Knallhart 20.02.2008, 08:45 Uhr

Stresstest in Banken

Um Finanzkatastrophen - wie sie derzeit die Schlagzeilen beherrschen - frühzeitig zu erkennen und nach Möglichkeit abzuwenden, sollten Banken Stresstests durchführen. Diese stellen die IT-Abteilungen vor schwierige Herausforderungen.
Christoph Kaminsky ist Senior Consultant, Oliver Kuklok ist CEO der im deutschen Siegburg beheimateten Beratungsfirma Corporate Quality Consulting.
Dass Finanzkatastrophen bittere Realität sind, beweist derzeit ein Blick auf die Wirtschaftsseiten der Zeitungen. Die Meldungen über Milliardenabschreibungen und hochriskante Finanzierungsmodelle renommierter Banken überschlagen sich. Dabei dürften die Geldinstitute sich diesbezüglich gar nicht mehr so sehr aus dem Fenster lehnen. Denn seit Anfang 2007 gilt die Basel-II-Eigenkapitalvereinbarung.
Die damit verbundenen aufsichtsrechtlichen Anforderungen verlangen die Anwendung neuer Risikosteuerungsmethoden. Unter anderem wird dabei von Banken, die den internen Rating-Ansatz verwenden, die Durchführung von Stresstests für die Einschätzung der Angemessenheit der Kapitalausstattung gefordert. Weitere Anforderungen an den Stresstest ergeben sich aus der Solvabilitätsverordnung (SolvV), den Leitlinien des Ausschusses der europäischen Bankenaufsichtsbehörden CEBS und den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk).
Nach diesen Vorschriften sind Stresstests nötig, mit denen nachgewiesen wird, dass das Kreditinstitut auch in wirtschaftlichen Stresssituationen eine genügend grosse Kapitalbasis aufweist. Die Stresstests sind regelmässig, mindestens einmal jährlich durchzuführen. Dabei wird aber nicht die Lauffähigkeit und Stabilität der IT-Systeme unter Last geprüft, sondern es werden die Auswirkungen von aussergewöhnlichen wirtschaftlichen Situationen simuliert.

Aufbau des Stresstests

Um die ausreichende Kapitalausstattung der Kreditinstitute in wirtschaftlichen Stresssituationen nachzuweisen, werden - ausgehend von den realen Werten - Risikoparameter im Kreditportfolio der Bank verändert und mit den geänderten Parametern eine neue Berechnung des notwendigen Eigenkapitals durchgeführt.
Dabei gibt es zwei Arten von Stresstests: Sensitivitätsanalysen und Szenarioanalysen. Während die Sensitivitätsanalyse den Einfluss der Veränderung eines einzelnen Risikofaktors untersucht, wird bei der Szenarioanalyse der Einfluss der gleichzeitigen Veränderung mehrerer Risikofaktoren und deren Korrelationsbeziehungen überprüft.
So kann als Sensitivitätsanalyse etwa der Einfluss einer Parallelverschiebung der Zinsstrukturkurve oder die Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeit aller Kredite um einen festen Prozentsatz analysiert werden. Diese Analysen sind einfach umzusetzen und mit relativ geringem Aufwand durchzuführen. Wesentlicher Nachteil ist die separate Betrachtung der Risikofaktoren. Die Korrelationsbeziehungen zwischen den einzelnen Risikofaktoren ist nicht berücksichtigt. Dies beeinträchtigt die Aussagekraft der Ergebnisse und birgt die Gefahr einer falschen Beurteilung der Risiken.
Szenarioanalysen liefern realistischere Ergebnisse, weil sie Korrelationsbeziehungen zwischen den Parametern in die Berechnungen einbeziehen, jedoch sind die Berechnungen erheblich aufwendiger.
Für die Szenarioanalysen wird von drei Szenarioarten ausgegangen: historische, hypothetische und hybride Szenarien.
In historischen Szenarien werden Situationen aus der Vergangenheit nachvollzogen. Dies erlaubt den Vergleich der Resultate der Modellrechnung mit den tat-sächlich beobachteten Effekten.
Hypothetische Szenarien werden angewandt, wenn die Anwendung historischer Szenarien nicht möglich ist, etwa wenn es sich um neue Finanzinstrumente handelt, zu denen keine historischen Daten existieren. Durch hypothetische Szenarien lassen sich Worst-Case-Szenarien oder noch nicht eingetretene Situationen analysieren.
Werden historische Krisenereignisse (beispielsweise der 11. September 2001) analysiert und die Ergebnisse für die Konstruktion neuer Szenarien verwendet, spricht man von hybriden Szenarien.

