Kundenmesse «reInvent»
09.12.2019, 11:36 Uhr
Amazon bringt Cloud ins Rechenzentrum
AWS hat auf seiner Kundenveranstaltung dutzende News veröffentlicht. Darüber hinaus gab es aber auch Einblicke in die Zukunft der IT, beispielsweise eine Cloud als Supercomputer.
Zum achten Mal veranstaltete Amazons Web Services, kurz AWS, seine Kundenmesse «reInvent» in Las Vegas. Rund 65'000 Cloud-Enthusiasten pilgerten in diesem Jahr in die Wüstenstadt, um in über 3000 Sessions das Neueste über Cloud Computing und die aktuellen AWS-Angebote zu erfahren. Die Eröffnungskeynote begann AWS-CEO Andy Jassy mit imposanten Markt- und Umsatzzahlen. So wächst AWS derzeit jährlich um rund 35 Prozent, und da ist noch lange kein Ende in Sicht. «Cloud Computing macht derzeit nur drei Prozent des gesamten weltweiten IT-Umsatzes aus, da ist also noch viel Luft nach oben», war sein Hinweis auf das weitere Wachstumspotenzial des Cloud-Geschäftes.
Innerhalb des Cloud-Segmentes «Infrastructure-as-a-Service» (IaaS) ist AWS weiterhin unangefochten die Nummer eins. So beträgt dessen Marktanteil inzwischen 47,8 Prozent. Die Verfolger Microsoft (15,5 Prozent), Alibaba (7,7 Prozent), Google (4,0 Prozent) und IBM (1,8 Prozent) haben alle zusammen nur etwas mehr als die Hälfte des AWS-Anteils.
Und so konnte sich Jassy in seiner Keynote ein paar Seitenhiebe auf die Konkurrenz nicht verkneifen. Während es in den vergangenen Jahren immer einen Schlagabtausch mit Oracle gab, so schoss Jassy in diesem Jahr gegen Microsoft. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass man gegen den an Microsoft vergebenen Zehn-Milliarden-Auftrag des Pentagons eine Klage eingereicht hat. Jassy sprach diesen Punkt zwar nicht an, wetterte aber gegen ein «proprietäres Windows» und über Microsofts Lizenzpolitik, wonach Kunden neuerdings ihre On-Premises-Lizenzen nicht mehr in die Cloud übertragen könnten. «Microsoft, Oracle und IBM sind altes Gerümpel», von dem sich die IT-Chefs schleunigst trennen sollten, lautete seine Empfehlung.
Schweiz geht in die Cloud
In der Schweiz gehen die Bedenken bezüglich der Nutzung von Public Cloud stetig zurück. So kündigte AWS unter anderem eine Kooperation mit Novartis an. Kernstück ist die Einrichtung von Cloud-basierten «Insight Centern», die Echtzeit-Transparenz über das gesamte Netzwerk von Fertigungsbetrieben und Vertriebszentren hinweg bieten.
Seitens AWS kommen hier die Dienste Analytics, Machine Learning (ML) und IoT zum Einsatz. Letzteres soll auch die visuelle Inspektion von Produktionsanlagen verbessern in dem dort fortlaufend Bilder generiert werden, die mithilfe von Computer-Vision-Algorithmen analysiert werden. So lassen sich Produktions- und Ausfallrisiken frühzeitig erkennen.
Matthias Imsand, CTO und Mitgründer des Schweizer AWS-Partners Amanox Solutions, ist mit seinem Unternehmen auf «die Begleitung von Unternehmen auf ihrem Weg in die Cloud» spezialisiert. In einem Gespräch mit der Computerworld bestätigte er die zunehmende Cloud-Akzeptanz in der Schweiz. «Wir sind jetzt seit fünf Jahren in diesem Geschäft. Anfangs war es schwer, aber heute kommen unsere Kunden aus allen Branchen und aus allen Grössenordnungen», sagte er. Als bedeutenden Hemmschuh bei der weiteren AWS-Adaption in der Schweiz sieht er die mangelnde Unterstützung von Amazon. «Eine eigene Zone würde viele Datenbedenken aus dem Weg räumen», lautet sein Wunsch an das AWS-Management.
