E-Government 01.03.2023, 06:15 Uhr

IT-Lichtblicke in Schweizer Amtsstuben

Beim E-Government hinkt die Schweiz hinterher, ist der verbreitete Eindruck. In einigen Amtsstuben werden mit IT-Lösungen aber durchaus fortschrittliche Anwendungen realisiert.
Bundesbern wird in Zukunft vermehrt IT-Ressourcen aus der Cloud nutzen
(Quelle: Shutterstock/Stephanie Jud)
Schlagzeilen wie «Berner Polizei stolpert über millio­nenteures IT-Projekt», «Bund kaufte hektisch IT-System für 2,8 Millionen Franken», «Cyber-Security-Vorfall in der Stadtverwaltung Bülach», «Kanton Thurgau vergibt Auftrag für die Lieferung von multifunktionalem Büropapier» oder «Hochsensible Behördendaten landeten im Zürcher Drogen-Milieu» werfen zweifellos ein schlechtes Licht auf die Digitalisierungsanstrengungen der Schweizer Behörden. Da gibt es wenig schönzureden. Das alljährliche «E-Government Benchmark» der Europäischen Union bescheinigt der Schweiz einen Reifegrad beim E-Government von 55 Prozent – gleichauf mit Polen. Führend in dem Ranking sind Malta (96 %) und Estland (90 %) vor Luxemburg (87 %). Der europäische Durchschnitt liegt bei 68 Prozent.
Gemäss dem Bundesrat ist die Schweiz im Bereich der ­Digitalisierung «gut unterwegs». Die Regierung habe die Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft in den letzten Jahren in etlichen Bereichen verbessert, heisst es in einem Bericht des Bundesrats vom Dezember letzten Jahres. Bern klopft sich unter anderem für die Anstrengungen beim Optimieren der digitalen Verwaltung selbst auf die Schulter. Der Bundesrat weiss aber auch, dass der Weg noch nicht zu Ende ist: Die Anstrengungen im Bereich der digitalen Verwaltung und weiteren Gebieten ­sollen weitergeführt werden, ist dort zu lesen.

Paradedisziplin Geodaten

Eine Paradedisziplin des Schweizer E-Governments sind sicher die geografischen Daten. Das Bundesamt für Landestopografie (Swisstopo) betreibt teilweise seit Anfang der 2000er-Jahre mehrere Grossrechner für die Karten­daten. Sie beliefern einerseits die öffentliche Plattform «Swisstopo» inklusive der App. Andererseits werden im Rahmen des Projekts «Neue Produktionssysteme» (Nepro) diejenigen Informatik-Infrastrukturen erneuert, mit denen Swisstopo Geodaten für die Verteidigung und Sicherheit der Schweiz bereitstellt. So sollen Systeme neu aufgebaut werden, die Ersthelfer bei Katastrophen unterstützen oder GPS-Lösungen für das Gletschermonitoring oder das Verkehrsnetz Schweiz liefern. Das Gesamtvorhaben hat eine Laufzeit von 2019 bis 2029 und ein Volumen von rund 66 Millionen Franken.
Tachymeter halfen bei der vollständigen Vermessung des Kantons Graubünden
Quelle: Grünenfelder und Partner
Auf der Grundlage der bestehenden Infrastruktur konnten die Kunden von Swisstopo bereits einige Anwendungen realisieren: Allen voran der Mac-Hersteller Apple, der seit 2021 das Kartenmaterial für die App «Apple Maps» auf dem iPad und iPhone verwendet. Er verabschiedete sich damals von den Geodaten des niederländischen Navi-Herstellers TomTom. Die Kosten dürften dabei ein Grund gewesen sein. Während Apple für TomTom bezahlen musste, waren (und sind) die Swisstopo-Karten kostenfrei. Denn das Bundesamt veröffentlicht die Geodaten, Landschaftsmodelle und Luftbilder seit gut zwei Jahren im Rahmen von «Open Government Data».
Die kantonalen Verwaltungen und Städteverwaltungen haben im letzten Jahr mit den Geodaten neue E-Government-Anwendungen realisiert. Appenzell Aus­ser­rhoden und St. Gallen haben beispielsweise Grundstücks-Kataster aufgebaut. In den Karten können Grundeigentümerinnen, Planungsbüros oder die Verwaltung die öffentlich-rechtlichen Eigentums­beschränkungen (ÖREB) der Liegenschaften einsehen – ohne einen Antrag oder ­einen Behördengang. Der Kanton St. Gallen berichtet von konstant hohen Zugriffen. Pro Monat würden etwa 10 000 PDF-Auszüge erstellt. Für jede der 75 Gemeinden seien das täglich rund fünf Auszüge, erklärt die Verwaltung. Ihr zufolge seien die Zahlen ein Beleg dafür, dass der ÖREB-Kataster intensiv genutzt werde und sich der Aufwand für die Einführung gelohnt habe.
Auf dem Geoportal des Kantons Luzern sind neu Gebäudemodelle mit Dachlandschaften verfügbar
Quelle: Kanton Luzern
Swisstopo verzeichnet nach eigenen Angaben pro Tag zwischen 50 000 und 250 000 Besucherinnen und Besucher auf dem bundeseigenen Geoportal. Die Nutzung der verschiedenen Serviceleistungen hat sich im Lauf von zehn Jahren verzwanzigfacht. Um diesen Traffic zu bewältigen, setzten die Entwickler des Portals von Anfang an auf die Cloud – genauer genommen auf Amazon Web Services. Nach Aussage des Leiters Geoinformatik, Hanspeter Christ, sei Amazon 2010 der einzige Anbieter gewesen, der die immensen Datenvolumen speichern und für den performanten Abruf bereitstellen konnte. Amazon nennt in seiner Kundenreferenz rund 150 Tera­byte Speicherkapazität. Mehr als 100 Amazon-Elastic-Compute-Cloud-Instanzen (Amazon EC2) würden die Tausenden Benutzer pro Tag unterstützen. Damit würden pro Monat ca. 30 Terabyte an Kunden übertragen, was bis zu 3000 Kartenkacheln pro Sekunde entspreche. Für die Storage- und Compute-Leistungen zahlt das Bundesamt jährlich mehr als eine halbe Million Franken an Amazon.

