Geschäftschancen in virtuellen Welten

«Das Metaverse ist keine Spinnerei»

Mark Wächter, interimistischer Vorsitzender des Ressorts Metaverse im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), erklärt im Gespräch mit Computerworld, woher die Renaissance des Metaverse-Konzepts kommt und warum sich Unternehmen gerade jetzt mit Web 3 und Metaverse beschäftigen sollten.
Computerworld: Herr Wächter, der BVDW hat im Februar dieses Jahres ein eigenes Ressort «Metaverse» gegründet. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Mark Wächter
Interimistischer Vorsitzender des Ressorts Metaverse im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW)
Quelle: ART PHOTO
Mark Wächter:
Um die Frage zu beantworten, muss man eigentlich 16 Jahre zurückgehen. Damals haben wir im BVDW die «Fokusgruppe Mobile» gegründet, weil wir glaubten, dass dem mobilen Internet eine grosse Zukunft bevorsteht. Heute ist das Smartphone – und damit das mobile Internet, das Medium, das alles bestimmt. Nun gibt es immer mehr Anzeichen, dass das Metaverse der Nachfolger des mobilen Internets werden könnte. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Fokusgruppe Mobile umzubenennen und gleichzeitig in ein Ressort zu transformieren.
Computerworld: Was ist der Unterschied zwischen einer Fokusgruppe im BVDW und einem Ressort?
Wächter: Ressorts befassen sich mit verbandsübergreifenden Themen, die jedes Mitglied betreffen, man hätte eigentlich also schon Mobile auf Ressort-Status heben müssen, das haben wir nun im Zuge der Umbenennung realisiert.
Computerworld: Womit beschäftigt sich das Ressort Metaverse im Wesentlichen?
Wächter: Uns treibt die alles entscheidende Frage um, ob das Metaverse in der Lage ist, das Smartphone zu disruptieren. Und wenn dem so ist: Was heisst das für die heutigen Geschäftsmodelle, die auf das Smartphone fokussiert sind? Wir verstehen uns als Verband der digitalen Ökonomie und sehen uns daher in der Pflicht, die Unternehmen bei der Beantwortung dieser Fragen zu begleiten.
Computerworld: Wie wird die Arbeit des Ressorts in der Praxis aussehen?
Wächter: Es sind zwei Kernthemen, die wir mit entsprechenden Labs adressieren werden. Das eine ist «Technologie und Geschäftsmodelle». Darin werden wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Technologien das Smartphone ablösen werden und welche Folgen sich daraus für die digitale Wirtschaft ergeben. Hier spielen Stichworte wie «Virtual Reality», «Augmented Reality» oder «Mixed Reality» eine grosse Rolle. Alle wichtigen Hersteller haben dafür neue Hardware angekündigt. Darüber hinaus geht es in diesem Lab um Spezifikationen und Standards für immersive 3D-Realitäten sowie – Stichwort Geschäftsmodelle – um Themen wie NFT-Economy und Metaverse-Commerce. Die Themen sind so vielfältig, dass wir daraus zwei Labs formen werden.
Computerworld: Und womit beschäftigt sich der zweite Bereich?
Wächter: Im zweiten Bereich, den wir durch ein drittes Lab abdecken, wird es um gesetzliche Rahmenbedingungen, Ethik und Sustainability gehen. Wir werden mit Brüssel und Berlin reden, was die gesetzliche Regulierung betrifft. Auch ethische Fragen werden sich ergeben, wenn Menschen permanent online sind und das Internet nicht mehr abschalten können. Und wenn Intel recht hat, dass wir eine Vertausendfachung der Rechenleistung brauchen, um das Metaverse zu betreiben, müssen wir uns natürlich auch mit den Auswirkungen auf das Klima und den Ressourcenverbrauch beschäftigen.
Computerworld: Ist Metaverse nicht eigentlich ein alter Hut, über den schon seit Jahrzehnten gesprochen wird?
Wächter: Sie haben recht, die Idee immersiver digitaler Welten gibt es schon sehr lange. Bereits in den 1980er-Jahren haben sich Arbeitsgruppen in den USA damit beschäftigt, der Begriff «Metaversum» wurde 1992 von dem Autor Neal Stephenson in seinem Roman «Snow Crash» geprägt, Bücher und Filme wie «Ready Player One», «Tron» oder «Ma­trix» haben das Thema aufgegriffen, die virtuelle Welt «Second Life» gibt es seit 2003.
Computerworld: Woher kommt dann diese Renaissance?
Wächter: Dafür sind drei Entwicklungen entscheidend. Unter anderem machen Blockchain-Technologien eine neue Form des Internets möglich, die dem Nutzer die Macht über seine Inhalte und Daten zurückgeben soll. Dieses «Web 3» ist dezentral organisiert – ein Gegenentwurf zum Web 2.0, in dem die Macht bei den grossen Plattformen liegt, die die Daten der Nutzer absaugen und an die Werbekunden verkaufen. Hier schliesst sich der Kreis zum Metaverse. In den vergangenen Jahren sind Blockchain-basierte Metaversum-Spiele wie Decentraland, Sandbox oder Axie Infinity entstanden, in die jeder einsteigen kann, der eine Wallet mit der entsprechenden Kryptowährung auflädt.
Computerworld: Aber solche Spiele sind doch eher etwas für Nerds. Warum also dieser Hype?
