26.03.2014, 09:30 Uhr
Ist Swissmade-Software wirklich sinnvoll?
Im Grunde ist es schon heute sekundär, wo IT-Lösungen und Software hergestellt werden. Welche Bedeutung hat also «Swissmade»-Software – und ist sie wirklich immer sinnvoll?
Ist Schweizer Software wirklich so viel besser, zuverlässiger oder präziser als diejenige aus Mumbai, San José oder Paris?
Der Autor ist Operations Director der ELCA Informatik AG.
Bei Schweizer Käse oder Schoggi mag der eine oder andere den Unterschied noch schmecken. Doch bei Schweizer Software? Wer erkennt den Unterschied, zwischen den Codezeilen eines indischen, schweizerischen oder amerikanischen Programmierers? Wir tragen dieses Label vor uns her und versuchen, Gründe zu finden, «made in Switzerland» zu differenzieren. Immer wieder fallen in diesem Zusammenhang Schlagworte wie Qualität, Zuverlässigkeit und Präzision. Doch ist unsere Software wirklich so viel besser, zuverlässiger oder präziser als diejenige beispielsweise aus Mumbai, San José oder Paris? Und um die Provokation auf die Spitze zu treiben: Ist Swissmade überhaupt wirklich immer sinnvoll? Für spezielle Branchen wie die öffentliche Verwaltung oder die Landessicherheit sicherlich. Behörden und Ämter setzen auf lokale Anbieter und fördern so die einheimische Wirtschaft. Vor allem die Themen Datenspeicherung und -sicherheit sind die klassischen Argumente für Schweizer IT-Anbieter, die zudem das hiesige Rechts- und Steuersystem kennen und dieses lokale Know-how in ihre Beratung einfliessen lassen. Doch wie sieht es in anderen Branchen und Wirtschaftszweigen aus?
Die Schweiz ist keine Insel
Viele Schweizer Klein- und Mittelstandsunternehmen sind auf den Warenexport in andere Länder angewiesen, ihr Markt erstreckt sich über die Schweizer Grenzen hinaus. Dementsprechend braucht es nicht unbedingt Schweizer IT-Lösungen. So musste mancher lokaler Anbieter auch schon die schmerzliche Erfahrung machen, dass sich ein Kunde bewusst für ein international verfügbares Produkt bzw. ein Produkt einer globalen IT-Firma entschieden hat – mit durchaus nachvollziehbaren Gründen: Zum einen bringen international aufgestellte Unternehmen auch Wissen über internationale Benchmarks mit. Zum anderen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein global agierendes Unternehmen auch eine im internationalen Einsatz bereits erprobte Lösung wählen wird, zum Beispiel im Bereich HR, Supply Chain oder Verkauf. Zumal, wenn dahinter ein grosser, international bekannter Anbieter steht, den man im Zweifelsfall noch Jahrzehnte später zur Rechenschaft ziehen kann. So zumindest die Hoffnung. Dies könnte bei kleineren lokalen Firmen nicht immer gegeben sein. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Industrialisierung der IT
Industrialisierung der IT
Dabei ist es bereits heute eigentlich sekundär, wo die Software hergestellt wird. Im Hinblick auf den Lebenszyklus einer Software-Applikation ist die Entwicklung ein reiner Produktionsschritt, der industrialisiert erfolgen muss. Dies bestätigen die Auslagerungsaktivitäten grosser Schweizer Unternehmen, die sich lange eine interne Software-Entwicklung geleistet haben. Auch sie kommen am steigenden Markt- und Preisdruck nicht vorbei. Übrig bleiben die Aufgaben, die sehr individuell je nach Kunde und Situation erfolgen müssen: beispielsweise die Entwicklung der IT-Strategie und -Architektur, die Definition der Anforderungen, das Requirements Engineering, die Konzeption, die Kundenberatung und das Projektmanagement. Ein klarer und häufig gepriesener Vorteil ist hier die Swissness – das Verstehen der Schweizer Kultur, Sprache/n und Marktbedingungen. So könnte man ableiten, Swissmade steht eigentlich für Vertrauen – Vertrauen in einen lokalen Gesprächspartner, der die Muttersprache spricht, im selben Land lebt und die hiesigen Bräuche und Gewohnheiten kennt. Dies ist nachvollziehbar, verringert Vertrauen doch Komplexität, die in unserer immer vernetzteren Welt stetig wächst. Doch auch wenn das lokale Know-how und die lokale Beratung einen Teil unseres Geschäfts mit Swissmade-Software ausmacht, ist das nur ein verhältnismässig kleines Stück vom grossen Kuchen. Was müssen Schweizer IT-Unternehmen also tun, um die Marke Swissmade zu füllen und am Leben zu erhalten?
