Ergon E-Health Breakfast 2019
26.11.2019, 10:15 Uhr
Warum das Gesundheitswesen künstliche Intelligenz braucht
Was die Zukunft für E-Health bereithält? Das haben Referenten und Gäste am Ergon E-Health Breakfast diskutiert.
Am E-Health Breakfast von Ergon diskutierten die Teilnehmer über Themen wie Patient-Empowerment, Digital Health in der Arztpraxis und dem Ökosystem Schweizer Medizin-Start-ups. In Vorträgen zeigten sie, wie E-Health bereits gelebt wird und wohin die Reise geht.
(Quelle: Ergon Informatik)
Ende Oktober 2019 haben sich Gäste bei Ergon eingefunden, um sich rund ums Thema E-Health auszutauschen. Wie es momentan in der Schweiz und auch international um Digital Health bestellt ist, stellte sich in drei Vorträgen und einer moderierten Diskussion aller Teilnehmer heraus.
Ergon eröffnete den Anlass, eingeleitet von Marco Dubacher, Projektleiter E-Health, und Michael Doujak, Product Manager Airlock Secure Access Hub. Wie leicht sich E-Health vermarkten lässt, nahm Doujak gleich vorweg. Versicherungsunternehmen wie John Hancock oder Vitality belohnen ihre Kunden damit, dass sie gesund leben und geben ihnen dazu eine Smartwatch, um das zu fördern. Und in den Medien steht E-Health schon als Lebensretter da: Beispielsweise das gerettete Leben eines Vaters, der wegen des EKG eines solchen Wearables dem Tod ein Schnippchen schlagen konnte.
Dubacher zitierte Andrew Ng, Mitgründer von Coursera und ehemaliger Leiter von Baidu AI Group und Google Brain: «Sollten Radiologen sich um ihre Jobs sorgen?» Radiologische Bilder machen den Löwenanteil der Daten aus – 50 Petabyte pro Jahr in einem Spital, aber 97 Prozent bleiben nutzlos liegen. «KI kann hier helfen und ist keine Gefahr für Arbeitsplätze, sondern eine Hilfe», sagte Dubacher.
Die Sicherheit darf nicht zu kurz kommen
Zum Thema Sicherheit und Datenschutz häufen sich Hiobsbotschaften, etwa als Hacker an den Daten von Spitalpatienten rumpfuschen konnten oder Krankenhäuser mit Erpressungstrojaner lahmgelegt wurden. Doujak sagte, dass genau wie für die Medizin selbst auch im E-Health das Motto gilt: «Vorbeugen ist besser als heilen.»
Sicherheit ist bereits heute eine Herausforderung für die Spitäler und die Herausforderung wird zunehmen. Patienten wollen Zugriff auf ihre medizinischen Daten, bequem in einer App auf dem Mobiltelefon. Institutionen spüren diesen Druck und müssen sich öffnen und Lösungen bieten, aber sie dürfen die Sicherheit und den Schutz der medizinischen Daten nicht vernachlässigen.
Die Herausforderung der semantischen Interoperabilität
Fast Healthcare Interoperability Resources (FHIR) ist ein Standard für Datenformate und -elemente und APIs mit Fokus auf den Austausch elektronischer Gesundheitsdaten. Der Standard findet laut Dubacher schon breite Unterstützung – bei grossen Playern wie im Apple HealthKit, Google Healthcare API, Microsoft Azure API for FHIR, aber auch bei kleineren Namen wie HAPI.
Jenseits solch einer technischen Interoperabilität ist hierbei die semantische von grosser Wichtigkeit. Dies erfordert semantische Standards, damit verschiedene Systeme richtig miteinander kommunizieren können. Dubacher gab dem Publikum auch das elektronische Patientendossier (EPD) zu bedenken.
Im April 2020 soll dieses schweizweit ausgerollt werden, aber bei der Interoperabilität bestehen noch Lücken. Beispielsweise HAPI mit dem EPD zu verbinden, um Daten anzuzeigen – davon sei das Szenario noch weit entfernt. Nordische Länder sind momentan im Feld des E-Health Vorreiter und dran, diese Sachen zu verbessern. In der Schweiz besteht aber laut Dubacher noch Nachholbedarf.
Ärzte müssen sich an der Digitalisierung beteiligen können
Im Vortrag von Jörg Kaiser, Head of Sales & IT Services von Axon Lab, erfuhr das Publikum, wie eine moderne Praxissoftware einen Beitrag zu mehr Effizienz leisten kann.
Laut Kaiser ist nur rund die Hälfte aller Arztpraxen wirklich digitalisiert. Die andere Hälfte setzt nach wie vor auf Papier. Die wachsende Datenmenge überflutet Systeme. Ärzte seien schon mit der eigentlichen Arbeit am Patienten überlastet und «Prozessänderung» ein Fremdwort – es gilt, neue Wege für das Gesundheitswesen zu ebnen.