Wächter: Im vergangenen Jahr gab es einige Ereignisse, die dieses Nischendasein aufgebrochen und das Thema Metaverse in die öffentliche Wahrnehmung katapultiert haben. Da ist beispielsweise der Börsengang der Online-Spieleplattform Roblox, die sich selbst als «ersten Metaverse-IPO» bezeichnet, obwohl die Plattform nichts mit Web 3 zu tun hat, sondern klassisch mit Logins arbeitet. Das war ungefähr ein halbes Jahr, bevor sich Facebook zu Meta umbenannt und seine Firma zur «Metaverse Company» erklärt hat.
Computerworld: Warum springt Facebook/Meta gerade jetzt auf diesen Zug auf?
Wächter: Ich denke, Meta erhofft sich davon mehr Unabhängigkeit von den grossen Mobil-Plattformen iOS und Android in der Gestaltung seiner Geschäftsmodelle. Bis heute zahlt das Unternehmen erhebliche Summen als Gebühren an Apple und Google. Und natürlich bietet sich eine Fusion von Social und Virtual Worlds geradezu an.
Computerworld: Mit der ursprünglichen Idee von Web 3 und Meta­verse haben die Facebook-Projekte aber letztlich doch nur wenig zu tun, oder?
Wächter: Das ist richtig. Das Facebook-Metaversum «Horizon Worlds» ist eine klassische Web-2.0-Plattform.
“Vielen Unternehmen ist nicht bewusst, dass sie das Metaverse als eigenen Markt betrachten müssen.„
Mark Wächter
Computerworld: Aktuell kommen die wichtigsten technologischen und wirtschaftlichen Metaverse-Impulse aus den USA und China. Besteht die Gefahr, dass Europa auch diesen Trend verschläft wie Cloud-Computing und Social Media?
Wächter: Die grossen Konzerne aus den USA und China haben natürlich andere Startvoraussetzungen. Mit einer etablieren Plattform und entsprechenden finanziellen Ressourcen fällt es leichter, ein grosses Metaverse-Projekt zu stemmen. Es gibt allerdings eine Menge deutscher Mittelständler und Start-ups, die schon seit Langem an 3D-En­gines und anderen Lösungen für das Metaverse arbeiten.
Auch im Business-to-Business-Bereich sind wir vorne mit dabei. Es wird nämlich gerne vergessen, dass es beim Metaverse nicht nur um 3D-Spielewelten geht, sondern auch darum, ganze Industriezweige zu optimieren. Beim Bestimmen der ethischen Grundsätze und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle kann Europa eine entscheidende Rolle spielen.
Computerworld: Was müssen Unternehmen heute tun, um die Chancen im Metaverse nicht zu verpassen? Andererseits könnte es ja auch teuer werden, wenn sie zu früh loslegen.
Wächter: Zunächst einmal sollten sie sich nicht vom aktuellen Hype abschrecken lassen. Das Metaverse ist keine Spinnerei, sondern eine neue Internet-Infrastruktur, die verstanden und durchdrungen werden muss. Vielen Unternehmen ist ausserdem nicht bewusst, dass sie das Metaverse als eigenen Markt betrachten müssen. Sie sollten daher am besten schon jetzt ihre Marken für diesen neuen Markt schützen und als NFT auf einer Blockchain eintragen.
Als Nächstes gilt es, eine interdisziplinäre und crossfunktionale Metaverse Task Force zu etablieren, deren Mitglieder Dinge wie VR und AR ausprobieren, in Arbeitsgruppen wie dem BVDW-Ressort mitarbeiten, auf Messen und Kongressen Informationen sammeln und Kontakte knüpfen.
Zudem sollte man Know-how zu Trendthemen wie Web 3, Blockchain und NFT aufbauen, das letztendlich in ein Excellence Center eingebracht werden kann. Ganz wichtig ist es, die richtigen Kommunikationskanäle zu nutzen. Die entscheidenden Themen werden auf Discord oder Reddit besprochen. Wenn ich da nicht bin, werde ich nicht verstehen, was im Metaverse passiert.
Computerworld: Für welche Branchen und Unternehmen ist es denn aus Ihrer Sicht besonders wichtig, sich mit dem Thema Meta­verse zu beschäftigen?
Wächter: Firmen, die verbrauchernahe Produkte und Services anbieten, betrifft es aktuell sicher mehr als den B2B-Sektor. Einige Branchen sind schon stark im Metaverse vertreten, zum Beispiel die Bereiche Kunst und Mode, aber auch in Themen wie Bildung und Gesundheit wird das Metaverse eine grosse Rolle spielen. Unternehmen aus anderen Branchen sollten sich diese Entwicklungen genau ansehen und davon lernen.
Computerworld: Wie wird Werbung im Metaverse gestaltet sein? Erwartet uns da ein noch intensiveres Tracking? Wie können wir uns davor schützen?
Wächter: Wir haben ja im Web 2.0 aktuell eine enorme Regulierungsdebatte. Ich glaube, dass man diesen Schwung mitnehmen muss ins Metaverse. In Brüssel und Berlin wird das aufmerksam beobachtet, auch Lehrstühle an Universitäten beschäftigen sich damit – und wir.
Computerworld: Kann der BVDW die grossen Plattformen denn wirklich einhegen?
Wächter: Wir versuchen das, auch im Verbund mit anderen Verbänden, aber das ist natürlich ein Machtspiel. Ich glaube aber, so seltsam das klingt, dass etwa Facebook beziehungsweise Meta aus den vergangenen Skandalen gelernt hat und im Metaverse sehr viel vorsich­tiger agiert. Das Unternehmen hat zum Beispiel das Thema Belästigung in virtuellen Welten sehr schnell adressiert und zu lösen versucht, während frühere Fehlentwicklungen oft über Wochen und Monate ignoriert wurden.



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