Gastbeitrag 21.05.2018, 08:30 Uhr

Luft nach oben

Wie gut ist die Schweiz aufgestellt bei der Anwendung digitaler Innovationen? Eine Studie von Deloitte und dem BAK Economics zeigt die Stärken und Schwächen der heimischen Wirtschaft bei der digitalen Transformation.
Unsere Gesellschaft und unsere Arbeit werden immer stärker von der Digitalisierung geprägt. Eine weitere Entwicklung gibt es beim Produktivitätswachstum in den Industrieländern. Dieses nahm über die letzten Jahre stetig ab, auch in der Schweiz. Die jüngsten Entwicklungen im Bereich digitaler Technologien werden daher vor allem für Konsumgüter und Dienstleistungen genutzt. In der Wirtschaft liegt beträchtliches unerschlossenes Potenzial in der Anwendung digitaler Technologien. Und genau die Nutzung dieses Potenzials ist der Schlüssel für künftiges Produktivitätswachstum.

Die Fähigkeit zur digitalen Innovation

Deloitte und BAK Economics entwickelten deshalb den Index für digitale Innovationsfähigkeit. Dieser misst, wie stark verschiedene Länder in Zukunft von digitaler Innovation profitieren und sie vorantreiben. Die Fähigkeit, digital innovativ zu sein, basiert auf drei Stützen: Talente, Startups sowie Investitionen und Patente.
  1. Die erste Stütze der digitalen Innovation ist die Verfügbarkeit von Talenten in einer Volkswirtschaft. Die digitalen Technologien können ohne eine bestimmte Anzahl – eine kritische Masse – an hochqualifizierten ITExperten weder entwickelt noch effektiv eingesetzt werden. Dabei ist nicht nur die aktuelle Anzahl an Talenten ausschlaggebend, sondern auch das für die nächsten Jahre zu erwartende Niveau und die jeweiligen Spezialisierungen der Experten. Das Bildungssystem sowie die Attraktivität eines Landes spielen hier eine wichtige Rolle.
  2. Die zweite Stütze des Index sind Start-ups. Entscheidend sind die unternehmerische Aktivität eines Landes und dessen generelle Affinität zum Unternehmertum. Zudem entfällt der Löwenanteil der digitalen Innovation auf Start-ups. Unternehmertum ist also der wichtigste Treiber, digitale Lösungen zu entwickeln und zu vermarkten.
  3. Als dritte Stütze untersucht der Index die Investitionen in Innovation – einmal in Form von Kapitalinvestitionen und einmal in Form von Investitionen in digitales Wissenskapital, hier gemessen an den Patenten. Investitionen in digitale Technologien und Patente sind Schlüsselfaktoren, die es einem Land ermöglichen, im Innovationswettbewerb zu bestehen. Sie sind auch entscheidend für die Frage, ob es gelingt, das Potenzial digitaler Technologien voll auszuschöpfen und so die Produktivität zu steigern.

Gut, aber nicht gut genug?

Insgesamt misst der Index für digitale Innovationsfähigkeit neue Innovationsmodelle in einer Volkswirtschaft. Hochqualifizierte Talente und Humankapital sind die Voraussetzungen für digitale Innovationen. Start-ups bringen neue Ideen und Trends in den Markt ein oder stellen sie grossen Unternehmen zur Verfügung. Investitionen und Patente schliesslich sorgen dafür, dass Innovationen im Markt wettbewerbsfähig sind und ihr Potenzial voll ausgeschöpft wird. Diese drei Aspekte sind miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig.
Die Schweiz liegt auf Rang 8 von 35 gemessenen OECDLändern (vgl. Tabelle Seite 61). Anders gesagt: Die Schweiz schneidet überdurchschnittlich ab, es besteht aber noch relativ viel Luft nach oben. Vor allem der Rückstand auf die erstplatzierten USA ist gross. Damit zeigen die Resultate ein etwas anderes Bild als die bekannten und viel zitierten Innovations- und Wettbewerbs-Rankings, bei denen die Schweiz seit Jahren an der Spitze liegt.

