Grosser Fachhochschulen-Check
17.04.2019, 06:21 Uhr
Drehkreuze der Bildung
Absolventen von Fachhochschulen sind begehrt. Die praxisorientierten Hochschulen sind zudem bedeutend für die Weiterbildung von IT-Fachkräften. Online-Studiengänge, Hacker-Labs, Kompetenzzentren: Ein Überblick, was FHs im Bereich ICT bieten und wo noch etwas fehlt.
Landesweit gibt es acht Fachhochschulen, die, seit 1997 die Fachhochschule in Bern als erste ihre Türen geöffnet hat, rasant wachsen. So ist allein die Zahl der Eintritte für Diplom und Bachelor von damals 4900 auf 22 500 im Studienjahr 2017/2018 gestiegen, wie die jüngsten Zahlen des Bundes aufzeigen.
Der Bereich Technik und IT ist heute schweizweit der drittgrösste Aus- und Weiterbildungsbereich. Nur Wirtschaft und die Lehrkräfteausbildung verzeichnen noch mehr Neuanmeldungen. Waren es auf dem Gebiet Technik und IT 1997 noch 2000 neue Studenten, schrieben sich im abgelaufenen Studienjahr rund 3700 neue Studierende ein. Bemerkenswert ist hier die Aufholjagd der Frauen. Vor 22 Jahren stellten sie 2,2 Prozent aller Eintretenden. Seither ist ihr Anteil stetig gestiegen.
Die wachsende Bedeutung, das wandelnde Berufsbild und die grossen Bemühungen von Branche, Schulen und Behörden für noch mehr studierende Frauen, scheint sich auszuzahlen. So war 2016/2017 immerhin bereits eine von zehn Studierenden in Technik und IT weiblich. Und in nur einem Jahr stieg ihr Anteil zuletzt auf 12 Prozent der Studentenschaft, was einem Plus von 20 Prozent entspricht.
Fachhochschulen im Umbau
Doch gar nicht gut läuft es zurzeit an der Berner Fachhochschule. Denn Berner, die sich dem Bereich Technik und IT zuwenden, gehen lieber an die Fachhochschule Nordwestschweiz oder nach Zürich als nach Bern. Als Reaktion restrukturiert die Fachhochschule Bern derzeit weite Bereiche der Schule und überarbeitet die Lehrpläne. Die «Berner Zeitung» schreibt von «stürmischen Zeiten», in denen sich die Schule befinde. Um den Anschluss wiederzufinden, will sie auch baulich modernisieren.
Denn während Standorte wie die Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg schon länger mit einem modernen Campus aufwarten können, wurde in Bern erst 2017 der Kredit für einen modernen Neubau gesprochen. Ab Herbst 2022 sollen gut 2500 Studierende in einem 234 Millionen Franken teuren Campus in Biel unterkommen, auch die Informatiker.
Mehr Geld für Ausbau
Viel unternommen wird auch im Kanton St. Gallen. Dort haben am letzten Abstimmungssonntag alle Gemeinden die digitale Bildungsoffensive angenommen. So werden nun in den nächsten Jahren auf allen Unterrichtsebenen zusätzlich 75 Millionen Franken in die digitale Bildung investiert.
«Für die Ausbildung von Fachkräften wird hier sehr viel gemacht», freut sich Stefan Richter, Studiengangleiter Informatik an der HSR Rapperswil. «So haben wir von der FH gerade die Informatikoffensive im Kanton St. Gallen stark unterstützt und mit vorangetrieben.» Auffallend sei für ihn, dass die Thematik rund um den Fachkräftemangel wohl dank der direkten Demokratie viel stärker in der Gesellschaft thematisiert werde als in den Nachbarländern. «Wenn ich bei ICT-Anlässen Ständeräte antreffe, dann denke ich: ‹Wow, das Thema wird ernst genommen›.»
Ein Problem in der Schweiz sei, dass die ansässige Bevölkerung «schlicht nicht ausreicht», um den Bedarf an ICT-Fachkräften zu stillen, wie einige Studien zeigen würden. «Hier stellt sich für das Land die Frage, inwieweit es bereit ist, diesen Bedarf durch Zuwanderung zu decken», sagt Richter. Der Professor hat selbst Software Engineering studiert und zehn Jahre für die ABB gearbeitet, bevor er vor zwei Jahren als Professor an die HSR berufen wurde. Nun ist er seit sechs Monaten zusätzlich Studiengangleiter Informatik. «Wie die meisten Fachhochschulen bilden wir primär Software-Entwickler aus. Einen hohen Stellenwert hat bei uns die Netzwerktechnik, die im ersten Semester ein Pflichtfach ist.»