Hyperscaler und der Bund

Neu wird der Geodaten-Service zum Bestandteil des Sammelvertrags «Public Clouds Bund», in dessen Rahmen die verschiedenen Ämter der Bundesverwaltung Cloud-Services von fünf Providern beziehen wollen. Amazon ist einer der fünf Anbieter, sodass Swisstopo nun gut versorgt ist. Über fünf Jahre können die Departemente und die Bundeskanzlei neu Cloud-Leistungen von Alibaba, IBM, Microsoft, Oracle und eben Amazon (AWS) beziehen, wenn es die Datenschutz- und Sicherheitsvorschriften ­zulassen. Und der Kostenrahmen von maximal 110 Millio­nen Franken. Das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) fungiert als Broker, bei dem Ressourcen für heutige und zukünftige Cloudprojekte angefordert werden können. Wie es im Servicebeschrieb heisst, berät das BIT die Kunden, ob zum Beispiel Oracle-Services ­besser selbst bereitgestellt oder tatsächlich aus der Cloud bezogen werden sollten.
Alleine mit der Ausschreibung und dann auch noch mit dem Zuschlag für die Hyperscaler darf sich die Schweiz zu den Vorreitern in der Cloud zählen. Selbst die US-­Regierung ist hier im Hintertreffen, was allerdings mit ­Klagen der nicht berücksichtigten Anbieter zu tun hat. Klagen gab es hierzulande auch, aber Google (als unterlegener Bieter) sowie Privatpersonen scheiterten vor den Gerichten. So sind die Verträge mit den Hyperscalern seit September letzten Jahres unterzeichnet. Deutschland zum Beispiel ist noch lange nicht so weit: Die Bundes­regierung setzt wie die meisten EU-Staaten einerseits auf eine europäische Cloud («Giga-X»). Andererseits ent­wickeln die IT-Tochter des Medienkonzerns Bertelsmann, Arvato Systems, und der ERP-Marktführer SAP eine Cloud-Plattform für Behörden auf der Basis von Microsoft-Technologie. Die Giga-X-Entwicklung startete zwar schon 2019, einen Zeitpunkt für die Bereitstellung (geschweige denn den Zuschlag) gibt es aber noch nicht. Arvato und SAP lancierten ihre Cloud-Pläne erst im Frühjahr 2022 – ebenfalls noch ohne einen Termin für den Marktstart.
Ausgezeichnetes E-Government
Wenn ein Software-Hersteller seine Kunden für gute Projektarbeiten auszeichnet, geht es oft um viel Geld. So war es auch bei den letztjährigen «SAP Quality Awards». Die Verwaltung des Kantons Zürich hat allerdings als «Digital Pioneer» eher viel Geld gespart als ausgegeben.
Das kantonale Amt für Informatik (AFI) hatte im Herbst 2020 zusammen mit Novo Business Consultants und SAP ein digitales Gesuchportal für das Härtefallprogramm realisiert. Mit dem Programm unterstützten Bund und Kantone die­jenigen Unternehmen, die von den behördlichen Anordnungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie besonders stark betroffen waren.
Die Informatiker bauten innerhalb von Wochen eine IT-Lösung zur Abwicklung von mehreren Tausend Gesuchen auf. Das klappte, sodass ein digitales ­Gesuchportal über den Jahreswechsel 2020/21 in Betrieb genommen werden konnte. Dank der Portallösung erfolgen die Gesuchprüfungen und Auszahlungen ­­nun in einem durchgängig automatisierten Prozess. Bis Anfang März 2022 wurden so 9598 Gesuche geprüft und rund 1,3 Milliarden Franken an Härtefallgeldern ausbezahlt.