Alleine die Abläufe und Individualitäten der Patienten sorgen schon für eine sehr hohe Komplexität. «Dinosaurier-Systeme müssen abgeschafft werden», sagte Kaiser. Kunden brauchen neue Features, Effizienz und Mehrwert mittels Kollaboration und Vernetzung beispielsweise um Termine online zu buchen, Rezepte zu versenden oder Medikamente bequem direkt in einer Praxis zu bestellen.
Ärzte müssen die Patientendaten verwerten und vernünftig abarbeiten können. Mit KI-Unterstützung sollen die Daten so gefiltert werden, dass das Wichtigste zum Arzt geschleust wird und damit effizientere Diagnosen erstellt werden können.
Zu den Risiken und Nebenwirkungen der Zukunft
Urs Stromer von ST-Consulting, Co-Initiator of Swiss Healthcare Start-ups und Präsident der IG eHealth, ist mit der Start-up-Szene vertraut und widmete seinen Vortrag diesem Thema. Laut Stromer werden sechs Gamechanger die Medizin von morgen verändern: Die Entwicklung von Sensorik, das Internet of Things, KI-Entwicklung in der Diagnostik, Software Roboter (sogenannte Bots), Augmented Reality (AR) und Gamification.
Als Beispiele dazu dienten etwa Gesichtserkennungssoftware, die anhand der Durchblutung im Gesicht kardiovaskuläre Erkrankung feststellen kann; Körperwaagen, die Daten direkt in die Cloud übermitteln können; interaktive Bots, die Ärzte mit automatisierten Symptomanalysen unterstützen; günstige Physiotherapie im Wohnzimmer mittels AR-Apps; oder das Potenzial von Gamification in der Prävention, damit Menschen gesund bleiben.
Weltweit haben sich 40 Unicorns im Healthcare-Bereich empor getan, beispielsweise Ooscat, Casper, Clover oder Smile. Die Produkte solcher Start-ups könnten Vorteile in der Entlastung von Routinearbeiten bieten, etwa mittels automatisierter Vor-Diagnose oder Betriebsdatenerfassung via dem Internet of Medical Things.
Dennoch mahnte Stromer zur Vorsicht: Digital Health setzt sowohl beim Patienten wie auch beim Arzt eine solide IT- und Medienkompetenz voraus. Weil grosse Teile der Diagnostik sich zum Patienten hin verlagern, wird sich der Alltag in der Praxis stark verändern. Neue Kompetenzen wie der richtige Umgang mit Assistenzsystemen sind gefragt. Stromer warnte auch vor Stolpersteinen wie einer möglichen europäischen Überregulation im Umgang mit medizinischen Daten.
Die Medizin ist keine exakte Wissenschaft
Direkt im Anschluss öffnete Ergon die Diskussion. Dabei kommentierte André Naef, Chief Technology Officer von dacadoo, dass das Unternehmen in der Digitalisierung des Gesundheitswesens gemächlichen Fortschritt erlebe. «Es gibt gute Korrelation zwischen der Nutzung von Apps und Verbesserungen der Gesundheit», sagte Naef. Für den Nachweis der Ursächlichkeit bräuchte es jedoch unabhängige Kontrollgruppen. Denn möglicherweise nutzen solche Dienste gerade Menschen, die sich ohnehin mit ihrer Gesundheit beschäftigen.
«Das menschliche Leben ist aus Ingenieurssicht vergleichsweise unberechenbar», sagte Naef. Wie Kaiser erinnerte: Im Maschinenbau etwa ist Genauigkeit viel kritischer. In der Medizin gehe es jedoch um Tendenzen. Menschen sind medizinisch zu individuell.
Auch laut Stromer ist der Komplexität im Gesundheitswesen um semantische Nomenklaturen zu definieren viel höher als in anderen Branchen. «In der Finanzbranche gibt's nur einige hundert Währungen, welche sich mit Zahlen darstellen lassen. In der Medizin haben wir hunderttausend klinische Inhalte, die als Zahlen, Zustände, Bilder oder ganze Texte abgebildet werden müssen», sagte Stromer.
Doujak zeigte sich gespannt auf die 2020 kommende Einführung des EPDs und Dubacher sinnierte, ob KI uns im Feld tatsächlich weiterbringt. Die E-Health-Entwicklung gestalte sich gerade wegen der damit verbundenen Komplexität als knifflig. Er fragte: «Kann man solchen Systemen trauen, wenn nicht alles nachvollziehbar ist?»
Die Frage blieb offen, doch der gesamte Anlass sprach Bände über die wachsende Notwendigkeit von KI-Unterstützung.
Autor
Erich Cazzoli
ist freier Journalist aus Wettingen.