AWS fürs eigene Rechenzentrum
Was die konkreten News anging, so gab es wieder ein ganzes Feuerwerk an neuen Features und Erweiterungen. Insgesamt betrafen die Meldungen in diesem Jahr 19 Segmente mit 37 Ankündigungen. Drei Stunden dauerte der entsprechende PowerPoint-Marathon in Jassys Keynote. Die wichtigsten Meldungen waren:
AWS will die Kunden-Rechenzentren erobern
Die On-Premises-Lösung Outposts ist ab sofort verfügbar, dabei handelt es sich um eine kleine AWS-Cloud im Rechenzentrum des Kunden. Diese wird von AWS installiert und betreut. Das bedeutet, dass alle AWS-Dienste auch On-Premises genutzt werden können. Outposts wurde bereits im vorigen Jahr angekündigt, aber laut Michael Hanisch, Head of Technology bei AWS Deutschland, wollte man das Konzept erst ausgiebig mit ausgewählten Kunden überprüfen, bevor man es auf breiter Front im Markt bereitstellt.
Schwerpunkt Analytics und KI/ML
Den Service SageMaker gibt es für die Entwicklung von ML-Anwendungen schon lange. Aber das Modul war sehr kompliziert zu bedienen. Jetzt hat AWS sechs Segmente hinzugefügt, womit es leichter sein soll, komplexe ML-Anwendungen zu erstellen. Herzstück davon ist SageMaker Studio, ein komplett integriertes Developer Kit für ML-Lösungen. Hinzu kommen noch die Module Notebook, Experiments, Autopilot und ein Debugger. Das alles ist ein aufeinander abgestimmter Satz an Entwicklungs- und Test-Tools, von denen es bei AWS heisst, dass nicht nur Datenwissenschaftler damit umgehen können.
AWS dringt in die 5G-Welt vor
AWS erreicht jetzt auch die Enden der Mobilfunknetze. Mit Wavelength lassen sich Anwendungen direkt an den äussersten Enden der neuen 5G-Netze einrichten. Das bedeutet hohe Bandbreite und geringe Latenz für mobile Endgeräte. Hans Vestberg, CEO von Verizon, sprach von einem neuen «Mobile Edge Computing» (MEC). AWS-Chef Jassy meinte ergänzend dazu: «Das bisherige Edge-Computing bekommt damit eine gänzlich neue Bedeutung.» Ausser Verizon sind bei MEC auch noch Vodafone, KDDI und SK Telecom mit an Bord.
Flaschenhals I/O-Ressourcen
Amazons CTO Werner Vogels adressierte in seiner Keynote viele technische Details der AWS-Dienste. Viel Raum nahm dabei die Virtualisierung ein. «Virtualisierung ist die Brot-und-Butter-Technologie jeder Cloud-Plattform», sagte er.
Anschliessend sprach er ein Problem an, dass man bei Amazon entdeckt habe: Die Root-I/O-Überlastung. Diese entsteht immer dann, wenn konkurrierende Betriebssysteme um dieselben I/O-Ressourcen wetteifern. «In solchen Fällen bildet sich ein gravierender Flaschenhals, der zu deutlichen Leistungseinbussen führt», sagte Vogels. Die Lösung besteht jetzt darin, dass AWS die Netzwerkfunktionen und EBS (Elastic Block Storage) auf separate Prozessoren ausgelagert hat.
Supercomputer und Quanten-Computing
Neben den vielen Produkt- und Service-Ankündigungen gab es auch übergeordnete Gedankenspiele über die Zukunft der IT als Ganzes. So sprach Peter DeSantis, Vice President AWS Global Infrastructure, davon, dass man die Cloud auch wie einen riesigen Supercomputer betrachten kann. «Die Architektur moderner Supercomputer besteht aus vielen zusammenhängenden Servern», sagte er. Komplexe Probleme werden dabei in viele kleine Einzelaufgaben aufgebrochen und auf die Server verteilt. Am Ende wird dann alles zu einem Gesamtergebnis zusammengeführt. Und genau das liesse sich auch mit den vielen Rechenzentren der AWS-Cloud erledigen. Die Probleme einer solchen Lösung seien bislang eine entsprechende Managementebene, die erforderliche hohe Bandbreite sowie die geringe Latenz bei der Verbindung der einzelnen Rechenzentren.
Auch in einem anderen Punkt ging es um IT-Zukunftsmusik. Nach IBM und Google will Amazon jetzt auch im Bereich Quanten-Computing aktiv werden. Unter dem Namen Amazon Braket wurde ein Service angekündigt, bei dem die AWS-Kunden ihre Quantenalgorithmen auf entsprechenden Quantencomputern von D-Wave, IonQ und Rigetti ausführen können. Um diese Technologien weiter auszubauen, will Amazon ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum aufbauen.