Recht auf Vergessen
17.11.2014, 13:47 Uhr
Zensur oder Hype?
Nach dem Google-Urteil des Europäischen Gerichtshof wird das «Recht auf Vergessen» heftig diskutiert. Bedeutet der Richterspruch Zensur oder nur eine minime Beeinträchtigung der Suchfunktion?
Die Frage wurde dieser Tage im Rahmen der 13. «UPC Cablecom Lecture», die vom Europa-Institut an der Universität Zürich ausgetragen wurde, in einer Podiumsdiskussion debattiert. Was der Urteilsspruch des Europischen Gerichtshof (EuGH) von Mitte Mai des Jahres für Google bedeutet, erklärte Daniel Schönberger, der bei Google Schweiz die Rechtsabteilung für Österreich und die Schweiz leitet. Man habe gut 4700 Gesuche aus der Schweiz erhalten, berichtet Schönberger. Allerdings würden weniger als die Hälfte der vorgeschlagenen Suchergebnisse schlussendlich gelöscht. So verzichte man unter anderem auf eine Löschung, wenn es sich um eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens handle. Auch die Seriosität der Nachrichtenquelle werde in den Entscheidungsprozess mit einbezogen, so Schönberger.
Google betritt in der Umsetzung des Urteils Neuland und ist laut Schönberger daran, entsprechendes Wissen aufzubauen. So rufe man einen Expertenbeirat, einen Advisory Council, ins Leben, mit dessen Hilfe die Gesuche künftig erledigt werden sollen. Wie Google die Fälle derzeit handhabt, erhielt denn von Seiten der weiteren Podiumsteilnehmer kaum Kritik, ja sogar dezentes Lob. Der Eidgenössische Datenschutz und Öffentlichkeitsbeauftragte (Edöb) Hanspeter Thür stellte allerdings die Frage, ob die Entscheide über die Löschung von Suchergebnissen Google überlassen werden solle oder ob es nicht besser wäre, eine andere Institution oder Instanz damit zu betrauen. Thür will daher derzeit nur beobachten, wie Google die Fälle handhabt. «Lassen wir Google üben und Erfahrungen machen», postuliert der Edöb deshalb während der Veranstaltung. Nächste Seite: Fallbeispiel NZZ
Fallbeispiel aus NZZ-Online
Was ein solches Löschbegehren konkret bedeutet, zeigte sodann Hanspeter Kellermüller, Rechsanwalt und Generalsekretär bei der NZZ-Mediengruppe, auf. Aus den Suchergebnissen von Google entfernt wurde demnach ein 11 Jahre alter Online-Artikel, bei dem es um die Schliessung eines Pornosenders ging, der sein Signal verschlüsselt via Eurosport verbreitet. In dem Artikel, der von einer Nachrichtenagentur stammte, wurde der damalige Geschäftsführer zitiert. «Leider teilt Google nicht mit, wer das Gesuch gestellt hat. Aber da nur eine Person in dem Artikel genannt wird, darf man seine Schlüsse ziehen», so Kellermüller.
Der NZZ-Vertreter betonte sodann, dass die Nachricht nach wie vor auf der Online-Seite der Zeitung zu finden sei. Auch wenn man nach dem Titel des Berichts google, finde man die Seite ebenfalls. Damit relativiere sich das EuGH-Urteil. Es schränke nur die schnelle Erreichbarkeit von gewissen Informationen ein. «Es handelt sich somit eher um ein Recht auf erschwertes Finden, denn um ein Recht auf Vergessen», lautet die Schlussfolgerung von Kellermüller. Nächste Seite: Es droht Selbstzensur
Schere im Kopf?
Wesentlich kritischer sieht Andreas Glaser, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Universität Zürich, die Auswirkungen des EuGH-Urteils. Der EuGH gehe von einem Grundsatz des Rechts auf Vergessen aus. «Dies würde ich für eine demokratische Gesellschaft als gefährlich ansehen», meint Glaser und stellt die Frage, wem dieses Recht tatsächlich nütze. «Man soll nicht unterschätzen, was für einen Einschüchterungseffekt dieser Grundsatz auf ein Recht auf Vergessen haben kann», meint der Uni-Professor weiter und spricht von einer Zensur-Schere von jenen, die Informationen ins Netz stellen.
Dass das Recht auf Vergessen bereits eigenartige Blüten treibe und in Anbetracht der Unkenntnis vieler über die Materie von Politikern gnadenlos ausgenutzt werde, konnte Glaser am Beispiel eines krzlich verffentlichten Interviews auf der Homepage des Schweizerischen Radios und Fernsehens (SRF) darlegen. Darin nimmt die Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen zu den Vorwürfen Stellung, sie habe mit Tricks ihre Steuerrechnung optimiert. Auf die Frage nach früheren Verfehlungen im Rahmen einer Mieterverbands-Affäre, verweigert die Nationalrätin die Beantwortung und macht explizit das «Recht auf Vergessen» geltend. Das Beispiel sei ein «Warnsignal», so Glaser. «Es besteht die Gefahr, dass wir eine Schere im Kopf fördern, dass die sogenannten schwarzen Balken bereits präventiv angebracht werden», meint er. Die Folge sei, dass dies negative Auswirkungen auf die demokratische Meinungsbildung haben könnte. Nächste Seite: Übertriebene Kassandrarufe
Thür: Übertriebene Kassandra-Rufe
Die Bedenken, die Glaser und andere Kritiker des EuGH-Urteils vorbringen, sind dagegen für Thür zu überspitzt. «Beim Urteil geht es nur um die Erschwerung des Zugangs zur Information», meint er. Antragsteller könnten somit lediglich verhindern, dass es zufällige Korrelationen in den Suchergebnissen gebe.
Die Löschung der Ergebnisse seien dabei nur eine Erschwerung für denjenigen, der vergleichsweise ziellos suche und einfach einen Namen in Google eingebe. «Wer aber gezielt nach einem Artikel sucht, der findet die Informationen weiterhin, denn die Inhalte bleiben, wo sie sind», folgert er. «Ich finde daher diese Kassandra-Rufe für übertrieben», so Thür weiter. «Schlussendlich diskutieren wir über Fälle, die noch nicht zu Ende gedacht sind», moniert der Edöb folglich.