Computerworld vor 30 Jahren
30.06.2020, 08:00 Uhr
PCs erobern Schweizer EDV
Die Verbreitung von Computern in der Schweizer Wirtschaft stand 1990 noch am Anfang. Obwohl die Schweiz eines der Länder mit der höchsten PC-Verbreitung überhaupt war. Das lag aber vielmehr an den privaten Haushalten.
An der Autobahnraststätte «Heidiland» in Maienfeld orientierte neu ein Computer über Ferien in Graubünden
(Quelle: Mac Guffin Software)
Während in Schweizer Unternehmungen und Verwaltungen die Computertechnologie in den 1980er-Jahren erst langsam Fuss fasste, war die Adaptationsrate in den privaten Haushalten wesentlich höher.
Computerworld Schweiz berichtete Anfang 1990 von rund 400'000 Personalcomputern in Schweizer Betrieben. Die Wirtschaft und die Behörden würden jährlich Computerausrüstungen im Wert von circa 5 Milliarden Franken kaufen. Ende 1990 hatte das Bundesamt für Statistik ermittelt, dass jeder achte Schweizer einen PC zu Hause hat. Das ergibt bei damals 6,87 Millionen Einwohnern rund 860'000 Rechner. Allerdings hatte das Bundesamt auch diverse andere Fakten erhoben. Einer war: 44 Prozent der Computerbenutzer sind konfessionslos. Dieser Fakt sollte Gott und den Kirchen zu denken geben, befand Computerworld.
Die Glaubensgemeinschaften zählten (und zählen) noch lange nicht zu den eifrigsten Computerbenutzern. Obgleich sich die Kirchgemeinde Muri-Gümligen im Dezember 1990 anschickte, für einen Betrag von 220'000 Franken zwölf 386er-Rechner zu beschaffen. Ein lokaler PC-Händler, der stattdessen bedienerfreundliche Macs empfahl, wurde als «unregelmässiger Kirchgänger» abgekanzelt und bekam den Auftrag nicht. Die Gemeinde folgte vielmehr der Weisung ihres Pfarrers und segnete die Beschaffung ab. Dieser Bericht blieb dann allerdings auch die einzige Erwähnung eines Informatikeinsatzes in einer kirchlichen Institution in der Computerworld im Jahr 1990.
Aufbruch beim Bund
Die grösste Verbreitung wiesen Computer 1990 in den Schweizer Behörden auf – zumindest wenn es nach den Berichten der Computerworld geht. Von insgesamt 66 Artikeln über Informatikprojekte in der Schweiz entfiel fast ein Drittel auf die öffentliche Hand. An diesem Verhältnis hat sich bis heute kaum etwas geändert. Allerdings waren vor 30 Jahren die öffentlichen Verwaltungen auch der grösste Investor in die Hochtechnologie.
Allen voran Bern: Der Bund kaufte jährlich für annähernd 1 Milliarde Franken in der IT-Wirtschaft ein. Bis dahin wahllos, wie Computerworld schrieb. Das sollte sich im neuen Jahrzehnt nun ändern. Die departementsübergreifenden EDV-Leistungen sollten im neuen Bundesamt für Informatik gebündelt werden. Es wurde mit einem Startbudget von 72 Millionen Franken ausgestattet. Dank des Ausbaus der EDV-Zentrale sollte es möglich sein, dass bis zu 200 Benutzer ohne merkliche Zunahme der Antwortzeiten simultan arbeiten können. Für den weiteren Ausbau der Bundesinformatik war die damalige Eidgenössische Drucksachen- und Materialzentrale EDMZ zuständig. Sie bot neu den Bundesämtern Zugriff auf das Finanzmanagement und das Inventar, das von rund 30 Dienststellen auch schon eifrig genutzt wurde. So hatten die Departemente diverse Fachanwendungen in der Entwicklung: Ein Informatiksystem für Handelsdienste im Ausland hatte im Departement für auswärtige Angelegenheiten seine Feuertaufe zu bestehen.
Das im Departement des Inneren angesiedelte Bundesarchiv war im Begriff, ein Verfahren für die Erfassung, Aufbewahrung und Nutzbarmachung von statistischen Daten in sequenzieller Form zu entwickeln. Das Justiz- und Polizeidepartement wagte sich mit dem Fahndungssystem «Ripol» auf unsicheres Terrain, denn es fehlte für den Einsatz noch die rechtliche Grundlage. Das Millitärdepartement liess eine Telematikanwendung für die elektronische Kriegsführung weiterentwickeln. Die Departemente für Finanzen, Verkehrs- und Energiewirtschaft sowie Volkswirtschaft gaben sich hingegen bescheiden: Bei ihnen sei erst der «Aufbruch im Bereich der Informatik erfolgt», berichtete Computerworld.
Für 19 Parlamentarier wurden im März 1990 Laptops mit einer Textverarbeitung und einer Tabellenkalkulation angeschafft, damit sie in einer «PC-Pilotgruppe» mitwirken konnten. Ende Jahr sah man nur «zufriedene Gesichter» und registrierte unter den übrigen Volksvertretern einen «gewaltigen Appetit», sodass weitere 100 Geräte inklusive Drucker budgetiert wurden. Mit 15'000 Franken pro Parlamentarier.
