Kolumne 27.11.2020, 13:12 Uhr

Es braucht Technologie-Leadership

Outsourcing schont das IT-Budget. Doch aufgepasst: Wer nur wegen der Kosten auslagert, verliert womöglich wichtiges technisches Know-how und folglich den Anschluss. Wer innovativ bleiben will, setzt daher auf ein gutes Technologie-Management.
(Quelle: John Schnobrich / Unsplash)
Oft steht man auf der Verliererseite. Nicht immer ist das ein Fehler. Mein Einsatz für eine staatliche elektronische Identität (E-ID) ist gescheitert. Aber immerhin haben die heftigen Streitdiskussionen Spass gemacht. Im anstehenden Abstimmungskampf werde ich nun trotz allem die zweitbeste Lösung unterstützen. Der Grund ist simpel: Die Erfahrung zeigt, dass im technischen Kontext Erfahrungen sammeln besser ist als Nichtstun. In der Vergangenheit sind wir beispielsweise sehr spät da­rauf gekommen, dass die alte SuisseID nicht mit der eIDAS-Verordnung kompatibel ist – und das obwohl wir die europäischen Entscheidungsprozesse ziemlich hautnah verfolgt haben. Bei der Entdeckung der Nicht-Kompatibilität der SuisseID spielte der Zufall eine grosse Rolle. Solche Zufälle gibt es ansonsten nur, wenn man Dinge praktisch umsetzt.
Ein Thema, bei dem ich seit Jahren eine Aussenseitermeinung vertrete, ist das Outsourcing. Ich sehe den Grund dafür nicht in der Kosteneinsparung, sondern im Management. Outsourcen sollte man das, was man selbst nicht professionell managen kann. Auch dann bleibt immer noch das Restrisiko, dass das Vendor-Management nicht beherrscht wird. Immerhin ist dieses Risiko denjenigen Organisationen meist sehr klar bewusst, die aufgrund fehlender Management-Kompetenzen outsourcen. Sie wissen, dass professionelles Technik-Management eine Kernkompetenz ist, auf welche die Unternehmensführung achten muss. Wer hingegen zwecks Einsparung outsourct, überlässt oft genug die Kontrolle den Controllern. Paradoxes Ergebnis: Die Kosten steigen, Wissen entsteht nicht.
“Entscheidend sind Top-Ingenieure und hervorragendes Tech-Management„
Reinhard Riedl
Mittlerweile ist das Outsourcen zu einer Geisteshaltung geworden. Man verlässt sich auf die Frameworks der Tech-Giganten. Ja, man klammert sich sogar daran und wehrt Innovationen ab, die nicht kompatibel sind mit diesen Frameworks. Das ist nicht immer unvernünftig, weil es ja zur Standardisierung führen könnte. Wer viele Anbieter im Haus hat, weiss aber, dass trotzdem das Anbieter-Management seine Komplexität behält.
Der Preis für das mentale Outsourcen von technischen Innovationen ist aber hoch. In der Folge werden beispielsweise Infrastrukturprobleme ignoriert. So wird Cloud Computing nicht nur viel teurer als notwendig, sondern es gibt auch keinen Fortschritt beim Disaster Recovery. Ich halte diese Entwicklung für unvorteilhaft. Die Schweiz war einst Vorreiterin in Sachen Technologie-Einsatz. Die Common Object Request Broker Architecture (CORBA) wurde schon Mitte der 1990er-Jahre operativ eingesetzt, als der Schweizer Nationalfonds diese Technologie noch als zu unreif für Forschungsprojekte ansah. Diese Technologie-Führerschaft hat die Schweizer Wirtschaft nachhaltig gestärkt. Entscheidend war damals wie heute neben exzellentenIngenieuren hervorragendes Technologie-Management. Man mag akzeptieren, dass die Verwaltung Technologien nicht beherrscht und die E-ID deshalb der Privatwirtschaft überantwortet. Aber mindestens in den grossen KMU und in den Grossunternehmen braucht es Führungskräfte, die zur Technologie-Leadership fähig sind. In diesem Bereich sollte die Schweiz nicht zu den Verlierern zählen. Denn das wäre wirklich ein Fehler.
Nutzen wir also den neuen Schwung durch die Vereinigung der Fachverbände ICTswitzerland und Digitalswitzerland, um mit allen an Bord – aus der Wirtschaft, den Verbänden und den Hochschulen – die Technologie-Leadership wieder zu etwas zu machen, wofür die Schweiz international bewundert wird!
Zum Autor
Reinhard Riedl
beschäftigt sich mit digitalen Ökosystemen und leitet das transdisziplinäre Forschungszentrum «Digital Society» an der Berner Fachhochschule.



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