Kantone in der Cloud

Noch einen Schritt weiter als der Bund sind die Kantone Schaffhausen und Zürich sowie die Stadt Bern. In den Amtsstuben ist das Cloud Computing bereits zur Realität geworden. Am Hochrhein hatten Microsofts lokale Rechenzentren in der Schweiz den Einsatz von Microsoft 365 möglich gemacht. «Die Datenhaltung in der Schweiz war eine der wichtigsten Voraussetzungen für unsere Entscheidung», sagt Waldemar Eberling, Leiter Infrastruktur, Client Engineering & Security und Geschäftsleitungsmitglied der KSD Schaffhausen, dem Informatikunternehmen von Kanton und Stadt Schaffhausen. Ähnlich tönte es aus dem Regierungsrat des Kantons Zürich. Er schaffte im März vergangenen Jahres eine Vollzeitstelle für einen Cloud-Sicherheitsbeauftragten. Zugleich genehmigte er den Einsatz von Microsoft 365 in er kantonalen Verwaltung sowie in der Kantonspolizei. Im Juli 2022 fiel dann der Startschuss für ein neues In­tranet-Portal des Kantons auf Basis von Microsoft 365. Kurz zuvor endete in der Stadt Bern mit der Beschaffung von Microsoft 365 ein langjähriger Zwist zwischen den Befürwortern und Gegnern von Open Source Software. Letztendlich kam Microsoft zum Zuge. Für die Informatikdienste der Stadt sei es darum gegangen, Kosten zu sparen und durch Standardisierung Prozesse zu vereinfachen und die Arbeitspraxis der Mitarbeitenden effizienter zu gestalten, hiess es zur Begründung.
Aus den Schweizer Rechenzentren von Microsoft wird der Bund künftig Cloud-Dienste beziehen
Quelle: Microsoft Schweiz

Digitale Einbürgerung

Ähnliche Argumente führte der Regierungsrat des Kantons Zürich an, als er sich 2019 entschloss, das Einbürgerungsverfahren zu digitalisieren. Bis anhin erforderte der Prozess zwingend die Papierform, was wenig effizient und nicht mehr zeitgemäss war, so der Regierungsrat. Die ­Politiker wussten, welchen Verwaltungsaufwand es mit sich bringt, pro Jahr rund 10 000 Ausländerinnen und Ausländer einzubürgern.
Unter anderem die Entwicklerfirmen GFT Technologies mit Sitz in Zürich und xappido aus Oberkirch LU wurden mit der Realisierung einer Fachapplikation für das Einbürgerungsverfahren beauftragt. Sie sollte von Kanton und Gemeinden gleichermassen genutzt werden können. Seit Mitte 2022 ist die Plattform «eEinbürgerungZH» nun in Betrieb, erklärt der Kanton. Bewerberinnen und Bewerber werden jetzt online durch den Erfassungsprozess geführt. Am Ende können sie ihre Unterlagen direkt elektronisch einreichen. Das Anfordern von diversen Bescheinigungen und Dokumenten bei unterschiedlichen Ämtern entfällt. Seit dem Jahreswechsel erfolgt nun auch die Verarbeitung der Gesuche digital. Somit können die Bewerber und Bewerberinnen jederzeit einsehen, wie weit ihr Gesuch ­vo­rangekommen ist und welche Sachbearbeitenden von Gemeinde oder Kanton das Dossier aktuell prüfen.