Millimeterarbeit in Zürich
Die Zürcher Bahnhofstrasse war schon 1990 ein teures Pflaster. Jeder nicht erfasste Quadratzentimeter würde einen Verlust von 50 Franken bedeuten, hatte der Vorsteher des Bauamts 1, Stadtrat Ruedi Aeschbacher, ermittelt. Diese Kalkulation konnte er neu an einer Vax 8810 mit 7 Gigabyte Speicherkapazität durchführen, auf der das Datenbanksystem «Infomap» installiert war. An dem «Koordinatensystem» hatten die Zürcher Geometer und Informatiker zehn Jahre lang gearbeitet.
Das gesamte Stadtgebiet war mit 1,1 Millionen Linien und Punkten im Computer in einem zweidimensionalen Modell millimetergenau nachgebildet worden. Indem das «Ingenieursystem Vermessung und Werkkataster» den Elektrizitätswerken, dem Amt für Gas- und Wasserversorgung sowie der Stadtpolizei zur Verfügung gestellt wurde, sollte es kommerzialisiert werden. Stadtgeometer Hans Peter Spindler äusserte sich in der Computerworld überzeugt, dass die Daten «für rund 100 Jahre konsistent bleiben».
Gigaflops in Manno, Bündner Multimedia
Das nationale Hochleistungsrechenzentrum der Schweiz steht noch heute in Manno bei Lugano. Im Februar 1990 fiel der Entscheid für den Standort, an dem im folgenden Jahr die ETH Zürich einen Supercomputer im Wert von fast 40 Millionen Franken installieren sollte. Die NEC-Maschine mit einer sagenhaften Rechenleistung von 12,8 Milliarden Gleitkomma-Operationen pro Sekunde (Gigaflops) ging 1992 in Betrieb. Zum Vergleich: Der «Piz Daint» als schnellster Rechner in Manno leistet heute 27'154'300 Gigaflops.
Der gegenüber neuen Technologien aufgeschlossene Bündner Verkehrsdirektor Thomas Nordmann bestellte im Frühjahr 1990 für seinen Verkehrsverein ein Computer-Informationssystem. Die Zürcher Agentur Mac Guffin bekam den Zuschlag und entwickelte «Multimedia Graubünden». Der interaktive Reiseführer wurde mit modernster Technologie umgesetzt: Ein Macintosh IIcx mit FileMaker-Datenbank wurde über einen Touchscreen gesteuert. Der an der Autobahnraststätte «Heidiland» in Maienfeld aufgestellte Rechner lieferte Reisenden innerhalb von 20 Millisekunden über 3000 multimedial aufbereitete Inhalte aus 15 Datenbanken – vom Hotel über Heilbäder bis hin zu Veranstaltungen. Womit Verkehrsdirektor Nordmann nicht gerechnet hatte: «Multimedia Graubünden» wurde selbst zu einer Touristenattraktion. Wie eine «Heidiland»-Mitarbeiterin der Computerworld sagte, kämen einige Leute allein wegen dem Computersystem an die Autobahnraststätte. Die Kombination aus Information und Unterhaltung käme gut an.
Banken in neuen Geschäftsfeldern
Der Schweizerische Bankverein schickte sich 1990 an, sich ebenfalls mit einer Datenbank neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Er ging davon aus, dass Schweizer KMU weder über einen Datenbankanschluss noch über die Kenntnis von Abfragesprachen für Computerverzeichnisse verfügten. So bot die Bank den einheimischen Betrieben einen Zugang zu «Business», einem Verzeichnis von 30'000 Handels- und Geschäftskontakten im europäischen Ausland. Schweizer KMU konnten für 400 Franken pro Jahr einen eigenen Eintrag erstellen, um international präsent zu sein.
Die Schweizerische Kreditanstalt ging den Unternehmen in der Schweiz mit Druckdienstleistungen zur Hand. Mit einer millionenteuren Computer-Postversandstrasse konnte die Bank selbst ihre täglich 1,3 Millionen Formularaussendungen rationalisieren. Anstatt einem Blatt wurden im Durchschnitt 1,9 Formulare vom Computer couvertiert. Die frei werdenden Kapazitäten auf der Versandstrasse liesse sich von Firmen nutzen, die selbst Massenaussendungen tätigten, berichtete Computerworld.
Hightech in der Industrie
Selbst für damalige Verhältnisse überdimensioniert war die Computer-Beschaffung der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft SIG. Das Unternehmen bestellte bei Olivetti die «Computing Platform» auf Basis von Intels 486er-Prozessoren. Die brandneuen Chips waren für Höchstleistung ausgelegt, etwa im CAD-Bereich oder der Konstruktion. Obwohl die SIG durchaus Anwendungsfelder gehabt hätte, etwa die Computersimulation des Fahrverhaltens, wurde den 486ern zunächst eine weit weniger anspruchsvolle Aufgabe zugedacht. Sie kamen für die Zeiterfassung zum Einsatz.