03.03.2008, 08:28 Uhr
Das Auto wird zum IP-Knoten
Das Internetprotokoll (IP) erobert das Auto. Wie und warum der fahrbare Untersatz nun zum Endgerät mutiert, erklärt Joachim Klink, Car-ICT-Experte und CARnected-Projektchef bei T-Systems.
Joachim Klink, Car-ICT-Experte von T-Systems: «Die Kunden wollen ihre IT-Dienste durchgängig nutzen - auch im Auto.»
Computerworld: Herr Klink, diverse Hersteller arbeiten derzeit daran, das Internet ins Auto zu bringen. Warum muss IP überhaupt in den Wagen?
Joachim Klink: Grundsätzlich lassen sich beim Anwender drei Lebensbereiche ausmachen: Zu Hause, am Arbeitsplatz und unterwegs. Diese Bereiche verschmelzen, die Anwender wollen IT-bezogene Dienste durchgängig - also auch im Auto - verfügbar haben. Das Internet ist der Enabler und die Plattform für Dienste dieses sogenannten «Connected Life». Damit wird das Auto zum Endgerät.
Was sind die Haupttreiber dieser Entwicklung?
Ein Autofahrer ist heute statistisch gesehen etwa 60 Prozent im fliessenden Verkehr unterwegs. Die anderen 40 Prozent steckt er im zähen Verkehr oder im Stau. Aktuellen Studien zufolge wird sich dieses Verhältnis schon bald umkehren. Was aber macht der Lenker, wenn er irgendwo feststeckt? Er will unterhalten werden oder Arbeit erledigen.
Hinzu kommt, dass die junge Generation beim Auto heute weniger am Thema PS als am Thema Lifestyle interessiert ist.
Das heisst also, dieser Trend könnte der Umwelt ganz zuträglich sein?
Durchaus. Bislang waren Innovationen in der Automobilindustrie praktisch immer klimaschädlich. Entwicklungen wie etwa die Klimaanlage oder die elektrische Sitzverstellung bedeuteten immer ein Mehrgewicht und damit einen Mehrverbrauch des Autos. Der VW Golf beispielsweise hat seit 1996 rund 250 Kilo zugelegt. Heute geht es hingegen um die Integration cooler Gadgets und Funktionen sowie von Schnittstellen für andere Geräte wie MP3-Player. Diese führen praktisch zu keinem Zusatzgewicht.
Welche Rolle spielt IP heute im Auto im Sinne des rollenden Büros?
Bis dato keine allzu grosse. Im Auto ist die Internetnutzung für die breite Masse noch nicht wirklich sinnvoll möglich.
Wo genau liegt das Problem?
Da die Verbindung im Allgemeinen über Mobilfunk erfolgt, schwanken Signalstärke und Bandbreite fortwährend und Verbindungsunterbrüche kommen schon mal vor. Das ist bereits an einem fixen Standort der Fall und mit zunehmender Bewegungsgeschwindigkeit vergrössert sich das Problem. Besonders ärgerlich ist es, wenn sich der mobile Benutzer gerade ins Firmennetz eingewählt hat und mitten in einem Workflow steckt. Bricht die Verbindung ab, muss der Anwender von vorne beginnen und sämtliche Schritte wiederholen.
T-Systems will nun eine Lösung für dieses Problem gefunden haben. Wie funktioniert sie?
CARnected, so der Name unseres Systems, kombiniert auf IP-Basis verschiedene Übertragungskanäle wie WLAN, HSDPA, UMTS und GPRS. Die Multibox, die in etwa so gross ist wie eine externe USB-Festplatte, wählt sich nicht direkt ins Internet, sondern auf T-Systems-Servern ein. Dabei werden mehrere parallele Kanäle aufgebaut, von denen der jeweils beste genutzt wird. Die Kanäle können auch gebündelt werden. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Netzen erfolgt für den Benutzer nicht wahrnehmbar.
Ab wann ist CARnected kommerziell verfügbar?
Weil das System - bis jetzt - nicht direkt von uns vertrieben wird, ist die Verfügbarkeit von den Autoherstellern abhängig. Wir sind aber mit den meisten Produzenten im Gespräch und erwarten, noch dieses Jahr die ersten CARnected-Systeme als Nachrüstlösung ausliefern zu können. Am Anfang wird die Lösung aber eher in Premiumfahrzeugen zum Einsatz kommen.
Was wird sich in nächster Zeit in Sachen Car-to-Car-Communication tun?
