16.08.2006, 10:43 Uhr
Strittiger Weg zur Konvergenz
Eine Gruppe von Wireless-Herstellern hat Erweiterungen zu der Spezifikation IMS vor-geschlagen, die IP-basierte Kommunikation standardisieren soll. Nun geht es darum, in der Branche breite Unterstützung dafür zu finden.
Unter Federführung des US-Carriers Verizon Wireless haben verschiedene auf Drahtloskommunikation spezialisierte Hersteller ein Jahr lang daran gewerkelt, um die Branchenspezifikation IP Multimedia Subsystem (IMS) zu erweiteren. IMS wurde von der Interessengruppe 3GPP (3rd Generation Partnership Project) entwickelt, um IP-basierte (Internet Protocol) Dienstleistungen, egal ob kabelgebunden oder kabellos, egal ob Sprache oder Daten, zusammenzuführen.
Das Framework, an dem unter anderen Cisco, Lucent, Motorola, Nortel und Qualcomm mitgemischt haben, soll die MMD-Architektur (Multimedia Domain) des 3GPP2, ein Ableger von IMS, ausbauen. Ende Juli hat Verizon ihre Arbeit veröffentlicht. Nun geht es darum, in der Branche für die Spezifikationen zu werben - und das dürfte nicht einfach werden.
Das Framework namens Advances to IMS (A-IMS) soll vor allem drei Dinge leisten: erstens, bessere Unterstützung für Nicht-SIP-Geräte (Session Initiation Protocol), zweitens End-to-End-Security und drittens Quality of Service für drahtloses Voip (Voice over IP). «Wir haben die Punkte zusammengetragen, die unserer Meinung nach zu klären waren und dann von Anfang an mit verschiedenen Herstellern gemeinsam daran gearbeitet, zu denen wir schon gute Beziehungen haben», erklärt Bill Stone, Manager für Netzwerkstrategien bei Verizon Wireless.
«Gleichzeitig ist sonnenklar, dass wir keine fertige, abgeschlossene Lösung präsentieren», ergänzt Stone. «Wir wollen die Sache in Gang halten, das Framework öffentlich vorstellen und Dritte ermutigen, sich damit auseinanderzusetzen und Verbesserungsvorschläge oder Ergänzungen zu machen. Und am Ende soll ein Standard draus werden.»
Viele Wege zur Konvergenz
Verizons Vorstoss ist indes nur eine Alternative von mehreren, um eine Architektur für IP-basierte Netzwerke und Dienstleistungen der Zukunft einzuführen, die die Konvergenz von Fest- und Mobilnetz anstreben. Und gerade weil verschiedene Wege eingeschlagen werden, besteht die Gefahr, dass sich die Branche darüber verzettelt und damit schlussendlich die Einführung solch zukunftsträchtiger Dienste für Privat- wie Geschäftsnutzer verzögert, kritisieren Branchenbeobachter: «Bisher hat man es zwar ganz gut geschafft, die verschiedenen Bemühungen zu koordinieren», sagt Joe McGarvey von Current Analysis. «Aber nun liegt ein weiterer Vorschlag vor - und viele Köche verderben bekanntlich den Brei.»
IMS stammt aus der Küche des 3rd Generation Partnership Project (3GPP). Die Architektur funktioniert im Wesentlichen als Kontrollinstanz über die Infrastruktur wie in einem herkömmlichen leitungsvermittelten Telefonnetzwerk, indem die Dienste von den darunter liegenden Trägernetzwerken separiert werden.
IMS nutzt SIP als Signalprotokoll der Wahl, um Anrufe zu initiieren und Daten-Sessions auszuführen. Dienste wie Text-Messaging, Sprachnachrichten und File-Sharing können auf Applikationsservern residieren und von Festnetz- oder Drahtlosdienstleistern ausgeführt werden. Die Branche hat IMS als Core-Komponente für nahezu alle IP- Kommunikationsnetzwerke der nächsten Generation für SIP-basierte Applikationen akzeptiert. IMS ist dafür ausgelegt, standardisierte Multimediadienste über alle vernetzten drahtlosen und verkabelten Netze zu gewährleisten, es agiert quasi als Docking-Station für alle möglichen Endgeräte einerseits und den diversen Applikationen andererseits.
Strittiger Weg zur Konvergenz
Nun aber habe Verizon Wireless vor zwei Jahren bestimmte Lücken und Mankos in der MMD/IMS-Architektur konstatiert, berichtet Stone. Vor allem sei dies bei Nicht-SIP-Legacy-Komponenten zu spüren gewesen, beim Thema Security und bei drahtlosem Voip. Also verfasste eine Taskforce ein dreihundertseitiges Konzept- und Architekturdokument, das sie den 3GPP- und 3GPP2-Organisationen und weiteren Branchenstandardgremien vorlegen will.