E-Führerschein in Liechtenstein

Die Kontrolle des Führerscheins der Bevölkerung Liechtensteins kann neu auch elektronisch geschehen. Das ­Dokument kann seit Mai 2022 digital in der E-ID-App des Fürstentums hinterlegt werden, die den Einwohnerinnen und Einwohnern unter anderem als Identitätsnachweis für den Online-Schalter des Landes dient. Der E-Führerschein entbindet den Inhaber vom Mitführen seines Papier- oder Plastikführerscheins – zumindest im Strassenverkehr in Liechtenstein und in der Schweiz. Die Gültigkeit in den Ländern der EU ist «freiwillig», schreibt das Amt für Strassenverkehr in Vaduz.
Der E-Führerschein aus Liechtenstein kann auf das Handy geladen werden und wird auch in der Schweiz akzeptiert
Quelle: Amt für Strassenverkehr Liechtenstein
Die Programmierer des Fürstentums haben mit dem E-Führerschein bewiesen, dass sich ein amtliches Dokument durchaus elektronisch umsetzen lässt. Dieser Erfolg war dem deutschen Kraftfahrt-Bundesamt und der Entwicklerfirma Digital Enabling nicht beschieden. Ihre digitale Kopie des deutschen Führerscheins scheiterte im Herbst 2021 kläglich. Die zugehörige App und die dahinterstehende Infrastruktur wiesen massive Sicherheitslücken auf, sodass der Pilotversuch nach kaum einer ­Woche abgebrochen wurde. Auch anderthalb Jahre später ist noch keine Lösung in Sicht.
Beim Ausstellen eines digitalen Führerscheins wollen Verkehrsministerien diverser US-Bundesstaaten kein Sicherheitsrisiko eingehen. Sie beschränken sich deshalb auf eine Standardplattform: die Wallet-App für das iPhone. Somit ist zwar der Nutzerkreis eingeschränkt, aber die Security kann an Apple delegiert werden. Gefallen an dieser Lösung gefunden haben bis anhin die US-Bundesstaaten Arizona, Colorado und Maryland. Dort können Führerausweise (und Ausweise generell) als digitale Kopien in der Wallet-App hinterlegt werden. Laut Apple folgen in Kürze fast zehn weitere Staaten und Puerto Rico.

Schweizer Hochsicherheits-Chat

Beim Chat-Dienst delegieren die Schweizer Armee und die Schweizer Polizei ebenfalls das Thema Security an einen Anbieter: Threema. Der Sicherheits-Messenger wurde von beiden Organisationen nach strengen Kriterien ausgewählt. Auf der Beschaffungsplattform Simap.ch heisst es dazu, dass Threema den Zuschlag bekam, weil der Dienst alle Daten in der Schweiz speichert und er mehrere Schlüssel­anforderungen erfüllt: keine Verwendung von persön­lichen Telefonnummern oder E-Mail-Adressen. Weiter würden alle Daten vollständig verschlüsselt, sodass nicht einmal Threema auf die Inhalte der Benutzer zugreifen könne. Auch seien Benutzerfreundlichkeit und Bedienoberfläche ähnlich denen der gängigsten Anwendungen, was die Akzeptanz bei den Nutzern steigere.
Die Kantonspolizei Zürich kommuniziert neu über den Schweizer Sicherheits-Messenger Threema
Quelle: Kantonspolizei Zürich
Die Vergabe der schweizerischen Polizei-Organisationen erfolgte freihändig. Dieses teils anrüchige – weil auch schon missbräuchlich verwendete – Zuschlagsverfahren wird von der Beschaffungsorganisation Polizeitechnik und -informatik Schweiz mit dem tiefen Preis begründet: «Aufträge können […] freihändig vergeben werden, wenn der Auftraggeber Leistungen […] zu einem Preis beschaffen kann, der erheblich unter den üblichen Preisen liegt.» Threema kam der Polizei-Informatik mit der Summe von 2,05 Millionen Franken für 25 000 Lizenzen über vier Jahre weit entgegen. Und die bisherige Lösung «Instant Messenger Police» (IMP) war offenbar einiges kostspieliger. Nun kommt preiswerte Standard-Software zum Einsatz, womit die Sicherheitskräfte näher am Bürger sind.



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