Einführung des Stresstests

Die Komplexität der Szenarioanalyse legt eine sukzessive Einführung und Anwendung der fachlichen Analysen und der darauf basierenden Stresstests nahe.
Sensitivitätsanalysen ermöglichen es, kausale Zusammenhänge zwischen den einzelnen Parametern und einer Zielgrösse zu verstehen. So kann etwa der Einfluss einer Verschlechterung aller Kreditnehmer um eine Ratingklasse auf die notwendige Eigenkapitalunterlegung ermittelt werden. Sind diese grundlegenden Ursache-Wirkung-Beziehungen bekannt, wird das (repräsentative) Gesamtportfolio genauer untersucht, um realitätsnähere Ausprägungen der Einflussgrössen zu berücksichtigen. Es werden die Sensitivitäten verschiedener Portfolioklassen analysiert und die Veränderungen der Einflussfaktoren unter diesen Aspekten vorgenommen. So wird eine Parallelverschiebung der Ausfallwahrscheinlichkeit durch eine für jede Forderungsklasse unterschiedliche Verschiebung ersetzt.
Die aus den Sensitivitätsanalysen ermittelten Einflussfaktoren mit den grössten Auswirkungen werden in einem mathematischen Modell zusammengefasst. Nach der Bildung der hypothetischen Szenarien erfolgt die Simulationsrechnung und die eingehende Untersuchung der Effekte. Erweisen sich dabei einzelne Szenarien als besonders kritisch, können für diese Szenarien Gegenstrategien zur Minderung des Risikos entwickelt werden. Nach Integration der entwickelten Gegenstrategien ins Modell wird ein erneuter Durchlauf der Simulation gestartet.
Das Reporting der Ergebnisse an die Risikosteuerung der Bank erfolgt regelmässig. Deckt der Stresstest kritische Konstellationen auf, wird sofort ein ausserordentliches Reporting angestossen, um rechtzeitig Gegenmassnahmen ergreifen zu können.

Daten und Programme

Die Berechnungen der Stresstests beruhen auf den produktiven Datenbeständen der Banken. Die Datenhaltungen der verschiedenen Banken unterscheiden sich dabei teilweise deutlich voneinander, da sie in den meisten Fällen historisch gewachsen sind.
Somit muss es sich bei den Programmen, die zum Verändern der Risikoparameter beziehungsweise zur Bildung der Szenarien benutzt werden, immer um proprietäre Lösungen der Kreditinstitute handeln, die nicht zwischen den einzelnen Banken übertragbar sind.
Nachdem die Parameter geändert wurden, werden dieselben Daten an die IT-Systeme weitergereicht, die bei der regulären Meldewesenverarbeitung genutzt werden, um die notwendige Eigenkapitalunter-legung zu berechnen. In aller Regel han-delt es sich bei diesen Systemen um Standardprodukte verschiedener Hersteller.

Technische Umsetzung

Stresstests müssen in die IT-Infrastruktur des Kreditinstitutes integriert werden. Neben der Heterogenität der Systemlandschaft der Kreditinstitute ist die Entscheidung, wo in der Produktionskette die Stresstests angesetzt werden, ein grosses Problem. Denkbar ist etwa eine eigene Simulationsumgebung, die ihre Daten aus der Produktion erhält, ansonsten aber vollständig unabhängig läuft. Ebenfalls möglich ist die Integration einer Stresstestschnittstelle vor dem Rechenkern oder dem Meldewesensystem. Jede Lösung hat Vor- und Nachteile. Eine eigene Simulationsumgebung erfordert einen hohen technischen Aufwand (Plattenplatz, Maschinenkapazitäten und Synchronisation der Programmversionen mit der Produktion), bringt aber den Vorteil einer weitgehenden Unabhängigkeit von den produktiven Abläufen. Eine Verarbeitung, die im produktiven System läuft, bedingt dagegen weniger technischen Aufwand, muss aber zeitlich in den Produktionsprozess integriert werden und erlaubt nur bedingt Ad-hoc-Analysen, die für ein Risikomanagement unabdingbar sind.
Oliver Kuklok, Christoph Kaminsky



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