Netcomm Suisse E-Commerce-Konferenz
19.01.2018, 17:14 Uhr
Baustelle E-Commerce Schweiz
Der Branchenverband des Netcomm Suisse hat in Bern über die Zukunft des E-Commerce in der Schweiz diskutiert. EU, Amazon, Mehrwertsteuer und ungleich lange Spiesse machen dem Handel zu schaffen. Ständerat Beat Vonlanthen und Netcomms Generaldirektor Carlo Terreni sprachen sich für ein Gütesiegel für Schweizer Onlinehändler aus.
Rund 150 Gäste besuchten die Konferenz des Branchenverbands Netcomm Suisse im Rathaus Bern.
(Quelle: Netcomm Suisse)
Dem Schweizer E-Commerce weht ein eisiger Wind entgegen. Und das liegt nicht an der Jahreszeit: Geoblocking und Nachteile beim Versandhandel gegenüber ausländischen Händlern machen dem Schweizer Online-Handel ebenso zu schaffen, wie die quasi unmögliche Herkulesaufgabe als kleiner Anbieter im EU-Raum Fuss zu fassen. Und zu allem Überfluss droht der vollständige Markteintritt Amazons.
Überdies dürfte der Druck auf den Schweizer E-Commerce-Markt in den nächsten Jahren auch durch geopolitsche Machtspiele der grossen Player wie China, Indien oder USA weiter steigen. Sie werden voraussichtlich künftig die Regeln vorgeben, wie Schweizer Händler Ihre Ware über das Web international verkaufen dürfen.
Was also tun? Welche regulatorischen Massnahmen müssen heute getroffen werden, damit es den Schweizer E-Commerce morgen nicht nur noch gibt, sondern dass dieser auch florieren kann? Darüber diskutierten Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft in Bern an der Jahreskonferenz des E-Commerce-Verbands Netcomm Suisse. Rund 150 Gäste besuchten den Event im Plenarsaal des Rathaus Bern.
Schreckgespenst Amazon
Deutlich war an der Veranstaltung die Angst vor dem Markteintritt Amazons in die Schweiz zu spüren. Als würde der Onlinehändler wie der mächtige Strom nachdem er benannt ist alles hinwegschwemmen. Amazon plant gemäss Medienberichten mit dem Partner Schweizerische Post Bestellungen innerhalb von 24 Stunden an Schweizer Kunden zu liefern.
Leider war kein Vertreter von Amazon vor Ort und Patrick Wolf, Business Development Manager E-Commerce, von Swiss Post Asendia sprach lieber über die verkaufsfördernde Wirkung des Begriffs Swissness. Konkreter wurde es beim Vortrag von Professor Reinhard Riedl von der Berner Fachhochschule. Riedl prognostizierte fünf Trends:
- Alle Märkte werden digital werden.
- Einige dieser Märkte werden nach dem Modell der Sharing Economy organisiert sein.
- Jeder User wird zu einem eigenen Markt. Das bedeutet, dass Anbieter basierend auf Datenanalysen versuchen werden, Kunden zu dominieren, wie es etwa Amazon gut vormache. Hierfür sei es zentral zu wissen, was der Kunde will.
- Es wird neue Verteilungskämpfe entlang der Wertschöpfungskette geben. Eine Entwicklung, die bereits stattfinde.
- Customer Experience wird der Schlüssel zum Erfolg sein. Als Beispiel nannte Riedl Möbelhäuser, die ihren Kunden zu den Möbeln gleich noch Fernseher und weitere Elektronik nach Hause liefern.
Swiss ID, GDPR und E-Commerce beschäftigen das politische Bern
Was in der Schweiz politisch unternommen wird, zeigte etwa Martin Dumermuth auf, Direktor des Bundesamts für Justiz. Dumermuth fokussierte auf zwei Projekte: Die Einführung der E-ID und die Totalrevision des Datenschutzgesetzes.
