Software flexibilisiert Managed WANs

Im Gespräch mit Henning Dransfeld von der ISG

Dr. Henning Dransfeld: Principal Advisor bei der Information Service Group (ISG)
Quelle: ISG
Henning Dransfeld, Principal Advisor bei der Information Services Group (ISG), erklärt, wie SD-WAN den Markt verändern wird und warum Unternehmen auch weiterhin auf Managed WAN setzen werden.
Computerworld: In Ihrer Provider-Lens-Studie «Network - Software Defined Solutions & Services Germany 2019» haben Sie unter anderem die Entwicklung des deutschen Managed-WAN-Markts untersucht. Wie verändert sich das Angebot?
Henning Dransfeld: Bis vor wenigen Jahren boten die grossen Carrier fast ausschliesslich Managed-WAN-Services auf Basis von MPLS (Multiprotocol Label Switching) an. Das hat sich deutlich geändert. Es gibt kaum noch ein Managed-WAN-Portfolio ohne Software-defined-Networking-Komponente. 
Computerworld: Und was sind die Ursachen für diese Ver­änderung?
Dransfeld: Einer der Hauptgründe ist die zunehmende Mobilität der Mitarbeiter. MPLS ist im Grunde darauf optimiert, Standorte miteinander zu vernetzen. Das hat funktioniert, solange sich die Arbeitnehmer auch hauptsächlich in den Niederlassungen befanden. Je mobiler sie aber sind, desto mehr Zugänge zum MPLS-Netz müssen eingerichtet werden. Das ist teuer und komplex. Hinzu kommt die wesentlich veränderte Nutzung von Firmennetzen. MPLS ist für die sichere und effiziente Übertragung geschäftskritischer Daten ausgelegt. Für Social Media, Web­surfing sowie Audio- und Videokonferenzen von ausserhalb der Unternehmensstandorte ist es viel zu teuer. Diese Daten machen aber heute einen stark zunehmenden Anteil am Gesamt­volumen aus.
Computerworld: Welche Vorteile bringt ein Software-defined WAN (SD-WAN) im Vergleich zu MPLS?
Dransfeld: Software-definierte Netze verlagern die Intelligenz aus den Routern in eine zentrale Steuerungsumgebung. Dadurch wird die Verwaltung der Netzwerkressourcen, aber auch die Anbindung mobiler Mitarbeiter sehr viel einfacher und kostengünstiger. Darüber hinaus spielt SD-WAN im Cloud-Computing eine wichtige Rolle. Bisher war das Netzwerk die am wenigsten flexible Komponente. Während sich Server und Speicher in der Cloud schnell und bedarfsgerecht auf- und auch wieder abbauen lassen, liess sich die Bandbreite nur begrenzt und vergleichsweise langsam skalieren. Mit SD-WAN kann dagegen auch das Netzwerk problemlos an die aktuellen Anforderungen angepasst werden. So lässt sich etwa für ein Event Bandbreite zu- und nach der Veranstaltung auch wieder abschalten.
Computerworld: Wie bewerten Managed-WAN-Provider diese Entwicklung? Bricht dadurch nicht ein erheblicher Teil der Umsätze weg?
Dransfeld: Die Provider treiben das Thema SD-WAN nicht so proaktiv voran wie sie könnten, um ihr grosses Bestandsgeschäft mit MPLS nicht zu gefährden. Ich erwarte aber eine ähnliche Dynamik wie beim Übergang von Frame Relay zu MPLS. Neue Technologien werden vor allem von den Herstellern in den Markt gepuscht. Sie gehen ganz aktiv auf die Unternehmen zu und versuchen sie als Direktkunden zu gewinnen. Das setzt wiederum die Provider unter Zugzwang.
Computerworld: Ist die eigene Verwaltung eines Weitverkehrsnetzes eine realistische Alternative zu einem Managed-WAN-Service?
Dransfeld: Wenn man den Herstellern von SD-WAN-Technologie glaubt, dann scheint das tatsächlich eine Alternative zu sein. Es ist aber ein grosser Schritt, sämtliche Managed-WAN-Services zu kündigen und die komplette Organisation selbst zu übernehmen. Dazu brauchen Unternehmen eine eigene Telekommunikationsabteilung, die jedoch meist nicht oder nicht mehr vorhanden ist. Darüber hinaus gibt es ausserhalb der IT keine Motivation, das Netzwerkmanagement ins eigene Haus zu holen. Das ist einfach keine strategische Aufgabe. Ich glaube daher, dass es auch weiterhin einen Bedarf an Managed-WAN geben wird, nur mit sehr viel mehr Flexibilität gekoppelt. Das Markt­volumen wird aber langfristig schrumpfen, weil sich die hohen Umsätze, die mit MPLS erzielt wurden, nicht halten lassen.