Talente sind die Stärke der Schweiz

Die Schweiz liegt bei den Talenten knapp hinter den USA und zählt deshalb zu den Spitzenreitern. Mit ihrem exzellenten Bildungssystem, den Universitäten von Weltrang und der Attraktivität für ausländische Arbeitskräfte liegt sie an zweiter Stelle unter den OECD-Ländern. Allerdings würden der Schweiz mehr Absolventen von MINT-Ausbildungen (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und die Vermittlung digitaler Kompetenzen schon in der Grundausbildung guttun.
Top-20-Rangliste der OECD-Länder und ihr Potenzial bei der Digitalisierung
Quelle: Deloitte, BAK Economics

Schwachpunkt Start-ups

Im Bereich der Start-ups schneidet die Schweiz hingegen mittelmässig ab – mit Rang 17 liegt sie genau im OECDDurchschnitt. Verursacht wurde das Resultat durch ein mangelndes Interesse an Unternehmensgründungen, den relativ schwachen Start-up-Aktivitäten und regulatorischen Hemmnissen – sowohl bei der Unternehmensgründung als auch bei der Insolvenz. Zu den positiven Faktoren zählen die starke digitale Infrastruktur des Landes und die internationale Ausrichtung der Start-ups.
Die Schweiz liegt auf dem 8. Rang bei Investitionen sowie Patenten und zählt diesbezüglich zu den Top 10 der OECD-Länder. Die ICT-Investitionen sind sehr hoch im Vergleich mit anderen Ländern. Dennoch schafft der ICT-Sektor nur wenig Mehrwert. Die Anzahl der digitalen Patente pro Kopf ist auch für OECD-Standards relativ hoch, allerdings sind diese Patente noch nicht ausreichend weit in andere Technologiesegmente vorgedrungen.

Auf dem Weg zum zukünftigen Erfolg

Die Schweiz ist gut aufgestellt, um zukünftige digitale Innovationen zu nutzen und voranzutreiben. Sie hat aber auch Potenzial für Verbesserungen. Ganz oben auf der Agenda sollte stehen, das Unternehmertum generell attraktiver zu gestalten. Beispielsweise gilt es, bürokratische Hürden für Unternehmensgründer abzubauen und die Zahl der Absolventen technischer Fächer zu erhöhen.
Da sich der staatliche Handlungsspielraum vor allem auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die digitale Innovation beschränkt, spielen die Unternehmen eine wichtige Rolle. Sie haben einen  entscheidenden Einfluss auf die effektive Nutzung digitaler Technologien. Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen einige kritische Erfolgsfaktoren berücksichtigen:
  • Entwicklung einer klaren und kohärenten digitalen Strategie für das gesamte Unternehmen
  • Förderung der digitalen Kompetenz der Mitarbeitenden für die Talententwicklung
  • Entwicklung von Experimentierfreude, Kooperation und Risikobereitschaft im Rahmen der Unternehmenskultur
  • Einbettung digitaler Kompetenzen auf Managementebene als Teil der Unternehmensführung
Zudem könnte die Schweiz von einem höheren Grad an Zusammenarbeit und Wissensaustausch profitieren. Eine stärkere Vernetzung, etwa eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen dem Bildungs- und dem Privatsektor sowie zwischen Unternehmensverbänden und Regierungsstellen, würde die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Auch müssen der Wissenstransfer gestärkt und Patente besser verwertet werden. Die Schweiz muss sich auf ihre Stärken konzentrieren, um das Produktivitätswachstum zu steigern und um den gemeinsamen Erfolg zu sichern.
Die Autoren
Michael Grampp ist Chefökonom bei Deloitte Schweiz in Zürich.

Dennis Brandes ist Ökonom bei Deloitte Schweiz in Zürich.

Luc Zobrist ist Ökonom bei Deloitte Schweiz in Zürich.


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