03.08.2016, 10:01 Uhr

Zürcher IBM-Forscher imitieren erstmals Neuronen

Das IBM-Forschungslabor in Rüschlikon berichtet einen Durchbruch bei künstlichen Neuronen. Die «Phase-Change-Neurone» sind funktional vergleichbar mit biologischen Zellen.
Inspiriert durch die Funktionsweise des menschlichen Gehirns haben Wissenschaftler jahrzehntelang versucht, die vielseitigen Fähigkeiten von Neuronen-Gruppen nachzubilden. Nun wollen die Forscher von IBM Research Zürich einen Durchbruch geschafft haben. Wie das Labor in Rüschlikon erklärt, haben die Wissenschaftler erstmals zufällig feuernde Neurone aus Phase-Change-Material hergestellt. Diese «Phase-Change-Neurone» könnten wie ihre Vorbilder im menschlichen Gehirn Daten speichern und verarbeiten.
Die Arbeit sei ein «bedeutender Schritt» in der Erforschung von energieeffizienten neuromorphen Computern, in denen Speicher- und Verarbeitungseinheiten sehr dicht integriert sind. Bis anhin sei die grosse Herausforderung gewesen, entsprechende Dichten und Energiebudgets zu erreichen, die vergleichbar sind mit denen im menschlichen Gehirn. «Wir haben Phase-Change-Neurone demonstriert, die diverse Kalkulationen wie das schnelle Erkennen von Datenkorrelationen bei gleichzeitig geringem Stromverbrauch durchführen können», sagt Evangelos Eleftheriou, IBM Fellow und Leiter des Departementes Cloud & Computing Infrastructure bei IBM Research Zrich.

Material vom Massenmarkt

Die künstlichen Neuronen bestehen gemäss IBM Research aus Germanium-Antimon-Tellurid, aus dem auch wiederbeschreibbare Blue-ray-Disks hergestellt werden. Das Material besitzt zwei stabile Zustände: einen amorphen (ungeordnete Struktur der Atome, geringe Leitfähigkeit) und einen kristallinen (gleichmässige Struktur der Atome, hohe Leitfähigkeit).  Durch eine Serie elektrischer Impulse werden die einzelnen Neuronen stimuliert. Dadurch kristallisiert das Material mehr und mehr, bis das Neuron das Signal letztendlich weiterleitet. Dieser Vorgang sei vergleichbar mit der Reaktion des Gehirns auf einen äusseren Reiz, so IBM Research. Damit bilde der Prozess die Grundlage einer ereignisbasierten Datenverarbeitung. Schon ein einzelnes Phase-Change-Neuron könne zur Erkennung von Mustern in einer Vielzahl ereignisbasierter Datenströme genutzt werden.

Big Data in Echtzeit auswerten

Die Wissenschaftler um Eleftheriou ordneten hunderte der künstlichen Neuronen in Gruppen an, um komplexe und schnelle Signale zu verarbeiten. In den Versuchen überstanden die Phase-Change-Neurone mehrere Milliarden Schaltzyklen, was einem mehrjährigen Betrieb bei einer Update-Frequenz von 100 Hz entsprechen soll. Für jedes Update ? jeden einzelnen elektrischen Impuls ? wurden weniger als 120 Mikrowatt verbraucht. Zum Vergleich: Eine 60-Watt-Glühbirne verbraucht 60'000'000 Mikrowatt. Die IBM-Forscher konnten so die technische Machbarkeit der Signalverarbeitung in grösseren Neuronen-Populationen aufzeigen. 
Ein Anwendungsfall für die künstlichen Neurone sollen Big-Data-Anwendungen ein. Zum Beispiel könnten Sensoren aus Phase-Change-Neuronen grosse Mengen an Wetterdaten erfassen, auswerten und so schneller detaillierte Vorhersagen ermöglichen. Auch könnte die Technologie in Echtzeit auffällige Muster in Finanztransaktionen erkennen.



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