Und die Schule hat gleich mehrere Aushängeschilder. «Mit schweizweit bekannten Professoren wie Peter Heinzmann und Beat Stettler sind wir das Kompetenzzentrum für Netzwerktechnik in der Informatik», sagt Richter. Und Peter Sommerlad, der unter anderem Mitglied des Standardisierungskomitees von C++ ist, unterrichtet die Studenten immer weit im Voraus über die nächsten Neuerungen. Neu berufen wurde zudem Professor Thomas Bocek für Blockchain. Dabei interessierten nicht nur Kryptowährungen, führt Richter aus: «Aktuell gibt es viele Unternehmen und Start-ups, die mögliche kommerzielle Einsatzgebiete dieser Technologie untersuchen.» Und wie auch an anderen Schulen gewinnt das Thema Cybersecurity mehr und mehr an Bedeutung. «Seit Stuxnet nehmen auch grössere Unternehmen dieses Thema sehr ernst. Sie wissen spätestens seit dem Bekanntwerden dieses Virus, dass auch ihre Industrieanlagen eine Angriffsfläche sein können.»
Studiengänge individuell zusammenstellen
Ein Alleinstellungsmerkmal der FH Rapperswil sei auch, dass die Schule den Studierenden viele Freiheiten lasse. Das zeigt sich etwa in einem flexiblen Studienplan. Im Gegenzug werde von den Studierenden grosse Selbstständigkeit verlangt. «Wir folgen somit einem eher universitären Ansatz», sagt Richter. Das Konzept scheint aufzugehen. «Unsere Abgänger finden fast alle eine Stelle in der Region. So sind wir auch das Tor in die Ostschweiz für viele Zürcher, die bei uns studieren», schliesst Richter.
Zürich ist Sitz zahlreicher Hochschulen, wie etwa der Kaleidos Fachhochschule. An ihr können IT-Studierende ihren Bachelor aus 50 Modulen frei zusammenstellen. Hinzu kommen Variablen wie Unterrichtssprache und Klassengrösse. Bei der Kombination erhalten Studierende Unterstützung von der Berufsberatung und teilweise auch ihres Arbeitgebers.
Insgesamt stehen ihnen so etwa 200 Bausteine zur Auswahl. «Ganz neu werden wir auch die Möglichkeit anbieten, dass Studierende mit einem Projekt aus ihrem Unternehmen zu uns kommen und wir unterstützen sie dabei, das Studium so zu gestalten, dass sie alle nötigen Kompetenzen erwerben und stärken können, die sie für dieses Projekt brauchen», sagt Andrea Rögner, Prorektorin Innovation und Entwicklung. Gerade in der ICT passiere viel durch Learning by Doing. «Wenn wir das Lernen am Arbeitsplatz fördern und fundiert mit Know-how und Expertise stützen können, ist das ein deutlicher Mehrwert für die Studierenden und die Unternehmen.» Die Fachhochschule richtet ihr Angebot in Aus- und Weiterbildung auf Studierende aus, die neben dem Studium arbeiten, oft in Vollzeit.
Hacken in der Teilzeitausbildung
Diese Entwicklung beobachtet auch Stefan Richter von der HSR: «An unserer Fachhochschule bemerken wir einen sehr viel stärkeren Trend zur Teilzeitausbildung», konstatiert er. Das habe auch damit zu tun, dass Firmen mit hohem IT-Anteil ihren selbst ausgebildeten Informatik-Lehrabgängern immer öfter ein Studium neben der Arbeit ermöglichten. «Das tun sie nicht etwa aus Spass, sondern weil sie händeringend Fachkräfte suchen.» Die Ausgebildeten gingen danach oft an die Fachhochschule und weil die Unternehmen ihre angehenden Fachleute natürlich halten wollten, seien sie heute eher dazu bereit, ihre neuen Mitarbeiter in Teilzeit zu beschäftigen.
Wer sich für Sicherheit interessiert, kann auch in einem Labor arbeiten, in dem Studierende versuchen, sich gegenseitig zu hacken. «Das Labor ist bei den Studenten unglaublich beliebt», sagt Richter.
Auszeichnungen
Von der FH zum Tech-Oscar
Thabo Beeler (2. v. l.) ging nach der Matur an die ETH Zürich – und brach das Studium gleich wieder ab. Lieber wandte er sich einer Ausbildung als Multimedia Producer zu und absolvierte danach ein Informatikstudium an der FH Rapperswil.
