01.06.2006, 21:05 Uhr

Ur-Nashorn aus Dübendorf

Ausnahmsweise analysieren die Materialprüfer der Empa keine modernen Werkstoffe, sondern rekonstruieren ein Fossil.
Mit ihrem Röntgen-Computertomograph vermisst die Empa den versteinerten Schädelknochen des 18 Millionen Jahre alten Ur-Nashorns.
Auf den ersten Blick sieht der hellgraue Klumpen aus wie ein Stück Fels. Bei näherer Betrachtung jedoch lassen sich zwischen dem Sedimentgestein schwarze versteinerte Reste eines Schädelknochens und sogar Zähne erkennen. Sie gehörten einem Ur-Nashorn, das vor über 18 Millionen Jahren gelebt hat. Ein Arbeiter entdeckte den fossilen Schädelknochen vor einigen Jahren zufällig in einem Steinbruch im St. Gallischen Uznach. Seit 2005 gehört das rare Fundstück dem Naturmuseum St. Gallen, das nun die genaue Untersuchung an der Empa (Eidgenössische materialprüfungsanstalt) veranlasst hat. Dort wurde der Schädel während einiger Wochen gründlich durchleuchtet. Dazu wurde der Röntgen-Computertomograph der Empa sozusagen zweckentfremdet: Er übernahm die Untersuchung des versteinerten Urgetüm-Schädels. Konventionelle Computertomographen, wie sie in vielen Spitälern stehen, wären für die Aufgabe zu schwach gewesen, erklärt Empa-Mann Alexander Flisch. Das Industriegerät hingegen habe die dreifache Power der Spitalapparate. Weil es selbst bei 20 cm dickem Stein klare Bilder liefert, wird es gelegentlich für archäologische und paläontologische Analysen genutzt. Eigentlich wurde das Gerät für die Vermessung von Maschinenteil-Prototypen im Rahmen des EU-Projekts «Fatima» entwickelt. Derweil bewegt sich in einem Glaszylinder der 45 Zentimeter hohe Schädel langsam vor der Röntgenröhre hin und her. Ihre Strahlen durchdringen den 22 cm dicken Sandstein. Elf Minuten braucht es, bis ein einzelnes Schichtbild des Fossilknochens vorliegt - sozusagen ein virtueller Schnitt durch den Schädel des Ur-Nashorns. Insgesamt 920 derartige Bilder werden aufgenommen, immer im Abstand eines halben Millimeters. Aus der gewaltigen Datenmenge generiert der Computer ein dreidimensionales Modell des Schädelknochens. Für Urs Oberli, Präparator paläontologischer Funde, sind diese Bilder und Daten aus dem Tomographen die Basis für den Nachbau eines perfekten physischen Modells. «Der grösste Vorteil der Methode besteht darin, dass der Originalschädel durch die Untersuchung nicht zerstört wird», freut sich derweil Toni Bürgin, Direktor des St. Galler Naturmuseums.
Catharina Bujnoch



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