach CIOs, die nicht angreifbar sind und sich sozial in der Geschäftsleitung gut einfügen, massiv zurückgehen. CIOs mit aussergewöhnlichen Stärken bringen einem Unternehmen mehr als solche ohne Schwächen.

Was wäre, wenn …

Was wäre, wenn die Thesen in diesem Beitrag richtig wären? Dann müssten sich CIOs danach beurteilen lassen, wie gut die Geschäftsleitungsmitglieder Software verstehen, wie oft sie unmögliche Aufgaben bewältigt haben und wie umfassend sie Qualität messen. «No way – unmöglich!» ist darauf vermutlich die erste Reaktion jeder und jedes CIOs. Doch das wäre vorschnell: Es ist nicht notwendig, in diesen Kriterien perfekt abzuschneiden. Es genügt, zu den Besten zu zählen. Und das ist derzeit noch gar nicht so schwer.
Methoden und Instrumente der IT-Vermittlung
  1. Das natürliche Wesen von Software mit Geschichten aufzeigen. Zum Beispiel:
    • Software altert schlecht.
    • Nachhaltigkeit bedeutet Ersetzbarkeit.
    • Transparenz heisst Verbergen überflüssiger Information.
    • IT-Kunden sind (fast immer) schlechte Könige.
    • Scheitern ist normal.
  2. IT-Praxis anhand von Beispielen und Demonstrationen erlebbar machen:
    • 3-Schritt-Design: Anforderungen erheben – Lösung entwickeln – Lösung gegen die Anforderungen validieren und mit Beispielen illustrieren.
    • 5-Schritt-Projektvorbereitung: 1. Hauptziele definieren sowie Nebenwirkun-gen und Lebenszykluskosten abschätzen. 2. Risiken identifizieren. 3. Risikoadäquaten Ablaufplan wählen. 4. Qualitätsmanagementplan definieren. 5. Ressourcenmanagementplan definieren.
    • Anti-Patterns: Oft wiederkehrende Praktiken, die nur unter wohldefinierten Ausnahmebedingungen zulässig sind, ansonsten aber grossen Schaden anrichten.
    • Engineering-Instrumente und Engineering-Rituale: DevOps Pipeline, Teleme­triedaten-Cockpit, A/B-Tests, Post-Mortem-Treffen, Game Days, Improvement Blitzes und vieles mehr.
    • Kreativitätspraktiken zum Mitmachen für alle: beispielsweise Hackathons oder Co-Creation-Workshops, kollektives Komponieren («Cage für Manager») etc.
  3. Kurse zu Digital Skills offerieren, etwa zu Themen wie:
    • Persönliche Nutzung digitaler Werkzeuge
    • Einsatz neuer Ressourcen: Machine Learning, Plattformen und Crowdsourcing
    • Einführung von Instrumenten zur Unterstützung extremer Organisations­formen
    • Praktizieren von Computational Thinking im Berufsalltag
    • Ethische Reflexion von IT-Einsatz und IT-Entwicklungsprojekten
Der Autor
Reinhard Riedl
ist Präsident der Schweizer Informatik Gesellschaft. Riedl beschäftigt sich mit digitalen Ökosystemen und leitet das transdiszipli­näre Forschungszentrum «Digital Society» an der Berner Fachhochschule.



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