25.09.2008, 15:08 Uhr

Keinen Bock auf Informationstechnologie

Fast jeder Jugendliche interessiert sich für Computer. Aber nicht einmal jeder Dritte erwägt, selbst einen IT-Beruf zu ergreifen. Die Informatik hat ein Imageproblem.
Von Kindesbeinen an sind Kinder und Jugendliche heute mit Computern, Internet und Handy vertraut. «Junge Leute wachsen mit Computern und Internet auf und erleben, wie die Informationstechnologie ihr Leben prägt», stellt Oliver Tuszik, CEO des IT-Dienstleisters Computacenter, fest. «Eigentlich müssten sie sich doch auch für IT interessieren, wenn es um die Auswahl ihres Jobs geht. Doch eher das Gegenteil ist der Fall.» Oliver Tuszik hat seine ernüchternde Erkenntnis aus einer Studie des Meinungsforschungsunternehmens TNS Emnid, die Computacenter in Auftrag gegeben hat: Nicht einmal jeder dritte deutsche Jugendliche zwischen 14 und 29 Jahren erwägt einen IT-Beruf.
Kein Weg vom Hobby zum Beruf
Die Diskrepanz zwischen dem privaten Interesse und den Berufsplänen ist in der Schweiz noch eklatanter als in Deutschland. Eine Befragung der Meinungsforscher Rüttner und Partner im Auftrag der Berner
Hasler Stiftung ergab, dass der PC für die Schüler und Lehrer an Schweizer Gymnasien heute zwar ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand ist. Allerdings wählen nur ein Prozent der Schülerinnen und fünf Prozent der Schüler Informatik als Studienfach. Und das, obwohl der Computer für die Mehrheit der jungen Leute weit mehr als nur ein Hobby ist: 86 Prozent nutzen die moderne Technik für die Kontaktpflege mit Freunden, Bekannten und Kollegen. 71 Prozent recherchieren Informationen im Internet, zwei von drei Schülern in der Schweiz laden mindestens ein- mal im Monat Musik aus dem Internet.
Der PC wird aber nicht nur in der Freizeit genutzt. 90 Prozent der Schüler verwenden eine Textverarbeitungs-Software, immerhin noch sechs von zehn lernen oder vertiefen die Lehrinhalte am Rechner. Die grosse Mehrheit von 81 Prozent gab jedoch in der Befragung an, nie zu programmieren. Damit wird der Weg zum Informatikstudium weit, obwohl bei 96 Prozent der Schüler «Informatikunterricht» auf dem Stundenplan steht. In nur jedem sechsten Kurs wurden die Schüler allerdings ins Programmieren eingeführt.
Informatiker haben ein Imageproblem
Gründe dafür, dass so wenige junge Schweizer die Informatik als Berufsziel wählen, liegen nicht nur in der offenbar geringen schulischen Vorbereitung. IT-Berufe haben bei den Schülern ein schlechteres Image als bei der Allgemeinbevölkerung - auch das fand die Studie «Das Image der Informatik in der Schweiz» heraus (siehe Grafik oben). Vor allem in den Kategorien «hohes Einkommen» und «Erfolg versprechend» sind die Schweizer Schüler deutlich pessimistischer als die Allgemeinbevölkerung.
Am Image poliert die Schweizer IT-Branche im laufenden Jahr der Informatik. Den «Tag der Informatik» am 29. August nutzten zum Beispiel 2000 Schüler aus fast 100 Klassen, um sich über Lehrberuf, Weiterbil-dungsangebote und Karrieremöglichkeiten im Bereich IT zu informieren. Anton Gunzinger, ETH-Professor und Gründer der Supercomputing Systems, machte auf der Eröffnungsveranstaltung deutlich, dass die Öffentlichkeit noch immer ein falsches Bild vom Informatiker habe: In der IT brauche man keine introvertierten Technofreaks und Bastler mehr. «Es sind heute in erster Linie soziale und kommunikative Qualitäten gefragt, um die Informatik konsequent in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.»

Nachwuchssorgen bei IT-Frauen

Insbesondere junge Schülerinnen stimmen dieser Aussage offensichtlich nur wenig zu. Denn der Anteil der IT-Studentinnen stagniert seit zehn Jahren beharrlich auf einem extrem niedrigen Niveau von zehn Prozent. Derzeit erwägt laut Umfrage weniger als ein Prozent der Schweizer Schülerinnen, einen IT-Studiengang zu wählen - ein noch grösserer Mangel an Informatikerinnen ist damit vorprogrammiert.
«Vermutlich haben junge Frauen Angst vor einem Gebiet, das immer in Bewegung ist. Vielleicht denken sie, dass sie nach einer Mutterschaftspause keine Chance mehr auf eine Rückkehr haben», meint Carl August Zehnder, ehemaliger Leiter des Departements für Informatik an der ETH Zürich.
Die Studienergebnisse scheinen diese Vermutung zu bestätigen. So arbeiten mehr als die Hälfte aller werktätigen Schweizerinnen in Teilzeitjobs, von denen es in der IT aber noch relativ wenige gibt. Dabei ist die Informatik durchaus ein attraktives Betätigungsfeld für Frauen: Fast drei Viertel der Befragten stimmten zumindest dieser These zu.
Schweizer Wirtschaft am IT-Tropf
Professor Zehnder macht noch ein Problemfeld aus: «In der Schweiz werden heute in über drei Vierteln aller Arbeitsplätze auch Informatikanwenderkenntnisse verlangt und in einem Grossteil der Privathaushalte stehen Computer. Doch diesem hohen Ausrüstungsstand entspricht das Grundlagenwissen der Bevölkerung im Bereich Informatik in keiner Weise.» Unbestritten ist für Zehnder die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche: Die Schweizer Banken, die grössten Informatikbetriebe des Landes, gäben jährlich geschätzte 7,5 Milliarden Franken für IT-Dienstleistungen aus. Den Initiatoren des Jahres der Informatik zufolge nimmt die Schweiz bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Hard- und Software weltweit eine Spitzenposition ein.
Die Bevölkerung nimmt die Bedeutung der Informationstechnologie zwar wahr: 90 Prozent der Befragten gaben an, dass die Informatik für die Wirtschaft eine herausragende Rolle spielt. Dass heute jede Firma Bedarf an kompetenten IT-Mitarbeitern hat, sehen über 80 Prozent aller Teilnehmer. Die Mehrheit - 52 Prozent - erkennt aber auch den Mangel an ausgebildeten Informatikern: Nur ein Drittel ist davon überzeugt, dass es hierzulande genügend Informatiker gibt. Bei diesen Fragen sind die jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren etwas blauäugiger: Sie messen der Informatik
weniger Bedeutung für die Wirtschaft zu und erkennen den IT-Fachkräftemangel weniger deutlich.
Die IT-Branche hat also - weit über das Jahr der Informatik hinaus - gerade bei den Jungen noch einiges an Boden gut zu machen, wenn sie ihren Bedarf an kompetenten Informatikerinnen und Informatikern auch in Zukunft decken will.



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