Für den Master ging er schliesslich zurück an die ETH und legte dort den nächsten Grundstein für einen Oscar: In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit der Gesichtsrekonstruktion. So kam er in Kontakt mit Disney Research in Zürich, wie Beeler im ETH-Blog erzählt.
Aus der Arbeit entstand das Capturing-System Medusa, das für Filme Gesichtszüge aufnimmt und auf digitale Figuren überträgt. Heute leitet Beeler bei Disney in Zürich das Team Capture & Effects und ist Teil des strategischen Programms Digital Humans bei Disney. Medusa wurde etwa bei «Pirates of the Caribbean», «Avengers» oder den jüngsten «Star-Wars»-Filmen verwendet.
Für Medusa wurde Beeler Anfang des Jahres zusammen mit drei seiner Kollegen mit einem Sci-Tech-Oscar ausgezeichnet (Scientific and Technical Award).
IT-Ausbildung grundsätzlich auf gutem Weg
An vielen Fachhochschulen gibt es keinen Drang zu bestimmten Modulen oder Fachrichtungen. «Alles, was mit der Transformation zu tun hat, ist ein Träger», sagt Yves Rey, Vizedirektor von der HES-SO in Delémont. In Rapperswil sind vor allem Data Engineering und Machine Intelligence sehr gefragt. «Viele lassen sich dann allerdings davon abschrecken, dass Machine Intelligence fast ausschliesslich Mathematik ist», sagt Stefan Richter. Andere Hochschulen berichten dasselbe.
Einig sind sich die Hochschulvertreter auch bei der Frage, ob die IT-Ausbildung hierzulande auf einem guten Weg ist. Yves Rey: «Insgesamt ist sie das. Mit Initiativen wie Digital Switzerland, der starken Einbindung der Unternehmen und der Öffentlichkeit im Allgemeinen, denke ich, dass das Potenzial gross ist, um nun etwa auch über die IT-Berufsfelder hinaus eine digitale Kultur zu entwickeln.» Denn da habe die Schweiz noch Nachholbedarf. Das habe man etwa jüngst in der Diskussion um E-Voting gesehen.
Verschiedentlich wird auch darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, dass Lehrpersonen ein gutes Berufsbild vermitteln, um beim Nachwuchs punkten zu können. Gerade, weil viele immer noch das Bild des allein arbeitenden Informatikers hätten, das gerade Frauen abschrecken könne. Dabei wird heute längst in grossen Teams gearbeitet, in denen Kommunikationstalent gefragt ist. Hier bereits angesetzt hat die Fachhochschule Nordwestschweiz. «Das Interesse für Informatik sollte möglichst früh geweckt werden. Aus diesem Grund ist das breite Themenspektrum der Informatik an der Pädagogischen Hochschule FHNW heute schon Gegenstand verschiedener Ausbildungsangebote der Lehrpersonenbildung», sagt deren Sprecher Dominik Lehmann.
Berufsakademien nach deutschem Vorbild?
Dem Ausland etwas voraus hätten die Schweizer Fachhochschulen etwa bei den Weiterbildungen, sagt Martin Zimmermann, Vizedirektor und Leiter Ausbildung an der Hochschule Luzern. «Da sind wir weit voraus. In Deutschland wird dieses wichtige und zukunftsträchtige Feld erst gerade entdeckt.» Doch, was hierzulande Nachholbedarf habe, sei die gezielte Förderung wichtiger Technologien wie etwa der künstlichen Intelligenz. So hätten Deutschland und Frankreich beide milliardenschwere Programme aufgegleist, um in diesem Bereich zu führenden Standorten zu werden. Etwas, bei dem die Schweiz ebenfalls näher hinsehen könnte, sind die Berufsakademien in Deutschland, findet Olaf Stern von der Abteilung Informatik, Elektrotechnik und Mechatronik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Dort können Studierende die erforderliche Berufserfahrung während des Studiums erwerben und direkt mit dem Studium beginnen», sagt Stern. In diese Richtung zielt das Praxisintegrierte Studium PiBS, ein Pilotprojekt, an dem die ZHAW beteiligt ist. Es ermöglicht Gymnasiasten den Zugang zur FH, wenn sie einen vierjährigen Ausbildungsvertrag mit einem Unternehmen vorweisen können. «Davon erhoffen wir uns viel», sagt Olaf Stern. Denn die ZHAW wachse aktuell hauptsächlich durch Gymnasiasten und Quereinsteiger. «Ein ähnliches Programm sollte es deshalb auch für Quereinsteiger geben», sagt Stern.