Interview Fred Luddy 01.05.2014, 19:43 Uhr

ServiceNow: Milliarden mit IT in der Cloud

Vor zehn Jahren gründete Fred Luddy den Cloud-Anbieter ServiceNow. Im Interview mit Computerworld blickt der leidenschaftliche Programmierer zurück und voraus.
Knowledge14-Fred-Luddy1.jpg
Fred Luddy gründete vor zehn Jahren ServiceNow. An der Knowledge14 präsentierte er Neuheiten
(Quelle: computerworld.ch)
Fred Luddy hätte sich vor zehn Jahren zur Ruhe setzen können. Er blickte auf eine sehr erfolgreiche Karriere als Software-Entwickler zurück. Aber er programmierte für sein Leben gern. Deshalb gründete er ServiceNow, heute ein milliardenschwerer, börsenkotierter Anbieter von IT-Management. Am Rande der Hausmesse «Knowledge14» in San Francisco sprach Luddy exklusiv mit Computerworld über zehn spannende Jahre und die Zukunft des Service-Managements aus der Cloud.
Computerworld: Welches war die ursprüngliche Idee hinter ServiceNow?
Fred Luddy: Ich bin Programmierer seit meinem sechszehnten Lebensjahr und wünschte mir nie etwas anderes zu sein. So bestand die Gründungsidee von ServiceNow darin, Code zu schreiben, damit ich es mir leisten kann, weiter zu programmieren. Es gab weder einen Business-Plan noch einen Zielmarkt.  Allerdings beobachtete ich die Veränderungen im Endkundengeschäft, insbesondere Google Mail und MyYahoo. Konzepte wie minimales Design und Einfachheit zeigten mir auf, dass es auch im Enterprise-Geschäft noch viel Entwicklungspotenzial gab. Ich programmierte zunächst eine Plattform, auf der Applikationen laufen sollten. Allerdings bekam ich bald die Rückmeldung, dass Kunden keine zusätzlichen Tools einkaufen wollen. Vielmehr wollen sie fertige Lösungen. Etwa berichtete ein Freund, dass seine Firma jüngst Salesforce eingeführt hatte und nun auf der Suche nach einem IT-Service-Desk war. Den gab es aber nicht. 
Das wunderte mich. Ich war der festen Überzeugung, dass clevere Köpfe bei Google oder Yahoo damals innerhalb weniger Monate eine Lösung für IT-Management hätten programmieren können. Sie hatten es aber nicht getan. Also warf ich meine Vorsätze über den Haufen – nach dem Weggang von Peregrine wollte ich mit dem frustrierenden IT-Service-Management nichts mehr zu tun haben – und programmierte ServiceNow.
Welches sind die persönlichen Highlights für Fred Luddy in den zehn Jahren ServiceNow?
Quelle: computerworld.ch
Wirklich Spass macht mir bis heute die Kundenakquise. Wenn wir Verträge mit Weltkonzernen wie der Deutschen Bank, Johnson & Johnson oder der UBS unterschreiben, freuen wir uns über jeden Kunden. Aber es ist auch eine Verpflichtung, denn die Person, die die Unterschrift leistet, nimmt auch ein Risiko auf sich. Insbesondere in den frühen Jahren, als wir noch so gross waren, setzte der Vertragspartner zumindest sein Familieneinkommen auf uns. Das haben wir sehr ernst genommen – und tun es noch heute.
Persönlich sehr bewegend für mich war der Rücktritt als CEO in 2011. Dabei war Douglas Leone vom ServiceNow-Investor Sequoia Capital eine grosse Hilfe. Eines Tages nahm er mich mit auf eine Rundreise durch das Silicon Valley, auf der wir diverse CEOs trafen. Am Abend stand für mich fest: Ich will den Job nicht. Den Grund brachte mein Nachfolger Frank Slootman auf den Punkt: «Ich selbst tue nichts. Ich suche Leute, die ich dann arbeiten lasse.» Das ist nicht meine Sache. Ich will lieber selbst programmieren.

