Echtzeit-Beobachtung von kollektiven Quantenmoden
Sombrero im Quantensimulator
Dazu konstruierten die Physiker einen Quantensimulator – ein Laborsystem also, in dem Quantenphänomene in Reinkultur und unter kontrollierten Bedingungen studiert werden können. Der Quantensimulator der ETH-Forscher besteht aus extrem kalten Rubidiumatomen, die mehreren Lichtwellen ausgesetzt werden.
Mit Hilfe zweier optischer Resonatoren wird eine Kopplung zwischen den Atomen und den Lichtwellen erzeugt, die dazu führt, dass die Form der potentiellen Energie der Rubidiumatome einer drehsymmetrischen Salatschüssel ähnelt. Die Koordinaten der Energie-Oberfläche entsprechen dabei der Stärke des Lichts in den beiden Resonatoren.
Mittels eines Laserstrahls, der ein so genanntes optisches Gitter erzeugt, kann diese Salatschüssel-Oberfläche nun so verändert werden, dass sie oberhalb einer kritischen Stärke des Laserstrahls einem mexikanischen Sombrero mit einer Ausbuchtung in der Mitte gleicht.
In dieser Situation kommt es, wie beim zylinderförmigen Stab, zu einer spontanen Symmetriebrechung: So, wie der Stab bei zunehmender Kraft plötzlich zufällig in eine Raumrichtung einknickt, so suchen sich in Esslingers Experiment die Atome, die zunächst in der Mitte der Salatschüssel lagen, im Sombrero alle gemeinsam ein neues Energie-Minimum. Dieses kann irgendwo in der Rinne des Sombreros liegen, denn jeder Punkt entlang der Rinne hat dieselbe Energie.
Das bedeutet aber auch, dass sich die Atome (energetisch gesehen) kollektiv entlang der Rinne ohne Energieaufwand verschieben lassen, was der sogenannten Goldstone-Mode entspricht. Will man sie dagegen radial anstossen – von der Mitte des Sombreros weg, oder zu ihr hin – so muss man dazu die für diese Higgs-Mode nötige potentielle Energie aufbringen. Vergleichen lässt sich das wiederum mit einem geknickten Stab, den man zwar leicht drehen, aber nur schwer weiter verbiegen kann.
Moden-Messung in Echtzeit
«Normalerweise weist man die Goldstone- und Higgs-Moden indirekt über diese benötigte Energie nach», sagt Andrea Morales, der ebenfalls als Doktorand an dem Experiment beteiligt war, «doch wir konnten nun auch in Echtzeit studieren, wie sich diese Moden verhalten, wenn man das System stört.» Dazu schickten die Forscher einen kurzen Laserpuls in einen der optischen Resonatoren und massen dann als Funktion der Zeit die Lichtstärken in beiden Resonatoren, aus denen sich die Position der Atome im Energie-Sombrero berechnen liess. Wie erwartet änderte sich nach Anregung einer Goldstone-Mode nur die Winkelkoordinate entlang der Rinne, wogegen bei der Higgs-Mode die radiale Position variierte.
Für Tilman Esslinger ist diese direkte Beobachtung eines wichtigen und weitverbreiteten, aber bislang nur indirekt beobachtbaren Vielteilchen-Phänomens, eine der wesentlichen Stärken des Quantensimulators: «Wir haben in diesen synthetischen Quantensystemen eine ziemlich ideale Realisierung dessen, was auch in der Natur vorkommt – in Festkörpern oder auch in einzelnen Molekülen. Die direkte Beobachtung der Dynamik der Goldstone- und Higgs-Moden im Quantensimulator vertieft unser Verständnis dessen, was in solchen natürlichen Systemen passiert.»