07.02.2011, 06:00 Uhr
Cloud-Zukunft
Marktbeobachter sagen der Cloud für die nächsten Jahre eine Konsolidierungswelle voraus. Wem gehört die Wolke, und welche neuen Angebote gehen demnächst in der Schweiz an den Start?
Vier «echte» Cloud-Provider teilen zurzeit die Public Cloud unter sich auf: Amazon, Google, Microsoft und Salesforce. Zu den echten Cloud-Akteuren zählt Experton jene Anbieter, die ihre Dienste ohne Zugangsbeschränkung über das Internet offerieren. Die Unternehmensberatung platziert die vier Unternehmen dementsprechend im Leader-Quadranten seines «Public Cloud»-Bewertungsquadrats. Amazon habe, so Experton, aufgrund seines grossen Erfahrungsvorsprungs einen Spitzenplatz verdient. Microsoft schloss in kurzer Zeit zu Amazon auf und nutzt seine Marktpräsenz offensiv aus. Firmenchef Steve Ballmer hat sein Unternehmen klar auf eine Cloud-Strategie festgelegt. Dem CRM-Pionier Salesforce, seit über zehn Jahren auf dem Markt, stellen die Marktforscher insgesamt ein gutes Zeugnis aus.
Business-Apps für die Cloud
Business-Applikationen wie CRM (43,7 Prozent), Rechen- und Speicherkapazität (40 resp. 33,7 Prozent) stehen in der Gunst der Anwender ganz weit oben, ergab eine Umfrage unserer Schwesterzeitschrift Computerwoche unter 151 Unternehmen. Nicht verwunderlich also, dass Anbieter wie Salesforce und Microsoft (Dynamics CRM) mit beinharten Bandagen um Marktanteile kämpfen. Anfang Dezember vergangenen Jahres, kurz bevor Salesforce seine alljährliche Hausmesse Dreamforce eröffnete, brach Redmond eine aggressive Abwerbekampagne vom Zaun und bot jedem Salesforce-CRM-Kunden 200 US-Dollar, der bereit war, zu Microsoft Dynamics CRM zu wechseln. Die Antwort von Salesforce liess nicht lange auf sich warten: Die Botschaft von Microsoft laute doch, wir sind zwar schlechter, aber preiswerter, sagte Peter Coffee, Director Platform Research bei Salesforce, im Gespräch mit Computerworld.
Salesforce gegen Microsoft
Eins zeigen die Scharmützel deutlich: Cloud-Anbieter schätzen das Marktpotenzial von Business-Apps «as a Service» als sehr hoch ein, und rüsten auf. In der Schweiz bietet Microsoft seine Software zur Kundenpflege, Dynamics CRM 2011, ab 17. Januar auch online an. Die Lösung soll innerhalb weniger Minuten beim Kunden einsatzbereit sein. Das Angebot umfasst auch eine kostenlose Probezeit von 30 Tagen. Als besondere Pluspunkte streicht Microsoft die enge Integration in Outlook, die Anbindung von SharePoint, individuelle Dashboards und eine Office-ähnliche Benutzeroberfläche heraus. Ausserdem soll es Branchenlösungen etwa für die öffentliche Hand (Bürgerverwaltung), Logistikunternehmen (Flottenverwaltung) und das Gebäudemanagement geben.
Konkurrent Salesforce machte Ende des vergangenen Jahres in San Francisco durch einige spektakuläre Neuankündigungen von sich reden. CEO Marc Benioff stellte für Anfang diesen Jahres eine für hohe Lasten ausgelegte Datenbank «as a Service» in Aussicht, die neben ETL-Tools (Extract, Transform, Load) für den Import von Fremddaten auch Entwickler-Toolkits für Googles AppEngine, Microsoft SQL Azure, Amazon Web Services, Facebook und Twitter enthalten soll. An Programmiersprachen unterstützt das Salesforce-DBMS (Datenbank-Managementsystem) das plattformunabhängige Java, Microsoft .NET, Ruby und PHP. Das neue Angebot database.com sei besonders für die Entwicklung mobiler und sozialer Applikationen ausgelegt, betonte Salesforce-Director Coffee gegenüber Computerworld. Eine weitere Neuheit machte schnell die Runde: In Kooperation mit BMC soll in Kürze RemedyForce – eine Art IT-Lifecycle-Management aus der Cloud – an den Start gehen.
Salesforce gegen Microsoft, so verläuft eine der Frontlinien im Kampf um die Vorherrschaft in der Wolke. Und die Trümpfe sind (noch) relativ gleichmässig verteilt: Salesforce CRM, Database.com, VMForce und Chatter treten gegen Dynamics CRM, SQL Azure, Windows Azure und SharePoint an. Hier treffen zwei Welten aufeinander: Salesforce hält sich zugute, seine Businessangebote passgenau für die Wolke entwickelt zu haben, während Microsoft seine On-Premise-Lösungen mühsam auf Cloud trimmen müsse. Für die Kunden sind aber, vom Leistungsumfang abgesehen, zunächst ganz andere Überlegungen entscheidend.