Knien vor Schweizer Kunden

Was sind Besonderheiten des Schweizer Markts für Fred Luddy?
Quelle: computerworld.ch
Ich habe früher in Genf gelebt und am Cern gearbeitet. Heute weiss ich, dass ServiceNow sehr erfolgreich auf dem Schweizer Markt ist und wir über 50 Kunden haben. Darunter sind grosse Namen wie Credit Suisse, JTI, Philip Morris, Schindler und UBS.
An ein lustiges Ereignis in Zürich erinnere ich mich lebhaft: Für eine Kundenpräsentation flog ich für einen Tag dorthin, wurde in ein Chalet ausserhalb der Stadt gebracht und mit gefühlt 18 Managern von Credit Suisse in einen Konferenzraum gesteckt. Teil der Präsentation war eine Demonstration. Allerdings realisierte ich, dass alle Stühle besetzt waren. Also nahm ich den Laptop auf den Schoss und setzte mich auf den Holzboden. Ich habe es genossen, die Manager der Credit Suisse waren beeindruckt und lachten. Als ich allerdings den Raum verliess, stellte ich fest, dass meine Situation noch komfortabel gewesen war. Denn vor der Tür warteten neun Vertreter von BMC auf ihre Präsentation.
Die Cloud wird heute in einem Atemzug mit NSA-Spionage und Datenschutzbedenken genannt. Wie überzeugt Fred Luddy die Kunden, in ServiceNow eine Cloud-Lösung zu wählen?
Die Diskussion wird vorläufig eine grosse Herausforderung bleiben. Die Cloud macht die Leute nervös, weil sie entweder keine Kontrolle haben oder das Konzept nicht vollständig verstehen. Die Diskussion um NSA und Datenschutz hat damit aus meiner Sicht aber wenig zu tun, denn es wurden keine Daten aus der Cloud überwacht. Die Informationen wurden aus der Industrie und den Banken abgezogen. Aus der Security-Perspektive macht es also keinen Unterschied, ob Daten im eigenen Rechenzentrum liegen oder in einer Cloud. Wer die Informationen haben will, kann sie an beiden Orten bekommen.
Mit der HR-Applikation bietet ServiceNow auch Anwendungen jenseits von IT-Management an. Ist das die Zukunft der Plattform?
Unbedingt! Die Überlegung dahinter ist: Unternehmen stehen vor der Schwierigkeit, Abläufe automatisieren zu wollen, aber sie wissen nicht wie. HR-Prozesse wie das Anfordern von Arbeitszeugnissen oder das Onboarding von Mitarbeitern sind nur erste Schritte. Die beherrschen Wettbewerber wie SuccessFactors ebenfalls. Ihnen fehlen aber zum Beispiel Funktionen zur Management von Lebensereignissen von Mitarbeitern – wie Geburt eines Kindes oder Umzug. Hier sind oftmals mehrere Unternehmensdivisionen involviert, etwa der HR- und der Finanzbereich.
Im Genfer Cern sind in ServiceNow heute über 250'000 Ereignisse hinterlegt, von der Badge-Produktion über die Parkplatzreservierung bis hin zur Zutrittsberechtigung zum Teilchenbeschleuniger.  Sobald wir wie bei den HR-Prozessen einen Massenmarkt identifizieren, wird es in Zukunft auch Apps von ServiceNow selbst geben. Unterdessen können User selbst Abläufe programmieren.

Facebook fürs Leben, ServiceNow für den Job?

Wenn ServiceNow die Plattform für Backend-Geschäfte werden soll, wie Facebook sie für das Privatleben und LinkedIn für die Business-Vernetzung ist, muss sich das Unternehmen ändern. Eine Option ist eine kostenlose Version, eine andere eine KMU-Variante. Welche Pläne gibt es?
Wenn wir eine zentrale Rolle im Arbeitsleben von jedermann spielen wollen, ist ein anderes Geschäftsmodell erforderlich. Wenn ich mit Nestlé über den Rollout bestimmter Funktionen für alle rund 330'000 Angestellten spreche, dann muss ich unser Produkt reduzieren können – auch im Preis. Das ist aber heute noch Zukunftsmusik. Konkreter sind die Pläne bei der Business Edition. Hier haben wir einige fortgeschrittene Funktionen wie die Programmierbarkeit oder Erweiterungen per HTML versteckt. Die Edition soll einfach sein, damit sie auch für mittelständische Unternehmen passt. Dabei sind auch die Liefer- und Abrechnungsmodelle andere. 
Jede IT-Lösung hat eine Legacy. Die zugrundeliegende Prozessplattform ist diejenige von ServiceNow. Wie stellt Fred Luddy sicher, dass die Legacy nicht zum Problem wird?
Quelle: computerworld.ch
Die Frage ist, ob wir gleichzeitig innovativ sein können und die Werte unserer Kunden schützen können. Auch IBM hat diese Herausforderung: Jeder Code, der 1964 auf dem Mainframe lief, läuft auch heute auf dem Mainframe. Dieses Versprechen geben wir auch: Innovationen auf der ServiceNow-Plattform werden nur dann lanciert, wenn sichergestellt ist, dass alle früheren Funktionen und Entwicklungen weiterhin unterstützt werden. Denn weder die eine noch die andere Alternative sind eine Option für mich: Innovationen zu stoppen oder Kunden zum Erneuern von Entwicklungen zu zwingen.
Wo steht ServiceNow in zehn Jahren?
In zehn Jahren sind wir hoffentlich allgegenwärtig in Unternehmen. Mit der Plattform haben wir die technologische Grundlage geschaffen, auch jenseits der IT-Abteilung die Abläufe zu automatisieren. Ein Ziel für die nächsten Jahre ist das Gewinnen neuer Kunden – vom Kleinunternehmen bis hin zum Grosskonzern. Damit wird auch die Marke bekannter, denn ich bin die Frage leid, wenn ich auf meinen Arbeitgeber angesprochen werde: ServiceNow, was ist das?



Das könnte Sie auch interessieren