18.03.2013, 18:23 Uhr

«Eine schweizweit identische Ausbildung tut Not!»

Jörg Aebischer spricht über die Reform der IT-Lehre und damit auch über sture Walliser, Einbürgerungskurse für ausländische Unternehmer und warum der Föderalismus der Schweiz zum Problem werden kann.
Joerg Aebischer, Geschäftsführer ICT Berufsbildung Schweiz, spricht über die neue IT-Lehre
Lange wurde nur über den Fachkräftemangel geredet, langsam wird auch nach Lösungen gesucht. Ein grosser Schritt dabei ist die Reform der IT-Lehre, die den Bedürfnissen der Wirtschaft angepasst werden soll. Um dies zu gewährleisten, wurden sämtliche IT-Ausbildungsstätten der Schweiz angefragt. 507 von ihnen antworteten, gemeinsam bieten sie 4644 von 6000 ICT-Lehrstellen in der Schweiz an. Unabhängig von den Resultaten zeigt dies, dass es den Unternehmen ein Bedürfnis ist, dass a) die IT-Lehre reformiert wird und b) sie bei diesem Prozess eingebunden sein wollen. Computerworld sprach mit einer der treibenden Kräfte hinter der Reform, dem ICT-Berufsbildung-Schweiz-Geschäftsführer Jörg Aebischer, über die Folgen der Ergebnisse.
Computerworld: Guten Tag Herr Aebischer. Haben Sie mit einer solchen Resonanz gerechnet?
Jörg Aebischer: Nein, überhaupt nicht. Ich wäre schon sehr zufrieden gewesen, wenn 200 Unternehmen teilgenommen hätten.
Nun waren es mehr als doppelt so viele. Auffallend ist jedoch, dass vor allem die Deutschschweizer Unternehmen geantwortet haben. Warum?
Das wiederspiegelt die Lehrverhältnisse in den Kantonen. Über die Hälfte aller ICT-Ausbildungen werden im Gürtel Zürich-Luzern-Bern angeboten.
Trotzdem: Die Romandie schneidet im Verhältnis «Antworten nach Kanton/Lehrverhältnis» schlechter ab als die Deutschschweiz.
Das stimmt – und die Erklärung dafür ist einfach: In der Romandie wurde die Umfrage zuerst von den zuständigen Organisationen ins Französische übersetzt und dann den Unternehmen weitergeleitet. Das zumindest der Plan. Aber dann ist ein dummer Fehler passiert: Die Organisationen haben dann schlichtweg vergessen die Umfrage weiterzuleiten.
Also ist die Meinung der westschweizer Unternehmen untervertreten?
Nein. Denn mittlerweile wurde das Problem erkannt und behoben, auch wenn die Resultate nicht in die Umfrage einflossen. Aber die Bildungsverordnung ist in den relevanten Gremien abgesegnet, wir sind bereits in der Lehrplangestaltung. Und von den Kantonsvertretern haben wir das ok erhalten.
Das heisst, die Kantone stehen allesamt hinter der neuen Revision? Ja, aufgrund der bisherigen Gesprächsrunden könnten wir davon ausgehen. Definitiv wissen wir das aber erst im Spätsommer, wenn die offizielle Vernehmlassung seitens Bund abgeschlossen ist.
Was könnte dagegen sprechen?
Die Gewohnheiten. Es gibt Kantone in der Westschweiz, die bisher nur die sogenannten Generalisten ausgebildet hatten. Vom Wallis war beispielweise zu vernehmen, dass die das auch künftig machen werden, da sie organisatorisch und finanziell nicht in der Lage seien die drei Fachrichtungen auszubilden.
Eine merkwürdige Einstellung.
Da muss man dann eben erklären, warum das schlecht ist. So könnte ein Walliser Unternehmen beispielsweise keine Applikationsentwickler ausbilden.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Vorteile des dualen Systems
Und genau diese Gleichschaltung bei der Informatiklehre ist ihr Ziel. Einfach wird dies trotz Konsens der Kantone aber nicht oder? Immerhin gibt es den Röstigraben, der auch in der IT-Ausbildung existiert.
Sie sprechen das duale System an?
Ja.
Stimmt. Dass Unternehmen Lernende einstellen und sie danach in die Schule schicken, kennt bisher tatsächlich vor allem die Deutschschweiz. Die Westschweiz setzte bisher sehr stark auf eine schulisch organisierte Berufsbildung. Das bedeutet, dass die Schulen ihre Klassen führen unabhängig davon, ob diese die Unternehmen brauchen oder nicht.  
Warum ist das Deutschschweizer-Modell besser?
Schauen Sie sich Europa an: Die Länder ohne duales System haben die höchste Jugendarbeitslosigkeit. Dort werden Jugendliche nicht aufgrund der Bedürfnisse der Wirtschaft ausgebildet. Das hat zur Folge, dass die Jungen am Ende zwar mit einem Diplom dastehen, aber die Unternehmen keine Verwendung für sie haben.
Genau dies soll die Reform verhindern. Warum aber nützen die Lernenden der Wirtschaft mit der neuen Ausbildung mehr als vorher?
Weil die Wirtschaft weiss, dass sie Fachkräfte braucht.  Die heutige Ausbildung ist gut aber die Anforderungen haben sich verändert. Insbesondere eine schweizweit identische Ausbildung tut Not. Heute ist die Informatiklehre praktisch in jedem Kanton anders und das ergab ein sehr weitläufiges Bild des Informatikerlehrlings, so dass die Unternehmen nie sicher sein konnten, wen sie hier einstellen.
Darum haben Sie die Umfrage gemacht…