Computerworld: Was sollten Unternehmen derzeit tun?
Dransfeld: Es ist durchaus naheliegend, den aktuellen Pro­vider auf sein SD-WAN-Portfolio anzusprechen oder die Managed-WAN-Ser­vices unter diesem Aspekt neu auszuschreiben. Wichtig ist hierbei die Erstellung eines Business Cases, um Kosten und Vorzüge gründlich abzuwägen.
Computerworld: Werden Managed-WAN-Services durch SD-WAN preisgünstiger werden?
Dransfeld: Das ist eine gute Frage. Auf jeden Fall werden mittelfristig die Preise für SD-WAN-Lösungen sinken. Aktuell kämpfen die Hersteller noch nicht um Marktanteile, dazu ist die Nachfrage zu gross. Sobald hier eine gewisse Sättigung eintritt, wird sich das auch auf die Preise auswirken. Was die Service-Provider angeht, sind diese derzeit noch zu sehr damit beschäftigt, ihre bestehenden Umsätze zu schützen, und da wo es nötig ist, eine Migration auf Software-basierte Netze umzusetzen. Aber es braucht nur ein, zwei Provider, die mit aggressiven Preisen in den Markt gehen, dann müssen die anderen mitziehen. Bei MPLS war die Entwicklung ganz ähnlich.
Computerworld: Machen denn die etablierten Provider auch bei SD-WAN das Rennen unter sich aus oder gibt es Potenzial für neue Dienstleister?
Dransfeld: Dass völlig neue Player in den Markt kommen, ist eher unwahrscheinlich. Der ein oder andere Integrator könnte aber zukünftig eine grössere Rolle spielen. 
Computerworld: Sind Kunden auf Gedeih und Verderb an ihren Managed-WAN-Service-Provider gebunden oder ist ein Wechsel zu einem attraktiveren Angebot mit SD-WAN-Komponenten durchaus realistisch?
Dransfeld: Die Vertragsbindung ist schon mit MPLS wesentlich flexibler und offener geworden. Bei Vertragslaufzeiten von zwei bis drei Jahren ist ein relativ schneller Provider-Wechsel absolut machbar.
Computerworld: Sollten Unternehmen so schnell wie möglich auf SD-WAN umsteigen?
Dransfeld: Das kommt auf die Motivation an. Geht es in erster Linie darum, Kosten zu sparen? Oder soll das Netz vor allem flexibler werden? Auf jeden Fall sollte man sich alle Standorte genau ansehen. Für eine Campus-Umgebung oder eine Produktionsanlage ist MPLS sicher auch zukünftig die richtige Anschlusstechnik. Spielen dagegen Cloud- oder Edge-Computing eine wichtige Rolle, hat SD-WAN deutliche Vorteile. Hier sollte man sich externe Beratung von einem Integrator oder vielleicht auch einem Wettbewerber des derzeitigen Managed-WAN-Pro­viders holen.
Computerworld:  Worauf sollten Unternehmen bei der Wahl eines Managed-WAN-Providers vor allem achten?
Dransfeld: Im SD-WAN-Bereich sollten sie sich die Zertifizierungen der Provider für die Technologien verschiedener Hersteller ansehen. Der Markt ist noch sehr dynamisch und die Anbieter konkurrieren stark über Innovationen und neue Features. Je mehr Hersteller ein Dienstleister im Portfolio hat, desto grösser ist die Chance, dass er die neuesten und besten Funktionen zur Verfügung stellen kann. Ein wichtiges Kriterium ist natürlich die Qualität der Services und die Historie des Providers. Hat er in der Vergangenheit bewiesen, dass er eine Infrastruktur professionell betreiben und im Störungsfall sehr schnell reagieren kann? Je internationaler ein Unternehmen aufgestellt ist, desto wichtiger ist auch die globale Reichweite des Providers.
Computerworld: Spielen Branchenkenntnisse bei der Entscheidung für oder gegen einen Provider eine Rolle?
Dransfeld: Eher weniger, bei Netzwerken sind die vertikalen Unterschiede nicht so gross. Das zeigen auch die wenig erfolgreichen Versuche, branchenspezifische Infrastrukturen aufzubauen, etwa das Automotive Network Exchange ANX in der Automobilbranche oder Radianz für die Finanzwelt. Auf der funktionalen Ebene kann es dagegen durchaus interessant sein, zu differenzieren. Wenn ein Unternehmen beispielsweise für Events sehr flexibel und schnell grosse Kapazitäten an wechselnden Standorten benötigt, sind die Anforderungen an den Provider ganz andere, als wenn 400 weltweit verteilte Lokationen vernetzt werden sollen.



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