Mit der elektronischen Identität, der sogenannten Swiss ID, könnten Menschen im Web klarer als zuvor identifiziert werden. Sei dies beim Einkaufen im Web oder bei der Anmeldung bei einem sozialen Netzwerk. Ziel sei es eine Singlepoint-Lösung für den Handel und Verwaltungsakte zu schaffen, sagte Dumermuth.
Derzeit treiben Unternehmen wie SBB die Swiss ID voran mit Unterstützung aus Bern. Doch in Bern wird nicht nur an der klaren digitalen Identifikation von Menschen gearbeitet. Auch die Totalrevision des Datenschutzgesetzes steht oben auf der Agenda. Die letzte Überarbeitung stammt aus den 1990er Jahren, ist also in die Jahre gekommen. Hinzu kommt der Druck aus der EU, die ihre Datenschutzgesetzgebung an die aktuelle Zeit anpasst.
Auch Online-Händler, die in die EU verkaufen möchten, müssen die Datenhaltung gemäss der europäischen Datenschutzverordnung (GDPR) einhalten. Diese tritt im Mai dieses Jahres in Kraft. Kompliziert könnte es etwa für Unternehmen werden, die Kundenprofile erstellen. Die GDPR sieht etwa Privacy by Design vor. Die Privatsphäre von Kunden muss also nach EU-Vorgaben stets geschützt sein. Das Regelwerk gilt als derart Komplex, dass Rechtsexperten davon ausgehen, dass jedes Unternehmen auf irgendeine Weise gegen die GDPR verstossen wird.
Erleichterte Steuerverfahren der EU auch für Schweizer Händler gefordert
Neben rein rechtlichen Vorgaben brauche es auch eine politische Agenda, betonte anschliessend CVP-Ständerat Beat Vonlanthen. Etwa um den Abfluss von Wertschöpfung zu verhindern. Zum Beispiel durch Mehrwertsteuervorteile für Händler aus Drittstaaten. Ausserdem dürften Schweizer E-Commerce-Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Mitbewerbern nicht diskriminiert werden.
Hingegen solle der grenzüberschreitende Handel Schweizer Unternehmen gefördert werden. Etwa durch die Aufhebung von Geoblocking, Kundenschutz und die Teilnahme an MOSS. Das Mini-One-Stop-Shop-Verfahren erleichtert es kleinen Unternehmen in der EU erlauben, einfacher Geschäfte zu betreiben und die Mehrwertsteuer in dem Land abzuführen, indem sie registriert sind.
Gegenüber 28 Mitgliedsstaaten mit jeweils eigenen Mehrwertsteuerregeln ist das eine klare Erleichterung. Das System adressiert derzeit physische Händler. Nächstes Jahr soll das Regime auf Online-Händler ausgedehnt werden. Leider sind Schweizer Firmen nicht vorgesehen.
Vonlanthen sieht in möglichen einer Bilateralen III eine Chance, die Rechte Schweizer Händler im EU-Raum zu stärken. Etwa durch die Teilnahme am digitalen Binnenmarkt.
Ständerat Beat Vonlanthen fordert Gütesiegel für E-Commerce
Vonlanthen plädierte zudem für die Einführung eines Schweizer E-Commerce-Siegels. «Swissness ist ein Schlüsselfaktor für den Export», sagte der Politiker.
Das Qualitätslabel soll gemäss Vonlanthen Online-Verkaufsplattformen Schweizer Unternehmen im internationalen Wettbewerb stärken, deren grenzüberschreitende Absatzmöglichkeiten verbessern und den guten Ruf der Schweiz wirtschaftlich zielgerichtet nutzen. Eine entsprechende Motion für die Prüfung eines solchen Labels wurde in einer Stellungnahme es Bundesrats Ende des letzten Jahres abgelehnt.
Vonlanthen sprach sich abschliessend für einen verstärkten Dialog zwischen Akteuren in Politik und Wirtschaft aus. Dem Ständerat schwebt eine Initiative vor, analog zur Industrie-4.0-Plattform der Schweizer Metall- und Elektroindustrie, Industrie 2025.