Recht wichtiger als Technik
Da wären zunächst einmal der Standort des Rechenzentrums, in dem die Cloud-Services gehostet werden. Die Analysten von Experton votieren klar für lokale Niederlassungen. Weiterhin seien deutschsprachige Verträge, exakt definierte Service Level Agreements (SLAs) und ein Schweizer oder zumindest EU-Gerichtsstand von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Warum das so ist, erläutert der Schweizer Rechtsanwalt Oliver Staffelbach: «Nach Schweizer Recht dürfen grundsätzlich keine Personendaten von der Schweiz ins Ausland bekannt gegeben werden, wenn dies zu einer schwerwiegenden Gefährdung der Persönlichkeit der betroffenen Personen führt.» Die Gesetzgebung der EU-Staaten garantiert einen angemessenen Schutz der Daten, die der Vereinigten Staaten jedoch nicht. Zwar könnten, so räumt Staffelbach als Möglichkeit ein, gesetzgeberische Lücken durch vertragliche Garantien oder – im Falle US-amerikanischen Anbieter – durch Safe-Harbour-Registrierungen gestopft werden. Denkt man jedoch an den amerikanischen «Patriot Act», hilft auch das nicht wirklich weiter.
Schweizer Unternehmer, die den Gang in die Cloud planen, sehen sich daher mit einer paradoxen Situation konfrontiert. Einerseits leuchten ihnen die oft propagierten Vorteile der Cloud, zuoberst Kostenreduktion, schnelle Skalierbarkeit bei Lastspitzen und hohe Flexibilität, durchaus ein. Aber die Sorge um die Sicherheit ihrer Daten und die Zuverlässigkeit der Dienste raubt ihnen den Schlaf, besonders, wenn kernnahe Geschäftsapplikationen von der Auslagerung betroffen sind. Um Rechenzentren in der Schweiz, die den Bedenkenträgern auf einen Schlag die Argumentationsgrundlage entziehen würden, ist es jedoch bei den grossen Cloud-Anbietern derzeit noch schlecht bestellt. «Nicht geplant», antworten etwa Salesforce und Microsoft unisono.
Doch zum Glück gibt es Alternativen. Vier Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) haben die unterschiedlichen Software-Beschaffungsmodelle anhand eines realitätsnahen Reference Case durchgerechnet. Die Ergebnisse der Wissenschaftler sind deshalb so interessant, weil sie ohne Abstriche auf ein unternehmensinternes Rechenzentrum übertragbar sind, das seine IT-Dienstleistungen anderen Geschäfts-bereichen in Rechnung stellt (vgl. iX Special 2/2010, Cloud, Grid, Virtualisierung, S. 6ff).
Constantin Christmann, Jürgen Falkner, Dietmar Kopperger und Anette Weisbecker vom Fraunhofer IAO rechneten den fiktiven Mittelständler Guss GmbH durch, der seine lastintensive Simulations-Software G-Simul für zunächst 100 Arbeitsplätze bestehenden Kunden als Service anbieten will. Wie zunächst nicht anders zu erwarten – die Überraschung kommt später – reisst die Variante «Eigenes Rechenzentrum» das grösste Loch in die Firmenkasse. Die Inbetriebnahme (einmalige Investitionskosten) eines eigenen RZ kostet unter den veranschlagten Rahmenbedingungen gut 3,298 Millionen, die laufenden Kosten pro Jahr summieren sich auf 1,265 Millionen Euro. Trotzdem könne sich, so die Forscher, ein eigenes RZ durchaus lohnen, da sich die Investitionskosten auf eine geschätzte Nutzungsdauer von 15 Jahren verteilen.
Erfolgsvariante Co-Location
Preiswerter kommt die Beschaffungsvariante Co-Location, das heisst Unternehmen investieren zwar in Server und Netzwerkkomponenten, nutzen die RZ-Infrastruktur aber gemeinsam mit anderen. Die Ausgaben für die Netzwerkkomponenten liegen in der Regel zwischen 10 und 30 Prozent der Anschaffungskosten für Server-Hardware. Unter dieser Variante summieren sich die einmaligen Investitionskosten auf 1,918 Millionen, die laufenden Kosten pro Jahr auf 1,229 Millionen Euro.
