03.02.2006, 21:23 Uhr

Sie sprachen von einem «Grossprojekt»

500 Server, 5100 Clients, 11000 E-Mails täglich, millisekundengenaue Zeitmessungen, die in Echtzeitapplikationen eingespeist werden: Auf das IT-Netzwerk der Olympischen Spiele in Turin wartet eine herkulische Aufgabe.
Wenn am 10.Februar die zwanzigsten Olympischen Winterspiele in Turin beginnen, hat Enrico Frascari den Löwenanteil seines Auftrags bereits erledigt. Seit Anfang des Jahrzehnts hat er daran gearbeitet: Frascari ist technischer Verantwortlicher des Toroc, des Organisationskomitees der Olympischen Spiele. Über Jahre hatte er die IT-Infrastruktur für die Winterolympiade designt, implementiert und getestet. Dazu hat er ein Konsortium aus elf Unternehmen angeleitet, die für die IT zuständig sind und alle Bereiche wie Zeitmessungen, Ranglisten, Bilderfassung und Datenverbreitung sowie Telekommunikation abdecken. Computerworld sprach mit Enrico Frascari, der von seinem früheren Job als Chief Information Officer von Olivetti Lexikon IT-Erfahrungen mitbrachte.
Computerworld:Herr Frascari, wie sind Sie zu dieser Aufgabe gekommen?
Enrico Frascari: Als 1999 die Entscheidung für Turin als Austragungsort der Olympiade fiel, weckte das bereits grosses Interesse bei mir, denn ich komme aus diesem Land und dieser Stadt. Das Organisationskomitee lud mich zum Bewerbungsgespräch, aber ich wusste nicht einmal, dass es um die Olympiade gehen sollte. Sie sprachen lediglich von einem «Grossprojekt».
Computerworld: 2001 stiessen Sie offiziell dazu. Wie ging es danach weiter?
Enrico Frascari: Ich legte auf der grünen Wiese los, denn zu Beginn war ich mein einziger Mitarbeiter. Als erstes galt es, eine IT-Infrastruktur aufzubauen, die das Organisationskomitee unterstützen sollte. Gleichzeitig begann ich mit dem Design der Infrastruktur für die Spiele und schrieb erste Aufträge aus. Heute habe ich 400 Leute unter mir. 2001 und 2002 verbrachte ich einige Zeit in Salt Lake City mit den Organisatoren der dortigen Spiele.
Computerworld: Was haben Sie aus den Erfahrungen respektive Fehlern von Salt Lake City gelernt?
Enrico Frascari: Natürlich habe ich versucht, nur das Positive mitzunehmen und dieselben Fehler nicht nochmals zu machen. So haben wir beispielsweise dieselbe Architektur verwendet wie bei den Winterspielen von 2002. Dort war das Ziel, den Support für Telekommunikation und IT zu integrieren. Ich habe jedoch beschlossen, beide Bereiche getrennt zu lassen.
Computerworld: Wie sieht Ihre IT-Infrastruktur konkret aus?
Enrico Frascari: Unsere wichtigste Computerlieferantin ist Lenovo. Wir haben 350 Server, 5000 PC und 800 Notebooks. Softwareseitig gibt es zwei Haupttypen von Applikationen. Zum einen das Managementsystem der Spiele, das viele Segmente administriert, unter anderen Transport und Unterbringung der Athleten und den Zeitplan der Wettbewerbe. Zweitens das System für die Messung und Datenübertragung der Resultate aus den Wettbewerben. Es unterteilt sich in Zeiterfassung einerseits und die Zusammenstellung, Veröffentlichung und Verteilung der Ergebnisse andererseits.
Computerworld: Werden in Turin auch ganz neue Technologien eingesetzt werden?
Enrico Frascari: Ja, und sie sind alle zuvor ausgetestet worden. Zum ersten Mal werden die Eisschnellläufer an ihren Knöcheln Transponder tragen. An der Ziellinie befinden sich ausserdem Sensoren für die Erfassung der Zeit. Deren Ergebnisse werden mit den Transpondern der Athleten abgeglichen. Auch auf der Kurzstrecke und beim Biathlon kommen solche Transponder zum Einsatz. Aus technischer Perspektive, also bezüglich Aufzeichnung und Zeiterfassung, ist der Bobsport die komplizierteste Disziplin. Die Zeit wird dort bis auf tausendstel Sekunden hinunter gezählt, nicht auf hundertstel Sekunden wie bei den übrigen Disziplinen. Grundsätzlich hatte aber die Zuverlässigkeit der Technologien oberste Priorität. Wir wollten nicht zwingend die allermodernsten Produkte haben, sondern probierten, testeten und wählten verlässliche Systeme, damit uns keine unliebsamen Überraschungen passieren.
Computerworld: Wie unterstützen Sie die Fernsehübertragung?
Enrico Frascari: Alle Fernsehkommentatoren haben einen eigenen Monitor mit Informationen aus dem Zeiterfassungssystem zur Verfügung, damit sie beim Zuschauer den Eindruck erwecken können, besonders gut informiert, quasi allwissend zu sein. Dahinter steckt indes eine Applikation mit Echtzeitdaten, Biografien der Sportler und Daten aus früheren Wettbewerben. All das wird auf italienisch, französisch und englisch übersetzt.
Computerworld: Was beschäftigt Sie momentan am meisten?
Enrico Frascari: Der 10. Februar steht unmittelbar bevor. Wir haben das gesamte Jahr 2005 viele Tests gemacht, auf hohem Niveau und unter erschwerten Bedingungen. Im Oktober und nochmals Mitte Dezember haben wir die Spiele simuliert. Seither gilt es ernst. Die Ausrüstung fix an einem Ort wie einer Eishockeyarena anzubringen ist relativ einfach. Am schwierigsten ist es, Ausrüstung an einem Berg zu installieren, der vom Publikum frequentiert wird.
Computerworld: Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie Ihre IT-Mitarbeiter rekrutiert und wo haben Sie Leute mit einschlägiger Erfahrung gefunden?
Enrico Frascari: Viele stiessen über unsere Website zu uns. Interessenten gab es genügend. Unsere Mitarbeiter kommen aus 16 verschiedenen Ländern. Manche von ihnen waren bereits bei drei, vier und sogar fünf Olympiaden dabei, beispielsweise 1992 in Albertville oder 1994 in Lillehammer.
Computerworld: 1996 in Atlanta gab es diverse Probleme mit der IT. Wie haben Sie sich abgesichert, dass in Turin nichts derartiges passiert?
Enrico Frascari: Seit 2000 hat sich die Ausrüstung der IT-Infrastruktur komplett geändert, unsere Basis bilden verteilte Server. Überraschungen kann man nie völlig ausschliessen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Unvorhergesehenes passiert, ist wesentlich geringer, da wir die Verantwortlichkeiten auf zahlreiche Partnerfirmen verteilt haben.
Computerworld: Wie werden Sie messen, inwieweit Sie in technischer Hinsicht erfolgreich gearbeitet haben?
Enrico Frascari: Ganz einfach: Wir haben ins Schwarze getroffen, wenn die Leute während der Olympiade ausschliesslich über Sport reden. Denn wenn alles funktioniert, wird niemand den technischen Aufwand erahnen, der dahinter steckt. Das wäre unser Erfolg.
Catharina Bujnoch



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