Praktisch alle Hersteller arbeiten daran, den drahtlosen Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen zu bewerkstelligen. Unter anderem ist auch ein neuer WLAN-Standard für die Automobilindustrie in der Entwicklung, der weniger Bandbreite bietet, dafür aber einen sehr viel schnelleren Verbindungsaufbau leisten soll. Allerdings werden noch einige Jahre ins Land ziehen, bis solche Technologien flächendeckend eingesetzt werden.
Was dürfen wir diesbezüglich dann erwarten?
Die möglichen Anwendungen reichen von verbesserter Navigation über Fahrerassistenz bis hin zu selbst organisierendem Verkehr. Konkret heisst dies: Autos können sich gegenseitig vor Gefahren warnen oder auch gewisse Informationen wie Geschwindigkeit und Bremstätigkeit an eine Verkehrsleitzentrale übermitteln. Daraus würde eine Art Schwarmintelligenz entstehen, dank welcher sich das Verkehrsaufkommen prognostizieren und teilweise auch steuern liesse.
Wird künftig also jedes Auto serienmässig mit Firewall und Antivirensystem ausgestattet sein?
Ich glaube nicht, dass dies so schnell nötig sein wird. Grundsätzlich geht es ja nicht darum, das Fahrzeug aktiv von aussen anzusteuern. Es geht vielmehr darum, Informationen aus dem Auto herauszuholen.
Allerdings muss ich anfügen, dass sich die Hersteller natürlich bereits Gedanken darüber machen, inwieweit sich ein Auto über die «Luftschnittstelle» updaten lässt. Schliesslich steckt heute schon massenhaft Software im Auto und eine Rückrufaktion in die Werkstatt, etwa um neue Funktionen einzuspielen, kostet viel Geld.
General-Motors-Chef Rick Wagoner meinte unlängst, dass die IP-Integration ins Auto einen ersten Schritt in Richtung autonome Fahrzeuge markiere.
Mithilfe des Internets wird das Fahren effizienter, sicherer und unterhaltsamer. Aber am autonomen Auto für die breite Masse arbeitet derzeit kein Hersteller, zumal solche Gefährte sicherlich grosse Akzeptanzprobleme hätten.
Bereits sogenannte Fahrassistenzsysteme finden nicht nur Beifall.
Es ist tatsächlich fraglich, ob der Mensch damit klarkommt, wenn der Computer im Auto immer mehr ins Fahrgeschehen eingreift und die Kontrolle übernimmt. Bereits heute stösst die Vielzahl elektronischer Funktionen im Fahrzeug auf immer weniger Akzeptanz. Deshalb haben die Hersteller mittlerweile begonnen, die Elektronik im Auto wieder zu vereinfachen. Dabei folgen sie dem alten Grundsatz: Vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen. Der Trend geht dahin, die Technik zum optionalen Angebot zu machen.
Netzwerktechnik im Auto
Internet Protocol - ein Weltstandard wird automobil
Bis zu 70 Steuergeräte stecken in einer Oberklasse-Limousine, eingebunden in verschiedene Netze, die miteinander kommunizieren müssen. Aktuell werden dafür bis zu fünf Bussysteme wie CAN, LIN, MOST oder FlexRay verwendet, die nebeneinander und über Gateways miteinander arbeiten. Jedes Bussystem spricht eine eigene automobile Sprache, die jeweils übersetzt werden muss, wenn Informationen in verschiedenen Systemen genutzt werden sollen.
Die BMW Group Forschung und Technik München hat im Dezember 2007 an einem Prototypen aufgezeigt, wie alle Bordnetzfunktionen eines Autos via IP abgewickelt werden können. Dabei verwendeten die Entwickler Standardkomponenten aus dem PC- und Embedded-Bereich. Auch aktuelle Steuergeräte wie die Motorsteuerung, das Fahrregelsystem DSC (Dynamic Stability Control) und die Head Unit, die etwa das Radio steuert, wurden eingebunden. Über selbst entwickelte Gateways wurde die Fahrzeug-Buskommunikation in Echtzeit mit dem IP-Netz verbunden, an welches auch ein Multimediaserver und optional eine Kamera angeschlossen werden können. Mit dem Prototypen wurde belegt, dass mit diesem IP-basierten Netzwerk sowohl sicherheitskritische Fahrwerksysteme in Echtzeit sowie Multimediaanwendungen mit hohen Datenvolumina parallel ausgeführt werden können.
Claudia Bardola