…genau. Und die hat uns wichtige Informationen gebracht. So liegen wir mit dem Modulkonzept absolut richtig, 96,6 Prozent der Unternehmen wollen daran festhalten. Allerdings müssen die Module angepasst werden. Beispielsweise ist das Berufsprofil der «Supporter» heute nicht optimal positioniert. Darum wird es künftig für Informatiker keine Fachrichtung «Support» geben, vielleicht aber in naher Zukunft eine eigene 3-jährige Lehre als «Informatiksupporter». Für die 4-jährige Lehre gibt es neu drei Fachrichtungen.
Welche?
Die «Fachrichtung Betriebsinformatik», die eher generalistisch ausgerichtet ist, die «Fachrichtung Applikationsentwicklung» und die «Fachrichtung Systemtechnik». Für alle drei Pfade wurde das Berufsbild geschärft, so dass es für die Unternehmen passt.
Zur Lehre gehören auch die Schulen. Was wollen Sie dort ändern?
Auch die Stundenpläne sollen vereinheitlicht werden. Bisher hatte man in Bern 800 Informatik-Lektionen, 1700 Stunden wurden für andere Fächer gebraucht. Andere Kantone hatten 1300 Informatik-Stunden, dafür weniger Stunden in den anderen Fächern. Das bedeutete, dass zwar jeder Lehrabgänger ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis erhielt, das bei jedem aber anderes Wissen bedeutete.
Und wie soll es neu gemacht werden?
Neu sollen es überall 1000 Informatiklektionen sein, die Gesamtzahl der Stunden wird auch etwas verringert. Denn Abgangsbefragungen haben ergeben, dass ihnen die Arbeit im Betrieb am meisten gebracht hat. Das soll weiterhin so sein und auch gefördert werden.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ausländische Manager in die Schule
Ihr Problem: Alle Ergebnisse der Unternehmen zur neuen Reform kommen von Leuten, die bereits Lehrlinge ausbilden. Gegen den Fachkräftemangel braucht es aber vor allem auch die anderen. So musste in einem ersten Schritt gehandelt werden. Natürlich haben wir viele Unternehmen, die Leute brauchen aber niemanden ausbilden. Mit den Zahlen aus der Umfrage können wir nun zu diesen Firmen gehen und sagen «schaut her, die machen alle ihre Aufgabe.» Das ist also eigentlich ein gutes Werbemittel für die sich sträubenden Unternehmen.
Vor allem internationale IT-Unternehmen sind dafür bekannt, wenige Lehrlinge auszubilden. Die werden sich von dieser Umfrage kaum umstimmen lassen.
Wir können schon Druck aufbauen. Meine Idee wäre eine Art Einbürgerungskurse für juristische Personen. Damit meine ich, dass Unternehmen wie auch natürliche Personen einen gewissen Weg zurücklegen müssen, um schweizerisch zu werden.
Können Sie das genauer erklären?
Juristische Personen beschliessen, einen Sitz in der Schweiz zu eröffnen und sind nach einigen Formularanträgen da. Da müsste man schauen, dass vor der «Niederlassungsbewilligung» jemand aus dem Management-Board an einer Art «Einbürgerungskurs» teilnimmt, um unser Staatswesen mit all seinen Facetten wie zum Beispiel dem Milizsystem oder eben dem Berufsbildungssystem zu verstehen.
Also eine Art Schulzwang für Manager. Denken Sie, das funktioniert?
Nein, kein Zwang. Das Ganze muss auf freiwilliger Basis funktionieren. Nur dann können sie davon überzeugt werden, wie gut unser Ausbildungssystem ist. So wissen beispielsweise die meisten Ausländer nicht, dass unsere Bachelor-Leute aus den  Fachhochschulen nur deshalb hervorkommen, weil diese davor eine Lehre gemacht hatten. Ohne Lehre gibt es darum auch keine ausgebildeten Hochschul-Informatiker.
Aber dieses Modell ist gut. So sagt beispielsweise Barack Obama, dass er das Deutschland-Modell – unser Modell – übernehmen will, um die Wirtschaftskrise in den USA in den Griff zu kriegen.
Sie wären mit dem System trotzdem darauf angewiesen, dass die ausländischen Manager Interesse an unserer Kultur zeigen wollen. Warum nicht gesetzlich etwas ändern, beispielsweise mit Steueranreizen…
Wie soll das von statten gehen? Dann kommt vielleicht die Swisscom (grösster IT-Ausbilder der Schweiz, Anm. der Red.) und sagt, sie bildet von nun an nur noch einen Lehrling aus, weil sie damit bereits von der Steuererleichterung profitiert.
…Berufsbildungsfonds?
Davon sind wir kein Fan. Es ist das gleiche Verdrängungsproblem wie bei den Steuererleichterungen: Warum sollte ein Unternehmen 50 Lehrlinge ausbilden, wenn es bereits ab einem vom Fonds befreit ist? Zudem ist es vielleicht für einige Unternehmen einfacher und günstiger, einfach einzuzahlen anstatt auszubilden.  Dann haben wir zwar einen Fond in Millionenhöhe aber trotzdem keine Fachkräfte.
Die Revision scheint also kurzfristig das beste Mittel zu sein, um ein grösseres Lehrstellenangebot zu erhalten. Trotzdem, Probleme gibt es immer. Welche sind es hier?
Vor allem der Föderalismus der Schweiz. Bisher waren die Ausbildungen derart verschieden, dass es schwierig vorauszusehen ist, wie gut der Philosophiewechsel klappen wird. Das kann man aber erst in einigen Jahren erstmals bilanzieren.



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