Mit 227570 Euro Gesamtkosten pro Jahr erzielt die Cloud-Variante Infrastructure as a Service zwar die deutlichsten Preisvorteile. Zwei virtuelle Maschinen bringen etwa die Leistung eines physikalischen Servers. Die Abrechnung erfolgt pro Stunde. Das Überraschende: Lohnt sich das Abfangen von Leistungsspitzen durch eine stundengenaue Abrechnung nicht – wie bei ERP- und CRM-Systemen, deren Module kontinuierlich vorgehalten werden müssen – ist unterm Strich wieder die Co-Location-Variante günstiger. Ein starkes Argument für eine anbieterübergreifende Schweizer «Public Cloud». Über solche «konzertierte» Alternativkonzepte denkt übrigens auch das Informatikstrategieorgan des Bundes (ISB) gerade nach – mehr dazu im Interview unten.
Cloud Computing ist ein langfristiges Phänomen
Neue Liefermodelle werden die Bedenken in Sachen Cloud Computing verringern. Gartner-Analyst David Cearley über die grossen Cloud-Player und die Trends der nächsten Jahre.
CW: Welche Cloud-Trends erwarten Sie in den nächsten zwei bis drei Jahren?
Cearley: Bisher gibt es im Wesentlichen die Public Cloud, von der Anwender Services beziehen können und Private Clouds, in denen Anwenderunternehmen auch als interne Serviceprovider agieren, weil sie sich auch um Implementierung und Infrastruktur kümmern müssen. Künftig werden diese Modelle ergänzt, zum Beispiel durch Community Clouds, die nur bestimmten Gruppen den Zugang zu ihren Services erlauben, also eine Automobil-Cloud, eine Regierungs-Cloud, eine Pharma-Cloud und ähnliche. Solche Konzepte helfen, das Sicherheitsrisiko zu reduzieren – allerdings muss dafür die Community gross genug sein.
Eine andere Cloud-Art, die sich zurzeit entwickelt, ist die «Exklusive Ressource Cloud». Das Teilen von Ressourcen ist einer der grössten Cloud-Vorteile, bereitet gleichzeitig aber Probleme, weil die Trennung von Inhalten auf verschiedenen virtuellen Maschinen nicht immer hundertprozentig funktioniert. Das führt zu Sicherheitsrisiken. Deshalb rechnen wir damit, dass Clouds entstehen, auf die Anwender ebenfalls im Pay-as-you-go-Verfahren zugreifen können, die ihre skalierbaren Kapazitäten aber auf physischen Servern anbieten und nicht auf virtuellen.
Im vergangenen Jahr hat Gartner versucht, den Begriff Cloud Broker zu etablieren. Was hat es damit auf sich?
Wenn sich Cloud Computing weiterentwickelt, und Unternehmen Services von unterschiedlichen Providern nutzen, benötigen sie höchstwahrscheinlich Vermittler oder Makler. 2009 begannen Unternehmen, die Cloud zu entdecken, 2010 haben schon viele damit experimentiert, 2011 bis 2013 wird die Cloud ernsthaft eingesetzt. Dann werden Broker wichtig. Ihre Rolle wird der heutiger Integrationsdienstleister ähneln. Welche Anbieter sieht Gartner vorn?
Weil Cloud Computing verschiedenste Marktsegmente betrifft, ist das schwer zu sagen. Denken Sie nur an die verschiedenen Bereiche: Plattform, Infrastruktur und Software as a Services, Information as a Service oder komplette Business-Prozesse als Service. Dabei sind noch gar keine Anbieter berücksichtigt, die selbst keine Cloud-Provider sind, aber die notwendigen Technologien dazu liefern.
Wenn wir jedoch über Cloud-Provider generell reden, dann gibt es starke Anbieter, die aus der Welt des Web in die Cloud drängen und solche, die aus der Enterprise-IT stammen. Nehmen Sie Amazon. Wir gehen davon aus, dass dieser Anbieter eine wichtige Kraft im Bereich Infrastructure as a Service bleibt, in Sachen Plattform oder Software as a Service sind sie dagegen eher schwach. In diesen beiden Bereichen sehen wir beispielsweise Saleforce.com als starke Kraft. Microsoft ist ebenfalls dabei, in diesem Segment wichtig zu werden. Sie bieten mit Azure Platform Infrastructure und Platform as a Service. Deshalb sehen wir Microsoft langfristig in einer stärkeren Position als Amazon.
Geht Microsoft mit dem Schwenk zu Cloud Computing ein Risiko ein?
Microsoft riskiert viel: Wenn die Rechnung nicht aufgeht und sich Cloud Computing nicht zum dominanten Modell entwickeln sollte, dann machen sich die Investments in den Aufbau von Rechenzentren und Architekturen nicht bezahlt.
Das Interview führte Christoph Witte. Den kompletten Beitrag lesen Sie auf: www.computerwoche.de/management/cloud-computing/2358229/