Global denken, lokal handeln
Die alte, ursprünglich aus dem angelsächsischen Raum stammende Marketingweisheit «Think global, act local», gerne auch als «glocal» abgekürzt, ist auch für Schweizer Software ein guter Rat. Selbst wenn dies widersprüchlich scheint: Wenn wir lokal erfolgreich sein wollen und Swissmade ein Alleinstellungsmerkmal sein soll, gilt es dennoch, global zu denken – auch wenn man sich im Vertrieb auf den lokalen Markt fokussiert. Zum einen weitet ein Blick über die Landesgrenzen häufig den Horizont: Wo gibt es interessante neue Ideen, spannende Entwicklungen, Branchen-Benchmarks? Zum anderen muss, wie schon erwähnt, die Produktion bzw. Entwicklung von IT industrialisiert werden. Das heisst, wir müssen uns mit dem Thema Near-/Offshoring befassen. Denn woran misst sich der Wert Qualität? Gerne herangezogen werden dafür Kennzahlen wie ein überzeugendes Preis-Leistungs-Verhältnis oder der Return on Investment. Denn wenn der Mehrwert der Qualität nicht nachvollziehbar ist, wird auch niemand für dieses vermeintliche Mehr zahlen. Gleichzeitig gilt «act local» auch, wenn man eine Software-Entwicklung erfolgreich in einem anderen Land aufbauen will. Elca beispielsweise entschied sich bereits Mitte der 1990er-Jahre, nach Vietnam zu gehen – nachdem die ersten vietnamesischen Software-Ingenieure ein halbes Jahr im Haus des Elca-CEOs in der Schweiz verbracht haben, um die beiden Kulturen und die Menschen dahinter kennenzulernen. Von Beginn an leitete ein Schweizer den Offshore-Standort in Vietnam, es ist bis heute noch derselbe. Auch der erste vietnamesische Mitarbeiter arbeitet immer noch für das Unternehmen. Diese Mitarbeitertreue ist in Asien eine Seltenheit. Der Offshore-Erfolg wurde aufgrund der gelebten Schweizer Werte gefördert und ermöglicht –, aber auch durch den Mix des jeweils Besten aus beiden Kulturen. Lesen Sie auf der nächsten Seite Kompetenz & Diversität
Kompetenz, Kompetenz, Kompetenz
Die Schweiz ist zwar nicht das Silicon Valley. Trotzdem steht sie für innovative Software – zum einen wegen der Vielfalt an IT-Unternehmen und Start-ups, zum anderen aufgrund vieler grosser, internationaler Marken aus der IT-Welt, die hier Forschungs- und Entwicklungszentren betreiben. Das Label Swissmade- Software sollte keine Begrenzung oder Barrikade sein – es liegt an uns, diese Marke und das damit einhergehende Renommee mit Leben zu füllen und aufrechtzuerhalten. Dabei sollten wir uns aber nicht einschränken, sondern vielmehr flexibel sein: International denken und dabei Schweizer Werte leben und miteinfliessen lassen.
Diversität nutzen
Einer der wichtigsten und interessantesten Aspekte der Schweiz ist unsere Mehrsprachigkeit und Diversität. Die Schweiz hat vier Landessprachen, drei davon decken international einen grossen geografischen Raum ab. Hinzu kommt ein hochqualitatives Bildungs- und Hochschulsystem. Es ist Aufgabe der Unternehmen, das hohe Niveau des Schweizer Bildungssystems auch in der Praxis weiterzupflegen: gute Praktikumsplätze anzubieten, die Mitarbeitenden stetig weiterzubilden, Raum für Innovationen und Ideen zu schaffen. Viele suchen die erfahrenen Senior-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, ebenso entscheidend ist es, junge Fachkräfte aufzubauen und zu entwickeln. Mit neuen Trends und Marktentwicklungen, auch auf den ersten Blick vermeintlich negative wie das Offshoring, sollten Schweizer IT-Anbieter unternehmerisch umgehen und aktiv Lösungen suchen. Nur so bleiben wir an der Weltspitze, was ein qualitatives Produkt angeht. Dieses kontinuierliche Bestreben könnte das Alleinstellungsmerkmal für Swissmade- Software sein.