Wenn die Mehrwertsteuer «»verdampft»
Was die Diskriminierung des Schweizer Onlinehandels konkret für Folgen hat, zeigte abschliessend Patrick Kessler auf, Präsident des Verbands des Schweizerischen Versandhandels (VSV). Onlineshopping wächst in der Schweiz. 2016 betrug der Umsatz gemäss Daten des VSV 7,8 Milliarden Franken. Für 2017 prognostiziert der VSV einen Umsatz von 8,5 Milliarden Franken. Geht das Wachstum so weiter, taxiert der Verband 15 Milliarden Franken Umsatz im Jahr 2023 für den Schweizer Online-Handel.
Bis zu einem Warenwert von 65 Franken wird auf die Rechnung für Pakete aus dem Ausland keine Mehrwertsteuer erhoben. Genau dieser Anteil wächst. Von den 7,8 Milliarden Franken Umsatz im Jahr 2016 entfielen 1,3 Milliarden Umsatz auf Bestellungen ohne Mehrwertsteuer, sprich aus dem Ausland. Tendenz steigend.
Dieses Jahr dürften es 1,6 Milliarden Franken werden, erklärte Kessler. Und das sei noch nicht alles: Das Wachstum im Onlinehandel wird gemäss Prognosen des Verbands durch Importe ohne Mehrwertsteuer vorangetrieben und dürfte dieses Jahr die Menge an hierzulande verschickten Paketen von Online-Händlern übersteigen.
Die Folge: «Das Einkommen aus der Mehrwertsteuer verdampft», brachte es Kessler auf den Punkt. Zur Einordnung: Mit 32,5 Prozent bilden die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer dieses Jahr gemäss Zahlen des Finanzdepartements den grössten Posten bei den ordentlichen Einnahmen, noch vor der direkten Bundessteuer (29,9%) ist der Posten Mehrwertsteuer der grösste Anteil an den Einnahmen des Bundes für dieses Jahr.
Für Kessler ist klar: Die «Free Lunch»-Limite von 65 Franken ist zu hoch angesetzt. Auch die geringeren Versandkosten für ausländische Versender an Schweizer Kunden sieht der Präsident kritisch.
Vorteile für ausländische Händler
Traurig aber wahr, es sei besser als ausländischer Händler in der Schweiz Geschäfte in der Schweiz abzuschliessen. Auch bleibe der Zugang zum EU-Markt mühsam, insbesondere für kleine und mittelständische Händler.
Zum Schluss rief Kessler, ähnlich wie vor ihm bereits Vonlanthen dazu auf, für eine Teilnahme des Schweizer Handels am MOSS-System zu kämpfen. Um bürokratische Hürden beim grenzüberschreitenden Versand niederzureissen, die Kosten für Im- und Export zu senken und nicht zuletzt, um auch in Zukunft Einnahmen aus der Mehrwertsteuer zu sichern.
Ein «Fair Trade»-Label für Schweizer Onlinehändler
Es gibt also viel Arbeit, um den E-Commerce-Marktplatz Schweiz zukunftssicher zu gestalten. Eine Aufgabe, die sich der Branchenverband Netcomm auf die Fahne geschrieben hat. Netcomm will sich dafür einsetzen, dass die Probleme angegangen werden und der Schweizer gleichlange Spiesse einsetzen kann, sagte Generaldirektor Carlo Terreni in seiner Abschlussrede. Die Mehrwertsteuerregelung auf Importe sollte fair und gleich gestaltet sein, für inländische wie ausländische Händler gleichermassen.
Mit Hinblick auf den angekündigten Markteintritt von Amazon schlug Terreni vor, ein Preis-Monitoring auf Bundesebene einzurichten. Auf diese Weise sollen die Folgen für den Schweizer Retail vor und nach dem Start von Amazon hierzulande analysiert werden.
Terreni sprach sich abschliessend für ein Gütesiegel aus. Dieses soll beim Kunden Vertrauen schaffen und ihn zu einem verantwortungsvollen Einkauf animieren. Quasi ein «Fair Trade»-Label für den Schweizer Onlinehandel.