19.11.2010, 06:00 Uhr

Kollektive Intelligenz im Innovationsprozess

Das exponentiell wachsende Wissen in neuen Technologiefeldern und globalen Märkten bedeutet für Unternehmen eine grosse Herausforderung. Insbesondere im Innovationsprozess ist der adäquate Umgang mit dieser Ressource ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Prof. Rainer Völker ist Leiter des Kompetenzzentrums Innovation und marktorientierte Unternehmensführung an der FH Ludwigshafen am Rhein Holger Schaaf ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter Daniel Teufer ist CEO der Itartis AG in Winterthur Christoph Thome verantwortet die Bereiche Marketing und Sales bei Itartis und promoviert berufs­begleitend zum Thema Innovationsmanagement Der wichtigste Rohstoff eines Unternehmens ist das Know-how seiner Mitarbeiter – auf technologischem Gebiet, aber auch in Bezug auf den Markt und die Kunden. Das grosse Problem dabei ist, dieses auf die verschiedenen Abteilungen, Standorte und Einheiten verteilte Wissen allen zugänglich zu machen. Einige Unternehmen haben deshalb damit begonnen, systema­tisches Wissensmanagement – speziell im Innovationsprozess – zu betreiben. Das für das Unternehmen relevante Wissen wird erfasst, gespeichert, weiterentwickelt und verbreitet. Wissensmanagement vollzieht sich mit verschiedenen Methoden und Konzepten («Knowledge Enablers»), dazu zählen die wissens­basierte Entwicklung von Produktplattformen, Knowledge Officers, Produktdatenmanagement oder externe und interne Wissenszirkel. Dabei geht es vor allem auch darum, das «stille Wissen» («Tacit Knowledge») nutzbar zu machen, das nicht dokumentiert bzw. dokumentierbar ist, aber für Innovationserfolge und Wertsteigerung eine sehr grosse Rolle spielt. Das Wissen der Vielen
In Theorie und Praxis zeigt sich, dass die Informationsverarbeitung und Entscheidung von einzelnen oder nur wenigen gegenüber deren von vielen oft unterlegen sind. Dieses Phänomen wird unter dem Stichwort «Kollektive Intelligenz» subsumiert. Die kollektive Intelligenz ist darüber hinaus in der Lage, neue sowie sehr schwache Impulse zu erkennen und zu bewerten. Zudem liefert sie nachweislich oft akkurate Ergebnisse über zukunftsgerichtete Themenfelder. In Bezug auf die effiziente Nutzung von Informationen aus der kollektiven Intelligenz, vor allem wenn diese der Entscheidungsfindung dienen sollen, sind  folgende Aspekte wichtig: Diversität: Meinungen sind vielschichtig. Unabhängigkeit: Aussagen werden prinzi­piell ohne gegenseitige Beeinflussung getroffen. Dezentralisierung: Von jedem Beteiligten wird spezifisches Fachwissen eingebracht. Generell gilt, dass die kollektive Intelligenz umso ausgeprägter ist, je mehr Teilnehmer vertreten sind. Vor diesem Hintergrund haben sich in Theorie und Praxis miteinander kombinierbare Ausprägungen der kollektiven Intelligenz herausgebildet, die auch häufig durch neue ICT-Technologien – insbesondere Web 2.0 – nutzbar gemacht werden: - Erweiterung der Anzahl der Individuen, die in die Generierung und Bewertung von Wissen invol­viert sind (z.B. InnoCentive, Publikumsjoker); - Vermittlung von Informationen für präzisere Vorhersagen (z.B. Information Markets); - Mechanismen der Selbstorganisation, mit denen kollektiv Wissen geschaffen wird (z.B. Wikipedia). Das Phänomen der kollektiven Intelligenz wurde zu Beginn der Forschung vornehmlich im Rahmen von Experimenten behandelt. Heute wird diese Thematik auch populärwissenschaftlich beleuchtet. Sachbücher wie «Die Weisheit der Vielen» und TV-Formate wie «Wer wird Millionär» bedienen sich ihrer. Inzwischen führen auch die Wirtschaftswissenschaften eine breite wissenschaftliche Diskussion der kollektiven Intelligenz. In diesem Zusammenhang beschäftigt man sich auch mit der möglichen Nutzung der kollektiven Intelligenz im Daily Business. Web 2.0 und kollektive Intelligenz
