Digitale Arbeitswelt
02.02.2018, 16:59 Uhr
Vieles anders und doch gleich?
Die technologischen Möglichkeiten werden von Schweizer Unternehmen weniger genutzt und ihre Arbeitsformen sind traditioneller als allgemeinhin angenommen, erklärt Gudela Grote.
Airbnb, Uber und Bitcoins beruhen auf Geschäftsmodellen, welche die traditionellen Dienstleistungsunternehmen das Fürchten lehren. 3D-Druck und batteriebetriebene Autos bringen die klassische Fertigungsindustrie durcheinander. Zudem werden immer mehr Arbeitsprozesse automatisiert und auf lange Sicht ganze Berufsfelder überflüssig. Entsprechend ist die Verunsicherung gross, auf den Chefetagen wie auch beim einzelnen Beschäftigten.
Wo stehen wir aber tatsächlich in dieser Entwicklung? Wieviel Veränderung ist schon passiert und was muss noch passieren, damit die Schweizer Wirtschaft die Möglichkeiten der Digitalisierung ausschöpfen und den von der OECD kürzlich diagnostizierten Produktivitätsverlust auffangen kann? Welche Folgen ergeben sich daraus für Entscheidungsträger und Arbeitsnehmende?
In der Schweiz sind neuste Technologien noch wenig genutzt
In der ersten repräsentativen Erhebung zur Digitalisierung bei Unternehmen in der Schweiz (vgl. Kasten auf der nächsten Seite) zeigt sich, dass die neusten technologischen Möglichkeiten wie zum Beispiel das «Internet of Things» noch wenig genutzt werden und die Investitionen in die Digitalisierung, gemessen an den gesamten Bruttoinvestitionen, mit einem Anteil von 22 Prozent in den Jahren 2003 bis 2005 und 16 Prozent 2013 bis 2015 sogar rückläufig sind. Auch die Arbeitsformen sind eher traditionell: 70 Prozent der befragten Unternehmen melden, dass sie kein mobiles Arbeiten ermöglichen und 52 Prozent erlauben kein Arbeiten im Home Office. Selbst Arbeit im Team gibt es in 27 Prozent der Unternehmen nicht und Entscheidungen werden in mehr als 80 Prozent der Unternehmen grösstenteils nicht an die Mitarbeitenden delegiert.
Innerbetriebliche Ziele statt Marktvorteil
Doch nicht überall zeigt sich das gleiche Bild: Vor allem Grossunternehmen im modernen Dienstleistungssektor und in der Hightech-Industrie sind fortschrittlicher, was digitale Technologien angeht. Diese Unternehmen nutzen auch häufiger agile Formen der Arbeitsorganisation mit flacheren Hierarchien, mobil-flexiblem Arbeiten und dezentralen Entscheidungskompetenzen. Aber auch diese Unternehmen verfolgen mit der Digitalisierung vor allem eng gefasste innerbetriebliche und effizienzorientierte Ziele statt – wie man vermuten könnte – eine bessere Positionierung im Markt. Die gesetzten Ziele werden zudem meistens nur teilweise erreicht. Das grösste genannte Hindernis: Die benötigten beruflichen Kompetenzen sind nicht verfügbar.
Viel Lärm um wieviel?
Die Schweizer Wirtschaft ist grundsätzlich durch hohe Stabilität gekennzeichnet, der Beschäftigungsgrad ist so hoch wie lange nicht mehr. Ist also alle Aufregung um die Digitalisierung viel Lärm um nichts? Nicht ganz, denn schon jetzt zeichnen sich Diskrepanzen zwischen den benötigten und den im Schweizer Bildungssystem bereitgestellten fachlichen Kompetenzen ab. Statt nur auf grössere Effizienz des Bestehenden bedacht zu sein, ist grosse Wachsamkeit nötig, um Innovationsschübe weltweit möglichst früh zu erkennen. In einer schnelleren, digitalisierten Welt wird es auch immer wichtiger, nicht nur auf Innovation anderer Unternehmen zu reagieren, sondern durch eigene Innovation die anderen unter Zugzwang zu setzen.
Dabei ist zu bedenken, dass die meisten Menschen ein rechtes Mass an Stabilität benötigen, um kreativ sein zu können. Statt Mitarbeitende durch vage Ankündigungen grosser Veränderungen bange zu machen, gilt es, sie aktiv an der Gestaltung des digitalen Wandels zu beteiligen.
Zur Studie
Die Digitalisierungsstudie wurde im Herbst 2016 vom Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie (ETH Zürich, MTEC) zusammen mit der KOF Konjunkturforschungsstelle (ETH Zürich) und der Hochschule für Angewandte Psychologie (FHNW) durchgeführt. An der repräsentativen Befragung nahmen 1183 Unternehmen in der Schweiz mit mehr als 20 Beschäftigen teil (Rücklaufquote 30.1 %). Die Umfrage basiert auf dem KOF-Unternehmenspanel, einer nach 34 Branchen und – innerhalb der einzelnen Branchen – nach drei Grössenklassen disproportional geschichteten und gewichteten Stichprobe der Sektoren Industrie, Baugewerbe und kommerzielle Dienstleistungen, wobei die grossen Unternehmen vollständig erfasst sind.
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf ETH-News veröffentlicht. Verfasst hat den Text Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, zusammen mit Nadine Bienefeld.