A-IMS baut IMS aus
A-IMS soll den komplexen IMS-Standard vereinfachen, versichert Stone. Analysten meinen, es könnte zumindest eine Brücke schlagen zwischen dem auf GSM fokussierten IMS des 3GPP und dem auf Code Division Multiple Access fokussierten MMD des 3GPP2. «A-IMS kann beide Standards näher zueinander rücken und gewisse Unterpunkte für beide regeln», glaubt etwa Andrew Seybold von der Beratungsfirma Outlook 4 Mobility.
Zudem soll A-IMS verschiedene Initiativen ergänzen, die für die Konvergenz von drahtlosen und drahtgebundenen Infrastrukturen kommender Generationen am Laufen sind. Das Etsi (European Telecommunications Standards Institute) beispielsweise entwickelt derzeit die Spezifikation Tispan (Telecommunications and Internet Converged Services and Protocols for Advanced Networking) für eine solche Umgebung. Auch Tispan soll Nicht-SIP-Netzelemente und -Applikationen unterstützen.
«Nur das Rad neu erfunden»
Verschiedene Konkurrenten von Verizon auf dem amerikanischen Markt wie Cingular Wireless und Sprint Nextel, aber auch die britische Vodafone unterstützen A-IMS jedoch nicht. Cingular setzt auf Lucent als ihren IMS-Zulieferer für ihr 3G-Netzwerk, und dieses basiert auf UMTS /High-speed Downlink Packet Access - eine Konkurrenztechnik zu Verizons EV-DO.
Vodafone wiederum mischt im kürzlich gegründeten Next Generation Mobile Network Forum mit, in dem weitere Europäer wie T-Mobile, Orange, KPN und daneben die japanische NTT Docomo sowie China Mobile einsitzen. Cisco engagiert sich ebenfalls in diesem Forum.
Und weil all diese Aktivitäten parallel laufen, dürfte es sehr schwer werden, breite Zustimmung für A-IMS zu erhalten, fürchten die Analysten: «Jetzt erst kommt der wirklich schwierige Teil des Unterfangens», urteilt Roger Entner von Ovum. «Es ist nämlich ungleich schwieriger, den proprietären Vorschlag A-IMS industrieweit als einen offenen Standard akzeptiert zu bekommen.»
Symptomatisch war etwa Sprint Nextels Verhalten: Zunächst lobte sie Verizons Bemühungen um ein verbessertes IMS - doch deshalb unterstützt sie sie noch lange nicht: «Wir müssen die Erweiterungen erst analysieren, um beurteilen zu können, wie sie für uns anwendbar sind», bremst eine Firmensprecherin von Sprint. Angeblich habe man gewisse Teile der IMS-Architektur schon vor vier Jahren implementiert, um die eigenen Dienste Push-to-Talk und Business Mobility Framework zu ermöglichen.
Strittiger Weg zur Konvergenz
Auch Cingular will verschiedene IMS-Komponenten bereits implementiert haben und deutet im übrigen an, A-IMS wäre bloss eine Neuerfindung des Rads: «A-IMS geht verschiedene Gesichtspunkte an, die alle bereits von der 3GPP oder durch spezifische Implementierungen realisiert sind», lässt die Firma ausrichten. «Weltweite GSM-Anbieter und -Hersteller haben diese Standards geschaffen, und dahinter steckt viel brilliante Denkarbeit. Wir vertrauen darauf, dass das Know-how der Leute dahinter ausreicht und dass sämtliche wichtigen Aspekte bereits geklärt sind.» Nichtsdestotrotz will auch Cingular mit Verizon und den anderen Herstellern der A-IMS-Initiative «sprechen, um ihren Standpunkt und ihre Denkweisen besser verstehen zu können».
Das Etsi und 3GPP schliesslich lassen gemeinsam ausrichten, dass der Vorschlag A-IMS «seriös geprüft» werde.
Grabenkämpfe überwindbar?
Verizon und Cisco spielen derweil die Gefahr herunter, IMS könne die Branche fragmentieren: «Wir lancieren Lösungen, von denen wir hoffen, dass sie anhand ihres technischen Potenzials gemessen werden und nicht an ihren Urhebern», formuliert Verizons Stone.
Und Cisco-Manager Jonathan Hindle ergänzt: «Tatsächlich gibt es negative Reaktion von Leuten, die nicht an der Entwicklung beteiligt waren. Aber ich glaube an die pragmatische Grundeinstellung der Mobilindustrie, die immer dann zusammenarbeitet, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist.»
Berater Seybold meint, die Drahtlosbranche solle sich um A-IMS zusammenfinden: «Wenn die Leute schlau sind, werden sie anerkennen, dass IMS dank A-IMS wieder dahin zurück finden kann, wo es angefangen hat: als völlig offene Architektur», bilanziert er.
Catharina Bujnoch