Ein essenzieller Aspekt bei der Nutzung für Business-Prozesse basiert auf den neuen technologischen Möglichkeiten der Information und Kommunikation, insbesondere des Web 2.0. In diesem Kontext wird mittlerweile vom Web als «Global Brain» gesprochen, das den Zugriff auf und die Organisation des Wissens von Millionen Menschen ermöglicht. Web 2.0 oder auch Social Web zeichnen sich insbesondere durch die aktive Partizipation der Nutzer aus. Neue Technologien und Benutzungsparadigmen wirken als Treiber für die aktive Teilnahme der Benutzer, dazu zählen: - Community -Tools (z.B. Blogging) - Kollaborations-Tools (z.B. Wikis) - Information-Tools (z.B. RSS-Feeds) - Business-Portale (z.B. Xing, LinkedIn) Insbesondere in humanzentrierten Branchen steigen im digitalen Zeitalter die Anforderungen an ein systematisches Wissensmanagement. So gewinnen neue Formen der Kollaboration – nicht nur bei Grossunternehmen, sondern auch bei KMU – zunehmend an Bedeutung. Es werden immer mehr Ansätze der kollektiven Intelligenz in wissensdominanten Prozessen genutzt (z.B. Open Innovation im Rahmen des Innovationsmanagements) und durch Web-2.0-Tools nutzbar gemacht (vgl. Grafik). Diese grundlegend neuen Anwendungsmöglichkeiten führen unweigerlich zu einer veränderten Nutzung und Wahrnehmung des Internets. Web 2.0 beschreibt nicht nur eine neue technologische Plattform, sondern ein soziales Phänomen. Die Kommunikation von Menschen untereinander, auch im Berufsleben, wird sich nachhaltig ändern. Wikis und Instant Messaging sind in den Unternehmen bereits weit verbreitet. Der Einsatz von Weblogs, Wikis und Tagging wird künftig deutlich steigen und auch die Bedeutung von semantischen Technologien wird zunehmen. Der Einsatz und die Relevanz von Portalen, welche die Kollaboration vieler Benutzer simultan ermöglichen, werden weiter signifikant wachsen und einen wesent­lichen Beitrag zum Phänomen der kollektiven Intelligenz leisten. Fazit: Nutzenpotenzial ermitteln Neue Informations- und Kommunikations­medien sind für die Nutzung der kollektiven Intelligenz, insbesondere für das Innovationsmanagement, von zentraler Bedeutung. Studien weisen auf fundamentale strukturelle Veränderungen ganzer Branchen durch die Verbreitung der Web-2.0-Kommunikation hin. Es gilt die Frage zu klären, ob bzw. wie soziale Netzwerke und weitere Anwendungen des Web 2.0 (Skype, Wikipedia, Blogs, YouTube, Google Earth etc.) einen Beitrag dazu leisten können, die kollektive Intelligenz in das Wissens­management bei Unternehmen zu integrieren. Wichtig ist dabei, zuallererst die Nutzen­potenziale abzuklären. Dies gelingt durch die Etablierung eines crossfunktionalen Projektteams, das die qualitativen und quantitativen Potenziale den Investitionskosten (Head Count, IT etc.) gegenüberstellt. Nach einem Entscheid ist es wichtig, das Wissensmanagement mit all seinen Facetten (Web-2.0-Tools, kollektive Intelligenz etc.) konzeptionell anzugehen. Einzel­initiativen sind fehl am Platz. Entscheidend für den Erfolg ist in diesem Kontext die Rücken­deckung der Unternehmensführung.


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